Christiane Cantauw
„Die größte Schwierigkeit für alle deutschen Unternehmungen in den Kolonien bot bisher und bietet noch heute die Beschaffung eines geeigneten, und für diese Unternehmungen genügend vor- und ausgebildeten Personals. Sowohl die Reichsregierung, als auch die privaten Gesellschaften und Einzelunternehmer, mögen sie reine Erwerbszwecke – durch Handel, Industrie, Plantagen-, Viehwirtschaft – oder mögen sie humanitäre, wissenschaftliche oder sonstige Ziele verfolgen, empfinden dies ebenso schwer, wie diejenigen Personen, welche an Stelle geschulter Leute hinausgehen müssen, ohne im Stande gewesen zu sein, sich vorher in der Heimat einigermaßen für die Anforderungen vorzubereiten, welche die Arbeit und das Leben in den Kolonien nicht nur an ihr Wissen und Können, sondern auch an ihren Körper stellt“, schreibt 1896 der evangelische Militärpfarrer und spätere Pädagoge und Gründungsdirektor der Deutschen Kolonialschule Ernst Albrecht Fabarius (1859-1927) in einer Denkschrift zur Gründung einer deutschen Kolonialschule (zit. nach Onnen, S. 21). In derselben Denkschrift fordert er die Einrichtung einer kolonialen Ausbildungsstätte für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, die 1898 in Form der Deutschen Kolonialschule GmbH im nordhessischen Witzenhausen Gestalt annahm.
Was Ernst Albrecht Fabarius als Missstand anprangerte, war im 19. Jahrhundert gelebte Realität: Beamte, Soldaten, Kaufleute und Pflanzer begaben sich vollends ohne, mit geringem oder mit nicht zutreffendem Vorwissen, ungenügend ausgestattet und auch körperlich unvorbereitet in die Kolonien nach Übersee. Einer von ihnen war der Bauernsohn Josef Loag (1870-1939), der 1893 eine Stelle als Assistent für Tabakpflanzungen in Neuguinea antrat. Was ihn für die Arbeit qualifizieren sollte, war seine landwirtschaftliche Vorbildung, die er auf dem elterlichen Hof in Warstein-Allagen erworben hatte, und sein Alter, denn es wurden Landwirte im Alter zwischen 23 und 27 Jahren gesucht. Nach einer persönlichen Vorstellung bei der Berliner Niederlassung der Neu-Guinea-Kompanie, einem Konsortium von Investoren aus der Großfinanz, dem das Deutsche Reich 1885 die Hoheitsrechte für den Nordosten Neuguineas zugesichert hatte, wurde er ärztlich untersucht. Da offenbar aus medizinischer Sicht nichts gegen eine Anstellung sprach, bot man ihm einen Vertrag und ein Jahresgehalt von 3.600,- Mark an. Das entsprach 1893 etwa dem Fünffachen des Durchschnittsgehalts eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers und war auch sehr viel mehr, als Josef Loag in der Landwirtschaft erwirtschaften konnte.
Dass er weder vom Tabakanbau noch von den kolonialwirtschaftlichen Strukturen oder den klimatischen Verhältnissen vor Ort Vorkenntnisse besaß, schien weder seine Arbeitgeber noch ihn selbst zu irritieren. Wie weit außerhalb der Vorstellungswelt seiner ländlichen Umgebung die in Aussicht genommene Arbeit in Übersee lag, lässt sich auch daran ermessen, dass man an der Expressgutabfertigung in Warstein, wo er sein Gepäck aufgeben wollte, noch nicht einmal wusste, wo Neuguinea lag.