Der Pränumerant Vicar Lövelingloh
Ausgestellt war die Quittung auf einen Vicarius Lowinckloh. Dieser war daher der sogenannte Pränumerant der vier Bücher. Dank der Unterstützung des Genealogen Jörg Wunschhofer aus Beckum konnte er eindeutig identifiziert werden: Es handelt sich um ein Mitglied der Familie Lövelingloh aus Amelsbüren, deren Grundherr die Domkellnerei zu Münster war: Everhard Melchior Lövelingloh, dessen Eltern Raban Wilhelm (Schulte) Pröbsting, Witwer Schulte Lövelingloh, und Anna Maria Elisabeth (Schulte) Sutthoff am 16. Oktober 1727 in Amelsbüren geheiratet hatten. Ihr Sohn Everhard Melchior wurde am 12. April 1734 in Amelsbüren geboren und am 2. Mai 1752 aus der Hörigkeit des Hofes entlassen. Danach war er zunächst Rezeptor des Kirchspiel Amelsbüren und seit 1762 Vikar in Handorf, wo er am 17. Juli 1784 verstarb. Offenbar war er belesen und interessierte sich, wie viele Geistliche damals, auch für die Geschichte seiner Heimat und der angrenzenden Regionen, so dass er sich 1772 auf die Pränumeration der vier Bücher einließ.
Die Pränumeration
Die Begriffe Pränumeration, Pränumerant und das Pränumerieren wurden bereits mehrfach erwähnt.
Bei der Pränumeration erfolgt eine Vorauszahlung bzw. eine Abschlagzahlung für ein noch nicht vorliegendes Produkt, anders als bei der Subskription, die seit dem 17. Jahrhundert nur eine Kaufabsicht für ein im Entstehen befindliches Wert zum Ausdruck brachte. Das Verfahren der Pränumeration war im deutschsprachigen Buchhandel vor allem zwischen 1770 und 1810 weit verbreitet. Es brachte zahlreiche Vorteile für Autoren, Verleger und am Ende auch für die Leser. Manche Bücher verdanken ihre Entstehung allein der Vorauszahlung der Pränumeranten, über die die Drucker und Verleger die teilweise hohen Entstehungskosten im Vorfeld des Druckes finanzieren konnten. Den Käufern und Lesern wurde hierfür ein deutlicher Rabatt eingeräumt. Sie erhielten eine Quittung für ihre Vorauszahlung, eben den Pränumerationsschein, den sie bei Erhalt des Buches oder der Bücher wieder abgeben mussten. Erhalten haben sich daher aus dieser Zeit nur wenige Exemplare, da sie nach der Auslieferung vernichtet wurden. Neben Büchern wurde dieses Verfahren auch für die Produktion von Musiknotenausgaben und Druckgrafiken angewendet.
Pränumeration = Crowdfunding?
Der Begriff der Pränumeration ist heute kaum noch präsent. Das Vorgehen, die Herstellung von noch nicht existierenden Produkten durch eine große Anzahl von Personen vorfinanzieren zu lassen, kennt man heute unter der englischen Bezeichnung „Crowdfunding“, wobei crowd für eine „Menge von Menschen“ und funding für „Finanzierung“ steht. Übersetzt wird es oft auch als „Schwarmfinanzierung“, bei der durch zahlreiche Personen für bestimmte Produkte, Projekte oder neue Geschäftsideen in einer besonderen Aktion unkompliziert eine Art Darlehn ermöglicht wird. Meist geschieht dies auf speziellen Internetplattformen, oft sind die investierten Beträge gering, die Beteiligten erhalten oft das fertige Produkt zu einem günstigen Preis.
Betrachtet man die Ähnlichkeiten in der Vorgehensweise, unabhängig von den veränderten technischen Möglichkeiten, wird deutlich, dass die heutige „Schwarmfinanzierung“ schon vor 250 Jahren eine geübte Praxis war, wenn auch konzentriert auf die Produktion meist wissenschaftlicher Bücher.
„Dumm gelaufen“ – ein alltägliches Problem nicht nur in der Vergangenheit
Warum hat sich der Pränumerationsschein des Vicars Lövelingloh aus Handorf bei Münster 250 Jahre lang erhalten? Man kann hierzu nur Vermutungen anstellen, die auch mit der damals gezahlten Summe zusammenhängen. Wurden 1772 nun 1 1/3 oder tatsächlich 6 1/3 Taler quittiert? Die ersten drei Bände für 5 Reichstaler sind bis 1775 erschienen. Vielleicht hatte Lövelingloh diese erhalten und wartete noch auf die Ausgabe von Strunck (Band 3 der Geschichte Paderborn), für die er ja zusätzlich 1 1/3 Taler gezahlt hatte. Möglicherweise hatte er dann den Schein in Band 1 oder 2 eingeklebt in der Hoffnung auf die Lieferung des dritten Bandes in einigen Jahren. Dann hätte er die Quittung eingelöst und sie wäre vernichtet worden. Der Band wurde aber nie gedruckt, Lövelingloh verstarb 1784. Das Wissen um die ausstehende Leistung ging vermutlich mit seinem Tod verloren. Vielleicht hatte Lövelingloh aber 1772 nur 1 1/3 Taler angezahlt, später diesen Vorgang vergessen, das Interesse verloren oder keine ausreichenden Finanzmittel, um den ausstehenden Restbetrag zu begleichen und folglich keines der vier Bücher jemals erhalten.
Wie auch immer, für ihn ist es „dumm gelaufen“, sein Geld war weg. Immerhin diente es zur Mitfinanzierung wichtiger wissenschaftlicher Druckwerke. Betrachtet man die vielfältigen Informationen, die sich bei der Analyse der doch anfänglich dürftigen Angaben auf der alten Quittung ergeben haben, wird deutlich, dass mit entsprechender Recherche auch unscheinbare Objekte „zum Sprechen“ gebracht werden können, die vom Alltag wissenschaftlich und offenbar vor allem historisch interessierter Menschen des 18. Jahrhunderts berichten.
Der Vikar Lövelingloh hat 1772 Geld in die Produktion und den Druck von vier Büchern investiert, von denen ein Band nie erschienen ist. Ähnliches kann heute auch beim Crowdfunding passieren, denn nicht immer wird die angestrebte Endsumme erreicht, das Produkt tatsächlich entwickelt und produziert. Aber trotzdem beteiligen sich heute sehr viele Menschen weltweit an solchen Aktionen.
Der Verlag Aschendorff existiert noch heute als familiengeführtes Medienunternehmen in Münster. Vermutlich dürfte auch der heutigen Eigentümergeneration nicht bekannt sein, dass der Aufstieg des Verlages in den 1770er Jahren u. a. mit einer heute unbekannten Vorform des Crowndfunding finanziert wurde und gegebenenfalls noch Restschulden von damals ausstehen.
Wie viele Pränumerationsscheine 1772 für die drei bzw. vier Bücher ausgestellt wurden, ist unbekannt. Vikar Lövelingloh war der 42. Unterstützer. Anton Wilhelm Aschendorff hatte daher auf diese Weise mindestens 210 Reichstaler eingenommen, vermutlich sogar noch deutlich mehr. Dieser enorme Betrag hat auf jeden Fall die Finanzierung des Druckes ermöglicht. Das noch weitere Exemplare dieser Quittungen die letzten 250 Jahre überdauert haben, ist allerdings eher unwahrscheinlich.
Literatur
Bertram Haller, 500 Jahre Buchdruck in Münster – ein historischer Überblick, in: Hans Galen (hg.), 500 Jahre Buchdruck in Münster, Katalog der Ausstellung im Stadtmuseum Münster 1991, Münster 1991, S. 8–46, hier S. 36–38.
Karl-Peter Ellerbrock, Aschendorff. Geschichte eines deutschen Medienhauses, Münster 2021, hier S. 21–37.
Karl-Heinz Kirchhoff, Von der Bergstraße zur Gallitzinstraße, in: Gottfried Hasenkamp (Hg.), Dem Wort verpflichtet. 250 Jahre Verlag Aschendorff 1720–1970, Münster 1970, S. 95–119, hier S. 106–110.
Helmut Heintel, Pränumeration auf ein Gallsches Werk, in: Medizinhistorisches Journal, 21, Heft 3/4, 1986, 353–355.
Severin Corsten u.a. (Hg.), Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. VI., Stuttgart, 2. Aufl. 1991, S. 81 (hier Artikel Pränumeration).
Hermann-Josef Schmalor, Nikolaus Schaten – Jesuit und Historiker am Hofe Ferdinands von Fürstenberg, in: Andreas Neuwöhner / Lars Wolfram (Hg.), Leben am Hof zu Neuhaus. Paderborn 2021, S. 120–139.
Franz Stephan Pelgen, Das Pränumerationswesen des 18. Jahrhunderts – Problemaufriß und Apell zur Neubewertung, in: Franz Stephan Pelgen, Pränumeration im 18. Jahrhundert als Geschäftsprinzip und Marktalternative. Akten der interdisziplinären Arbeitstagung vom 20./21. Februar 2009 in Mainz, Ruhpolding/Mainz 2009, S. 7–38.