"Die Züchtigung der Kinder darf der Gesundheit des Kindes auch nicht entfernt schädlich sein." Die Prügelstrafe als erzieherisches Mittel an Herforder Schulen

18.05.2021 Niklas Regenbrecht

Karikatur zur schulischen Gewalt in der Schülerzeitung "Ceterum Censeo" von 1966 des Friedrichs-Gymnasiums Herford.

Robin Butte

Die heutigen coronabedingten Diskussionen, welche Härten SchülerInnen zugemutet werden können, sind wohl so alt wie die Schule selbst. Interessant ist, dass ein heute Irritation und Entsetzen hervorrufendes Erziehungsmittel, die Prügelstrafe, noch vor wenigen Jahrzehnten einen festen Platz in deutschen Klassenzimmern hatte. So heißt es in einer bis in die 1960er Jahre geltenden Schulrichtlinie des Landes NRW: „Sie (die Körperstrafe) darf nur in den seltensten Fällen, etwa bei Rohheits- und Grausamkeitsvergehen, angewandt werden.“ Als ultima ratio der Kindeserziehung galten Schläge der jungen Bundesrepublik, welche sich die Würde des Menschen mit großen Lettern auf die Fahne bzw. ins Grundgesetz geschrieben hatte, also noch als geeignet. Eine generelle Abschaffung der Prügel wurde in der Richtlinie allerdings in Aussicht gestellt. Erwähnenswert ist, dass zu dieser Zeit jüngere Kinder und Mädchen bereits von der körperlichen Züchtigung ausgenommen waren. Offenkundig meinte man, dass es Jungen, doch etwas härter brauchen, um anständige Menschen zu werden. So werden in einem Strafverzeichnis der Herforder Volksschule „In der Ottelau“ aus den 1960er Jahren auch nur Jungs aufgeführt, welche für allerlei Gewalttätigkeiten und fürs Schulschwänzen Prügel erhielten.

Ein ähnliches Verzeichnis der Volksschule Falkendiek aus der Zeit um 1910 verweist auf die ausgedehntere Nutzung der Prügelstrafe im deutschen Kaiserreich. Hier wurden noch ganz andere Vergehen durch den Stock geahndet, und auch dem weiblichen Geschlecht kein unbedingtes Pardon gewährt. Eine der Eintragungen lautet dann auch: “Sie (Klara S.) erhielt wegen Lügens drei Schlag mit dem Stocke auf den Rücken.“ Freilich gab es auch schon früher gewisse Grenzen, die ein Lehrer nicht überschreiten durfte. Beispielsweise beschwerte sich im Jahre 1909 eine Charlotte Benfer bei der Stadt Herford über die übermäßige Prügel, welche ihre 8 Jahre alte Tochter Ida an der Bürgerschule Wilhelmsplatz erhielt, und drohte mit Schadensersatzforderungen. Hierauf meinte der Gutachter, Sanitätsrat Dr. med. Lange: „Am Rücken ist (eine) geringe punktförmige Stelle von Blutunterlaufung, an der linken Wade sind zwei mäßig große Flächen blau und grün gefärbt. Falls so geschlagen wird, zeigen sich bei manchen Kindern leichte Blutunterlaufungen. Das ist nicht zu vermeiden und muss sein, wenn die Schläge gefühlt werden sollen.“ Er schließt mit der Bemerkung: „Unter keinen Umständen wird das Kind körperlichen Schaden dadurch behalten.“ Es musste also schon eine körperliche Verkrüppelung entstehen, damit es zu viel des guten Zuhauens war. Die seelischen Verkrüppelungen durch den Zustand des Ausgeliefertseins an einen Erwachsenen spielten noch keine Rolle in der glorreichen deutschen Kaiserzeit.

Wie oben bemerkt, wäre das Schlagen eines kleinen Mädchens, in der 1960er Jahren vermutlich nicht mehr ohne negative Konsequenzen für die Lehrkraft von statten gegangen. Durch die gesellschaftlichen Entwicklungen erfolgte bald ein generelles Stopp der schulischen Prügel. So wurde in NRW die Prügelstrafe am 22. Juni 1973 per Runderlass des Kultusministeriums an Schulen als „unzulässiges und überholtes Erziehungsmittel“ für beendet erklärt. Heute gilt die Prügelstrafe weiten Teilen des Volkes als Element der „schwarzen Pädagogik“.

Eine Pädagogik, welche durch Repressionen aller Art das Gute zu erreichen sucht, um doch, so das Verdikt, regelmäßig Schlimmes zu erreichen. Bleibt nur zu hoffen, dass die heutigen schulischen Bemühungen um das Wohl von Kind und Gesellschaft süßere Früchte tragen und in den Augen zukünftiger Generationen größere Milde finden werden als dies in unserer Zeit mit der körperlichen Züchtigung der Fall ist.

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 116, 18.03.2021, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

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