Ein ähnliches Verzeichnis der Volksschule Falkendiek aus der Zeit um 1910 verweist auf die ausgedehntere Nutzung der Prügelstrafe im deutschen Kaiserreich. Hier wurden noch ganz andere Vergehen durch den Stock geahndet, und auch dem weiblichen Geschlecht kein unbedingtes Pardon gewährt. Eine der Eintragungen lautet dann auch: “Sie (Klara S.) erhielt wegen Lügens drei Schlag mit dem Stocke auf den Rücken.“ Freilich gab es auch schon früher gewisse Grenzen, die ein Lehrer nicht überschreiten durfte. Beispielsweise beschwerte sich im Jahre 1909 eine Charlotte Benfer bei der Stadt Herford über die übermäßige Prügel, welche ihre 8 Jahre alte Tochter Ida an der Bürgerschule Wilhelmsplatz erhielt, und drohte mit Schadensersatzforderungen. Hierauf meinte der Gutachter, Sanitätsrat Dr. med. Lange: „Am Rücken ist (eine) geringe punktförmige Stelle von Blutunterlaufung, an der linken Wade sind zwei mäßig große Flächen blau und grün gefärbt. Falls so geschlagen wird, zeigen sich bei manchen Kindern leichte Blutunterlaufungen. Das ist nicht zu vermeiden und muss sein, wenn die Schläge gefühlt werden sollen.“ Er schließt mit der Bemerkung: „Unter keinen Umständen wird das Kind körperlichen Schaden dadurch behalten.“ Es musste also schon eine körperliche Verkrüppelung entstehen, damit es zu viel des guten Zuhauens war. Die seelischen Verkrüppelungen durch den Zustand des Ausgeliefertseins an einen Erwachsenen spielten noch keine Rolle in der glorreichen deutschen Kaiserzeit.
Wie oben bemerkt, wäre das Schlagen eines kleinen Mädchens, in der 1960er Jahren vermutlich nicht mehr ohne negative Konsequenzen für die Lehrkraft von statten gegangen. Durch die gesellschaftlichen Entwicklungen erfolgte bald ein generelles Stopp der schulischen Prügel. So wurde in NRW die Prügelstrafe am 22. Juni 1973 per Runderlass des Kultusministeriums an Schulen als „unzulässiges und überholtes Erziehungsmittel“ für beendet erklärt. Heute gilt die Prügelstrafe weiten Teilen des Volkes als Element der „schwarzen Pädagogik“.
Eine Pädagogik, welche durch Repressionen aller Art das Gute zu erreichen sucht, um doch, so das Verdikt, regelmäßig Schlimmes zu erreichen. Bleibt nur zu hoffen, dass die heutigen schulischen Bemühungen um das Wohl von Kind und Gesellschaft süßere Früchte tragen und in den Augen zukünftiger Generationen größere Milde finden werden als dies in unserer Zeit mit der körperlichen Züchtigung der Fall ist.
Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 116, 18.03.2021, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.
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