Lebkuchen, Punsch und Pfeffernüsse. Weihnachtliches aus dem Puppenkochbuch

17.12.2021 Niklas Regenbrecht

Die Titelseite von Henriette Löfflers „Kochbüchlein“ (5. Auflage 1901) zeigt drei Mädchen am Puppenherd, online unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/10054/1.

Christin Fleige

„O Weihnachtszeit! Glückselge Weihnachtszeit!  
Wie liegt der Schnee auf allen Straßen weit!
Wie bläst so kalt der Winterwind da drauß!  
Wie ist’s behaglich da im eignen Haus!  
Wo in der trauten Stube, hold durchweht
Von Tannenduft, der liebe Christbaum steht,  
Den in der wunderbaren Weihenacht
,Vom Himmel hoch‘ der heilge Christ gebracht.  
Und wie viel Gaben liegen ausgebreitet
Dort unterm Baum, daran das Aug‘ sich weidet!  

Die liebste aber wird dem Töchterlein
Vor allen stets die Puppenküche sein.
Ja, welche Küche, habt ihr je erschaut
So Niedliches, wie hier ist aufgebaut? […]
Und welch ein Wunder! Seht, der kleine Herd
Er ist zum eignen Kochen ja beschert!  
Zum eignen Kochen für das Töchterlein,
Daß es als Kind schon möge Hausfrau sein.  
Damit es lerne schon im heitern Spiele,
Wie man bereiten kann der Speisen viele. […]“
(Jäger 1895, S. 3)

Die Werbefotografie zeigt eine Puppenküche mit umfangreicher Ausstattung, im Hintergrund Puppengesellschaft und Weihnachtsbaum (Jäger 1895, o.S.), online unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/8813/230.

Der „kleine Herd“, ein sogenannter Puppenherd, war seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Spielzeug und Weihnachtsgeschenk für junge Mädchen aus bürgerlichen Familien. Dabei handelte es sich um einen freistehenden Herd  mit einer Höhe von bis zu 30 cm, der mit Spiritus beheizt werden konnte und somit eine voll funktionsfähige verkleinerte Nachbildung eines „normalen“ Herdes darstellte. Die meisten Modelle waren mit mehreren Kochstellen sowie einem Backofen ausgestattet, das zugehörige Kochgerät umfasste u.a. Töpfe und Kasserollen, Wasserschiffchen, Backformen, Schüsseln und Geschirr. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Herde und das Equipment immer detail- und umfangreicher, sodass z.B. ausklappbare Seitenwände als zusätzliche Ablagefläche fungieren konnten und sich sogar ein Waffeleisen oder ein Erbsendrücker für die Puppenküche erwerben ließen. „Aber was sollen wir damit anfangen? ist eine Frage, die ich gar häufig aufwerfen hörte“, schreibt Henriette Löffler im Vorwort zu ihrem „Kleinen illustrierten Praktischen Kochbüchlein für die Puppenküche“ – und weiter: „Um Eure Verlegenheit zu heben, habe ich mich hingesetzt und ein kleines Kochbüchlein geschrieben, welches Euch in den Stand setzen wird, alle möglichen Speisen und Leckereien zu bereiten.“ (Löffler 1901, S. III)

Titelseite der sechsten Auflage von Henriette Davidis‘ „Puppenköchin Anna“ (1881), online unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/13621/1.

Solche sogenannten Puppenkochbücher richteten sich als Ergänzung zum kleinen Herd an Mädchen im Alter von etwa 8 bis 14 Jahren. Sie enthielten Rezepte und Speisezettel, warenkundliche Informationen, Anleitungen zur Benutzung von Kochutensilien und häufig auch kurze Erzählungen mit erzieherischer Intention. Die ersten Puppenkochbücher wurden Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlicht; viele erschienen über Jahrzehnte hinweg in zahlreichen Auflagen. Zu den Verfasserinnen zählten auch einige bekannte deutsche Kochbuchautorinnen – neben Henriette Löffler (1780–1848) z.B. Henriette Davidis (1801–1876), deren „Puppenköchin Anna. Praktisches Kochbuch für kleine liebe Mädchen“ zwischen 1856 und 1898 in neun Auflagen herausgegeben wurde. Sowohl Löffler als auch Davidis nutzten ihre eigenen Kochbücher, die sie bereits für erwachsene Frauen geschrieben hatten, als Vorlagen: Davidis‘ „Praktisches Kochbuch“ bzw. Löfflers „Großes illustriertes Kochbuch“. Auch die meisten anderen Puppenkochbücher waren hinsichtlich des Aufbaus und Inhalts an Kochbücher für Erwachsene angelehnt, allerdings in der Regel nicht so umfangreich wie ihre Vorlagen.

„Fleisch und Fleischspeisen lassen sich in der Puppenküche deshalb nur schwer herstellen, weil ihre Bereitung viel Zeit und längeres Feuern erfordert; deshalb soll aber doch das Nötigste hierüber nicht fehlen […]“ (Löffler 1901, S. 31, Abb. S. 33), online unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/10054/45.

Als historische Quellen geben Kochbücher Auskunft über das kulturell geprägte System der Küche in vergangenen Zeiten – über die Aufbewahrung, Zubereitung und Konservierung von Speisen, die Verbreitung „fremder“ Nahrungsmittel, zeitgenössische Gesundheitsdiskurse, Alltags- und Festtagsspeisen und vieles mehr. Dabei stellen die Puppenkochbücher, die sowohl den Haushaltsratgebern als auch der Mädchenliteratur zugerechnet werden können, einen Spezialfall dar, denn die darin enthaltenen Rezepte sind insofern an die Möglichkeiten der Puppenküche angepasst, als sie in der Regel eher einfach gehalten sind und ohne komplizierte Zubereitungsarten und anspruchsvolle oder kostspielige Zutaten auskommen. Stattdessen spielt die pädagogische Dimension eine besondere Rolle: Da sie die Mädchen spielerisch an die Lebenswirklichkeit der Erwachsenen heranführen sollten, lieferten die Puppenkochbücher nicht nur die Anleitung zur praktischen Benutzung des Herdes, sondern vermittelten und verstärkten darüber hinaus auch zeitgenössische kulturell geprägte Normen und gesellschaftliche Strukturen, z.B. hinsichtlich bürgerlicher Geschlechterrollen. Zweck des Puppenherdes und -kochbuches war es schließlich, das Mädchen auf seine spätere Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter vorzubereiten. Dem bürgerlichen Frauenbild entsprechend propagierten die Kochbücher das Ideal des folgsamen, „lieben Mädchens“ und das Bild der bürgerlichen Hausfrau, zu deren wichtigsten Tugenden Disziplin, Fleiß, Sauberkeit und Sparsamkeit zählten.

Tatsächlich lagen Spiel und Ernst beim Kochen am Puppenherd nah beieinander, denn die Benutzung des Spiritusherdes und einzelner Kochutensilien barg durchaus Verletzungsgefahren und auch der Umgang mit Lebensmitteln erforderte ein gewissenhaftes und sorgfältiges Verhalten. Wenngleich in vielen Puppenkochbüchern betont wird, dass das Kochen am Puppenherd immer unter Aufsicht eines Erwachsenen erfolgen solle, wurde den Mädchen auf diese Weise schon früh Verantwortung übertragen.

Rezept für Zimtsterne (Löffler 1901, S. 89), online unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/10054/101.

Die potenziell gefährliche Handhabung des kleinen Herdes und die daraus resultierende Notwendigkeit der Beaufsichtigung durch eine erwachsene Person mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass der Puppenherd in der Regel nur für einen begrenzten Zeitraum im Haus aufgestellt wurde. Meist wurde er zu Weihnachten aufgebaut und spätestens zu „Mariä Lichtmess“ (2. Februar) gemeinsam mit dem Weihnachtsbaum weggeräumt. Erst zum nächsten Weihnachtsfest wurde das Spielzeug wieder hervorgeholt. In der Weihnachtszeit konnten sich die Mädchen am Puppenherd ausprobieren, ihre Freundinnen zu Tee- oder Kaffeegesellschaften einladen, Puppengesellschaften abhalten oder die zubereiteten Speisen von der Familie verkosten lassen. Dementsprechend finden sich in den meisten Puppenkochbüchern auch Rezepte für Speisen – insbesondere Gebäcke –, die noch heute typischerweise in der (Vor-)Weihnachtszeit besonders beliebt sind: „Zimmtsterne“, Lebkuchen, Anisplätzchen und „Pfeffernüßchen“, aber auch ein „Weihnachtspudding“ sind beispielsweise zu finden. Und selbst Glühwein, Punsch und Grog durften in Löfflers „Kochbüchlein“ nicht fehlen (S. 98, 100) – auch wenn das Vorkommen von Alkohol in Rezepten für Kinder aus heutiger Sicht befremdlich erscheinen mag, sind geringere Mengen an Alkohol in den Zutatenlisten der Puppenkochbücher keine Seltenheit.

Speisezettel aus dem „Praktischen und erprobten Kinder-Kochbüchlein“ für die Weihnachtstage… (N.N. 1865, S. 59), online unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/13340/61.

Neben einzelnen vorweihnachtlichen Rezepten sind in einigen Büchern außerdem Speisezettel enthalten, die eine konkrete Speisenabfolge speziell für die Weihnachtstage vorschlagen: Im „Praktischen und erprobten Kinder-Kochbüchlein“ aus dem Jahr 1865 finden sich z.B. Speisezettel für den Weihnachtsabend, den Ersten, Zweiten und sogar Dritten Weihnachtsfeiertag sowie für den Neujahrstag (S. 59 f.).

Wenn auch heute noch die ein oder andere Kinderküche unter dem Weihnachtsbaum zu finden ist, so handelt es sich in der Regel um Modelle aus Holz oder Kunststoff, die nicht mehr beheizbar und auch weniger starr an Geschlechterstereotype gebunden sind. Kreative Speisen lassen sich gewiss dennoch damit zaubern – sogar ganz ohne Puppenkochbuch.

…und für das Neujahrsfest (N.N. 1865, S. 60), online unter https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/13340/62.

Quellen:

Davidis, Henriette (1881): Puppenköchin Anna. Praktisches Kochbuch für kleine liebe Mädchen (6., verb. und verm. Auflage, neu bearb. von Theodore Trainer). Leipzig: Seemann.

Jäger, Anna (1895): Haustöchterchens Kochschule. Ein Kochbuch mit Wage und Maßgeräten im Puppenmaß für Spiel und Leben (2., verm. und verb. Auflage). Ravensburg: Otto Maier.

Löffler, Henriette (1901): Kleines illustriertes Praktisches Kochbüchlein für die Puppenküche (5. Auflage, neu bearb. und reich illustr.). Ulm: J. Ebner.

N.N. (1865): Praktisches und erprobtes Kinder-Kochbüchlein. Nützliche Weihnachtsgabe für Mädchen. Nürtingen: J. Fr. Raiger.