Sebastian Schröder
Was haben ein Bett für den Osnabrücker Bischof und Wildschweinfüße am Tor des Stifts Quernheim gemeinsam? Zugegeben: Auf den ersten Blick rein gar nichts. Bei genauerem Hinsehen gibt es aber erstaunliche Parallelen. Doch erstmal der Reihe nach.
Im Jahr 1769 erhielten die Quernheimer Stiftsdamen Post aus Minden, genauer gesagt vom Kammerfiskal des gleichnamigen Fürstentums. Dessen Position könnte man mit derjenigen eines heutigen Staatsanwalts vergleichen. Der landesherrliche Ankläger warf den frommen Frauen vor, dass ihre Jäger unerlaubt ein Reh geschossen hätten. Jagdstreitigkeiten kamen früher durchaus häufiger vor. Und so suchten die Damen in ihrem Archiv nach Schriftstücken, um ihre Berechtigung zu beweisen. Dabei entdeckten sie die Abschrift eines Zeugenverhörs vom 20. August 1760. Seinerzeit hatte der damals 73-jährige Jäger Gerd Wilhelm Niehaus die Grenzen des Quernheimer Jagdbezirks beschrieben. Das Gebiet erstreckte sich laut seiner Aussage bis an die Grenze des Amtes Hausberge, den Kamm des Wiehengebirges oberhalb von Nettelstedt, Gehlenbeck und Lübbecke, den Gevinghauser Bach beziehungsweise die dort befindlichen Wassermühlen sowie die Else. Das Stift sei berechtigt, innerhalb dieses Distrikts Groß- und Kleinwild zu jagen. Leider habe er selbst noch nie das Glück gehabt, größere Wildtiere zu erlegen, zeigte sich Niehaus enttäuscht. Sein Vorgänger, Christoph Niemann, hätte in dieser Hinsicht mehr Erfolg gehabt. Auf der Pirsch im Dünner Feld sei ihm ein Wildschwein vor die Flinte gelaufen. Die Füße des erlegten Borstentiers habe der stolze Jäger an das Eingangstor des Stifts genagelt. Noch 1760 sei der Beweis des Jagdglücks dort zu bestaunen gewesen. Die Klauen sollten natürlich verdeutlichen, dass das Stift Quernheim die Berechtigung besitze, Großwild zu jagen – kein Landesherr, kein Kammerfiskal und auch sonst niemand sollte daran zweifeln. Die Schweinefüße waren also ein Symbol für den Rechtsanspruch der Stiftsdamen.
Konnte aber ein bischöfliches Bett eine ähnliche Funktion haben? In der Frühen Neuzeit, also den Jahrhunderten zwischen 1500 und 1800, zählte das Stift Quernheim in weltlicher Hinsicht zum Amt Reineberg, einem Verwaltungsbezirk im Fürstbistum Minden. Bis 1648/50 stand ein Bischof an der Spitze dieses Territoriums, ehe es an die brandenburgischen Kurfürsten (die späteren preußischen Könige) überging. Aus einem geistlichen Fürstbistum wurde dadurch ein weltliches Fürstentum. In Quernheim bestand eine besondere Situation: Der Mindener Bischof genoss zwar die weltliche Herrschaft in diesem Gebiet, nicht jedoch die geistliche. Denn Quernheim gehörte zur Diözese Osnabrück, dem geistlichen Sprengel des dortigen Bischofs. Hinzu kommt, dass im Mittelalter und noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts die lippischen Edelherren die Vogteigewalt, das heißt die Schutzherrschaft über das Kloster beziehungsweise Stift ausübten. Die Quernheimer Stiftsfräulein hatten es demnach gleich mit drei mächtigen Herren zu tun, nämlich den Bischöfen von Osnabrück und Minden sowie den Edelherren zur Lippe. Jeder dieser Potentaten rang um Macht – und letztlich um die oberste Entscheidungsbefugnis über das Stift Quernheim. Diese Ausgangssituation führte zwangsläufig zu teils heftigen Auseinandersetzungen. Die Territorialherrscher rangen jedoch nicht nur untereinander, sondern auch die Jungfern waren mitunter direkt in die Konflikte involviert. So verlangten die osnabrückischen Räte die Lieferung eines Bettgestells mit allem Zubehör, sobald ein neuer Bischof in Osnabrück sein Amt antrete. Es handele sich angeblich um ein „uraltes“ Recht, wie die Beamten des geistlichen Würdenträgers unmissverständlich im Zuge eines Prozesses in den 1660er-Jahren behaupteten. Die frommen Frauen sahen das etwas anders und zeigten sich uneinsichtig.
Die Pflicht zur Abgabe eines Bettes an den Osnabrücker Bischof sollte dessen Herrschaftsbefugnis verdeutlichen. Oder anders ausgedrückt: Steuern und sonstige Verpflichtungen zeigen immer die Zuordnung zu einem bestimmten Gemeinwesen an. Doch genau hier lag das Problem: Da das Stift Quernheim im Visier gleich mehrerer Mächte lag, mussten sich geradezu zwangsläufig Kontroversen über die territoriale Zugehörigkeit ergeben.
Bett und Wildschweinfüße stehen somit Pate für die vielfältigen Herrschaftsgeflechte, in die das Stift Quernheim eingebunden war – ganz ohne Zwist verliefen die Begegnungen mit den diversen Obrigkeiten dabei nicht.
Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 124, 19.04.2023, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.