Von der Kuh bis zur Kühltheke: Rationalisierung und technische Innovationen der Milchproduktion

06.09.2024 Marcel Brüntrup

Paula Schubert

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts galt die Wärme von Milch als Frischemerkmal. Um sie länger als ein paar Tage gebrauchen zu können, wurde sie haltbar gemacht. Das war – genau wie das Melken – anstrengende Handarbeit. Die Frischmilch wurde zu Käse, Quark oder Butter weiterverarbeitet. Hierzu musste sie in Rahm und Magermilch getrennt werden. Das geschah mithilfe von sogenannten Setten, Abrahmschalen, in die die Milch gefüllt wurde. Nach einiger Zeit in kühler Umgebung, setzte sich der Rahm oben ab und konnte abgeschöpft werden. Darunter blieb die Magermilch übrig.

Eine revolutionäre Erfindung

1876 erfand Wilhelm Lefeldt (1836–1913) die Milch-(Trommel-)Zentrifuge. Sie wurde von Gustav de Laval (1845–1913) und Clemens Freiherr von Bechtolsheim (1852–1930) weiterentwickelt. Mithilfe von Zentrifugalkraft konnten die Separatoren die Milch nun sehr viel schneller und in größeren Mengen als zuvor in Sahne und Magermilch trennen.

Markenschild auf der Milchzentrifuge, Foto: Historisches Museum Bielfeld.
Handbetriebene Milchzentrifuge von 1925 aus dem Werk der 1893 gegründeten Firma Ramesohl & Schmidt AG aus Oelde, ab 1941 Westfalia Separator AG. Foto: Historisches Museum Bielefeld.

Für die sich zu Ende des 19. Jahrhundert professionalisierende Milchindustrie war die Erfindung der Milchzentrifuge revolutionär. Sie legte den Grundstein für die Entstehung des modernen Molkereiwesens. Die zentrifugierte Milch war bald die Basis für fast alle Molkereiprodukte, deren Fettgehalt nun genau kontrolliert werden konnte.

In Genossenschaften zusammengeschlossen konnten Bäuerinnen und Bauern an den neuen Technologien teilhaben und ihre Ware auch überregional verkaufen. Eine Gründungswelle genossenschaftlicher Molkereien seit Ende des 19. Jahrhunderts war die Folge. Auch die Gründung der Molkereigenossenschaft Bielefeld eGmbH 1910 fällt in diese Zeit. 225 Genossenschaftsmitglieder finanzierten gemeinsam den Bau der Molkerei Bielefeld. Um konkurrenzfähig zu bleiben, beschlossen sie 1952 einen Neubau errichten zu lassen, der mehr Platz bot und mit neuster Technik ausgestattet war.

Die Bielefelder Molkerei in der Markgrafenstraße 7, 1950, StArchBi, Fotosammlung, 31-102-6, Foto: Ernst Lohöfener.
Der Neubau der Bielefelder Molkerei an der Oldentruper Straße 115, 1954, Foto: Ernst Lohöfener.
Milchzentrifugen der Marke Westfalia Separator in der neugebauten genossenschaftlichen Molkerei Bielefeld, 1954, Foto: Ernst Lohöfener.
Diese Miele Melkmaschine von 1962 war in der Ausstellung „Von der Kuh bis zur Kühltheke – Eine kleine Geschichte der Milch“ des Historischen Museums Bielefeld zu sehen, Leihgabe Miele Museum Gütersloh, Foto: Paula Schubert.

Kuh und Maschine

Ab Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten Erfinder und Erfinderinnen verschiedene Apparate, die das Melken erleichtern sollten. Diese Erleichterung verspürten vor allem die Menschen und weniger die Kuh, für die die frühen Versuche mit Melkapparaten sehr schmerzhaft waren. Im Laufe der Jahre wurde die Technik weiterentwickelt. Da es nach den Weltkriegen an Arbeitskräften mangelte, wurde der Einsatz von Melkmaschinen immer beliebter. Auf der Ausstellung der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft 1950 in Hamburg gab es bereits 50 verschiedene Melkmaschinen zu sehen, die das Melken für die landwirtschaftlichen Betriebe effizienter machen sollten. Heute ist für den Melkvorgang in Großbetrieben häufig überhaupt keine Arbeitskraft mehr erforderlich: Durch den Einsatz von Melkanlagen und Melkrobotern geschieht das vollautomatisch.

Doch nicht nur die Milchgewinnung und -verarbeitung veränderte sich im Laufe der Zeit. Die Kühe wurden so gezüchtet, dass sie eine höhere Milchleistung erbrachten. Die Folge waren schwerere und behäbige Tiere, die mit Euterentzündung (Mastitis) oder Stoffwechselstörungen für immer geringere Erzeugerpreise bezahlten.

Hitze und Druck

Der französische Wissenschaftler Louis Pasteur (1822 – 1895) entwickelte 1863 ein technisches Verfahren zur Haltbarmachung von Milch: die sogenannte Pasteurisierung, bei der die Milch auf mindestens 60 Grad Celcius erhitzt wird, um Mikroorganismen abzutöten. Schnell etablierte sich diese Methode als Standardverfahren der Milchverarbeitung. Knapp hundert Jahre später kam die Homogenisierung hinzu. Dabei wird die Milch unter hohem Druck durch Düsen gepresst, um die enthaltenen Fettkügelchen zu zerkleinern. Dadurch wird das Absetzen des Rahms in der Milch verhindert. Seit Ende der 1980er Jahre ist es zudem möglich, bestimmte Bestandteile der Milch anhand von Membranfiltration abzutrennen, eine Voraussetzung für neue Innovationen wie laktosefreie oder mit extra Protein angereicherte Milchprodukte.

Der Druck auf die Milch stieg kontinuierlich. Damit sind nicht nur die Diskussionen um Milchkonsum, Milchpreis und Milchüberproduktion gemeint, sondern auch der mechanische Druck, der bei der Verarbeitung der Milch auf sie ausgeübt wird. Auf Letzteren sind Probleme zurückzuführen, wie verminderte Käsetauglichkeit, mangelnde Schlagfähigkeit der Sahne oder Geruchs- und Geschmacksfehler.

Es wird kühl

Die Erfindung der Kältemaschine 1876 von Carl von Linde ermöglichte die Entwicklung des Kühlschranks. Die Aufbewahrung temperatursensibler Lebensmittel, etwa von Milchprodukten, wurde dadurch erheblich erleichtert. Die Weiterentwicklung des Kühlschranks ließ ihn allmählich alltagstauglich werden. Einer kommerziellen Vermarktung stand nun nichts mehr im Wege. Erst ab den 1960er Jahren, 30 Jahre später als in den USA, gehörten Kühlschränke und Tiefkühltruhen langsam zur Standardausstattung deutscher Haushalte. Bis dahin behalf man sich mit der Lagerung von Nahrungsmitteln wie Milch in kühlen Kellern, mithilfe von Eisblöcken oder durch Haltbarmachung.

Damit die Rohmilch bis zur Abholung beim Bauern nicht kippte, konnten Milchkühler genutzt werden. Diese wurden auf die Milchkanne gesetzt. Dabei ragte ein gebogenes Metallrohr in die Milch in der Kanne. Ein angeschlossener Wasserschlauch brachte es zum Rotieren, so dass die Rohmilch gerührt und gleichzeitig gekühlt wurde. Das Wasser lief anschließend wieder oben aus dem Kühler heraus und an der Außenwand der Kanne hinunter.

Das Kühlermodell ist von der nordrhein-westfälischen 1954 gegründeten Firma Lister. Noch heute stellt das Unternehmen in Lüdenscheid Milchkühlungsanlagen her, Foto: Historisches Museum Bielefeld.
Tetra Pak Maschine, 1966, StArchBi, Fotosammlung, 31-102-18, Foto: Borowka.

Besser verpackt

Das Voranschreiten von Rationalisierung und technischer Innovation in der Milchwirtschaft lässt sich auch gut am Wandel der Milchverpackungen im Laufe der Jahre erkennen. Zunächst wurde Milch lange in Emaille- und Aluminiumkannen transportiert und aufbewahrt. Um 1900 setzten sich Glasflaschen durch, die mit Deckeln aus Pappe und später Aluminium verschlossen wurden. 1951 wurde in Schweden die Firma Tetra Pak gegründet. Sie stellte zunächst tetraederförmige, später auch rechteckige Milchverpackungen her. Diese bestanden aus beschichtetem Karton, waren keimfrei und leicht. Der Transport war daher kostengünstig möglich. Seit den 1960er bis Anfang der 2000er Jahre wurde Milch auch in Plastikschläuchen verkauft. Um die Milch auszuschenken wurde der Schlauch in einen Milchausgießer gestellt und eine Ecke der Packung abgeschnitten. Heute haben sich der Tetra Pak und die Glasflasche mit Schraubverschluss im Kühlregal durchgesetzt.

Milchkanne – 1920er bis 1940er Jahre, Milchflasche aus Glas – 1950/60er Jahre, Milchschlauch und Milchausgießer – 1960er Jahre, Tetra Pak –1980er Jahre, Foto: Historisches Museum Bielefeld.

Milch auf neuen Wegen

Gegenwärtig verzichten immer mehr Menschen aus Gründen des Tier-, Umwelt- oder Gesundheitsschutzes auf den Konsum von Kuhmilch und bevorzugen stattdessen Alternativen, hergestellt aus Soja, Reis oder Hafer. Der Kuhmilchverbrauch sinkt. Einen gegenläufigen Trend zeigen funktionale Milchprodukte, die mit extra Proteinen oder Probiotika versetzt sind. Sie gewinnen an immer mehr Beliebtheit.

Ob der Kuhmilchkonsum in den nächsten Jahren weiterhin sinken wird, oder ob teure Werbemaßnahmen der Milchindustrie wie die „Initiative Milch“ zu einem Anstieg des Verbrauchs führen werden, bleibt abzuwarten.

Literatur:

Brüntrup, Marcel: Werbeprospekt Alfa-Melkmaschine. In: Graugold. Magazin für Alltagskultur, 4(2023), S. 106 – 107.

Fink-Keßler, Andrea (2013). Milch - vom Mythos zur Massenware. München.

Ottenjann, Helmut & Ziessow, Karl-Heinz (Hg.) (1996). Die Milch. Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels. (Eine kulturwissenschaftliche Schriftenreihe, 4). Cloppenburg.

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