Ob wohl eine Stellungnahme aus den 1760er-Jahren dazu beigetragen hat, dass die hochaufragenden Blumen heutzutage auf westfälischen Äckern keine große Relevanz besitzen? Seinerzeit experimentierte der preußische Amtmann Johann Ernst Tiemann, der für das ravensbergische Amt Brackwede im Osten Westfalens unweit der Stadt Bielefeld verantwortlich zeichnete, „mit Sonnen-Blumen behuef Öhl-Pressens“. Im April 1765 berichtete Tiemann, der ein sehr experimentierfreudiger Zeitgenosse und einer der profiliertesten Vertreter aufgeklärten Gedankenguts in der Region war, dem Preußenkönig „von dem Erfolg der angestelten Versuche“. Von „Erfolg“ könne jedoch eigentlich keine Rede sein, monierte der Amtmann. Es sei nämlich unmöglich, durch den Verkauf des gewonnenen Sonnenblumenöls alle Aufwendungen zu decken. Einerseits lehre seine Erfahrung, „daß das Land, worin die Saamen-Körner gelegt werden, von denen darauß hervorwachsenden grossen Sonnen-Bluhmen gantz ausgemergelt, und vom Dünger entblösset wird.“ Andererseits müsse jede Pflanze an einen „tüchtigen Keil oder Stock“ angebunden werden, damit sie nicht umknicke. Derartige „Bluhmen-Stangen“ gerieten dem Holzbestand zum Nachteil, kritisierte der Amtmann, weil die Landbevölkerung derartige Stöcker in den ohnehin ruinierten Wäldern suche. Gleichwohl wusste er: „Geschiehet diese Anbindung nicht, so schlägt ein etwas heftiger Wind, welcher im Sommer insgemein mit denen Gewittern begleitet ist, alle Stangen nieder und knicket selbige, daß sie dadurch zum ferneren völligen Wachsthum nicht gelangen, mithin auch keinen reiffen Saamen produciren können.“ Er selbst habe im Jahr 1763 schmerzlich erlebt, dass seine aufgestellten dürren Stangen der Witterung nicht standhielten, sodass alle Blumen ins Lager gingen, wie das Abknicken von Halmen oder Fruchtständen in landwirtschaftlichen Fachkreisen heißt. Wenn die Stöcker zu kurz gewählt würden, nähmen trotz der Vorkehrungen die Blütenköpfe immer noch Schaden.
Zudem hatte sich Tiemann einen weit höheren Ertrag erhofft. Obschon er an einigen Pflanzen bis zu acht Köpfe zählte, sei die Ausbeute an Samen bescheiden geblieben. Das hänge damit zusammen, wie der Amtmann erklärte, dass die kleineren Samenstände verhältnismäßig spät blühten, demzufolge nicht mehr richtig reiften und sich somit nur minderwertiges Öl ausbilde. Doch nicht nur die späte Reife trieb dem Beamten Sorgenfalten auf die Stirn. Ferner ergötzten sich Vögel an den reifen Samenkörnern. Menschliche „Scheuchers“ und mechanische „Klapper-Mühlen“ könnten punktuell Abhilfe schaffen. Allerdings sei das Aufstellen von Vogelscheuchen und das Bewachen der Felder mit nicht geringem Aufwand verbunden. Schließlich erweise sich das ostwestfälische Wetter für den Anbau von Sonnenblumen als hinderlich: „Endlich wird ein trockener Sommer erfordert, wenn der Saamen zum Öhl-Schlagen tauglich bleiben soll. In Anno 1763 war bekanntlich eine ausserordentliche Nässe, und der Saame, welchen ich eigentlich erndten konte, war durch das angehaltene Regen-Wetter in denen Köpfen schwartz, und dem Anschein nach faul geworden, weshalb auch der Öhl-Müller, welchen ich zum Schlagen besprochen hatte, versicherte, wie auß denen ihm vorgezeigten Körnern, nichts gepresset werden könte.“
Am Ende seines Gutachtens zog Amtmann Tiemann Bilanz: Von der Kultivierung von Sonnenblumen zwecks Ölgewinnung rate er dringend ab – speziell galt diese Aussage natürlich für das Ravensberger Land im Osten Westfalens. Letztlich konnten sich die Vorteile und der Nutzen dieser Pflanzengattung in der Praxis nicht bestätigen, schlussfolgerte der etwas geknickte Tiemann. Und so mündeten die Versuche mehr oder weniger in einer Enttäuschung. Ravensberg blieb das „Linnenländchen“ der preußischen Monarchen – anstelle von Sonnenblumen und Ölpressen behielten also Flachs, Spinnräder und Webstühle die Oberhand.
Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 406: Kultivierung von Futterkräutern, 1763–1803.