Schwerpunkt Fotografie: Ritual, Rausch, Entgrenzung

03.09.2024 Kathrin Schulte

Feiern als Sujet in Polizeifotoalben aus der NS-Zeit

Annina Hofferberth

Weihnachten, Familienfeste, Kundgebungen, … – Feiern sind außeralltägliche Ereignisse, sie strukturieren wiederkehrend das Jahr und werden als besondere Highlights erinnert. Teil dieses Erinnerns ist auch das Fotografieren solcher Feiern und die Aufbewahrung der Fotografien in Fotoalben. Voraussetzung dafür war die Popularisierung der privaten Fotografie: Weil das Filmmaterial immer kostengünstiger wurde und einfacher zu handhaben war (Rollfilm) und auch, weil die Kameras immer kleiner und leichter wurden und überdies zunehmend einfacher zu bedienen waren (Kleinbildkamera), entwickelte sich das Fotografieren seit Mitte der 1920er Jahren zu einer beliebten (Freizeit)Beschäftigung. 1939 besaßen bereits sieben Millionen Deutsche eine Kamera. So ist es nicht verwunderlich, dass Fotografien ihrer Arbeit und Freizeit, ihres Familienlebens und ihrer Umwelt in vielen Fotoalben dokumentiert sind. Auch diejenigen, die als Ordnungspolizisten oder Soldaten eingesetzt waren, hielten ihren Dienstalltag und ihre Freizeit mithilfe zahlreicher Fotografien fest, die vielfach sorgsam in Alben eingeklebt wurden. Einige solcher Alben werden in der Sammlung des Geschichtsorts Villa ten Hompel in Münster aufbewahrt und sind Grundlage der folgenden Ausführungen.

Auf einer der ersten Seiten des Fotoalbums eines unbekannten Polizisten sind Aufnahmen verschiedener Feiern eingeklebt (Foto: Villa ten Hompel, Depositum 335).

Das Fotoalbum eines Polizisten aus dem Polizei-Bataillon 208 mit Schwerpunkt auf den Jahren 1939 und 1940 enthält zahlreiche meist undatierte Fotografien in verschiedenen Größen, die nach Themen geordnet eingeklebt wurden. Die unterschiedlichen Formate, Materialien und Bildkompositionen lassen darauf schließen, dass in das Album auch getauschte und gekaufte Fotografien eingeklebt wurden.

Zwei vermutlich gekaufte Fotografien zeigen eine Parade vorbeimarschierender Polizisten, mit uniformierten Männern im Vordergrund, die den Arm zum sogenannten Hitlergruß gehoben haben. Vermutlich handelt es sich hier um eine Parade anlässlich Hitlers Geburtstag, denn die Aufnahme ist datiert auf den 20. April 1939. Die Perspektive mit leichter Obersicht und die Bildqualität lassen einen professionellen Aufnahmekontext vermuten. Die Auswahl der beiden Bilder für das private Fotoalbum verrät also etwas über das Weltbild des unbekannten Polizisten: Er hat die Männlichkeit, Disziplin und Ordnung suggerierenden Fotos für aufbewahrens- und erinnerungswert erachtet.

Eine Fotopostkarte zum Tag der Deutschen Polizei 1938 verweist auf den Bezug zwischen Polizei und Adolf Hitler bei einem Vorbeimarsch vor dem Haus der Deutschen Kunst (Foto: Villa ten Hompel, Depositum 335).

Einen Bezug zum Reichskanzler Adolf Hitler bietet ein weiteres eingeklebtes Foto, dessen Bildaufbau ebenfalls auf einen professionellen Aufnahmekontext verweist: Der Fokus liegt auf Hitler, der an einer Reihe von Ordnungspolizisten vor dem Haus der Deutschen Kunst in München vorbeigeht. Dass diese Postkarte ergänzend zu den privaten Erinnerungen eingeklebt wurde, belegt den Stolz des Albumeigentümers über den Bezug zwischen Polizei und Hitler.

Disziplin und Ordnung auf einem Foto, Exzess und Chaos auf dem anderen – beide Abbildungen von Feiern zeigen, wie die Vorstellungen von Zusammenhalt und Kameradschaft unter Polizisten ausgedrückt werden konnten (Foto: Villa ten Hompel, Depositum 335).

Ein anderes Foto im Album, das direkt neben dem Bild einer Parade platziert wurde, vermittelt alles andere als Disziplin und Ordnung: Es zeigt einen ‚Kameradschaftsabend‘ – Zusammenkünfte, die regelmäßig in verschiedenen NS-Organisationen und anderen Gruppierungen wie der Polizei durchgeführt wurden. Sie konnten Vorträge und Reden enthalten, hatten aber immer auch eine gesellige Komponente, die sich auch auf diesem Gruppenfoto zeigt: 35 Männer, einige geschminkt oder mit Blumen in der Hand, rufen, grinsen oder lächeln in die Kamera. Nicht wenige wirken angetrunken, mindestens einer hält noch eine Weinflasche, ein anderer eine Zigarette in der Hand. Die ausgelassene Feierstimmung ist offensichtlich. Nur die Uniform des unten links abgebildeten Manns und das Unterhemd mit Reichsadler und Hakenkreuz (s. dritter Mann von unten links), das ebenfalls zur offiziellen Ausstattung gehörte, verweisen auf die Gruppenzugehörigkeit als Polizisten.

Ausgelassene Stimmung beim ‚Kameradschaftsabend‘ von Polizisten: Einige von ihnen haben Blumen, Zigaretten und Flaschen in Händen, viele wirken betrunken. (Foto: Villa ten Hompel, Depositum 335).

Eine Notiz auf der Rückseite der Fotografie verrät, dass sie aus Anlass eines ‚Kameradschaftsabend[s]‘ und der ‚Abschiedsfeier des Hauptmanns Bendl. Norwegen‘ am 1. Juli 1943 gemacht wurde. Der chaotische, exzessive Eindruck steht aber nur auf den ersten Blick im Gegensatz zu der Ordnung der vorherigen Bilder – sie ist vielmehr das in der Propaganda verschwiegene, aber notwendige Gegenstück zu dieser. Um die Tage und Wochen disziplinierter Aufmärsche, das stundenlange Stehen und Marschieren attraktiv zu gestalten, waren Freiräume als Ausgleich erforderlich. So fanden auch am Rande scheinbar perfekt organisierter Großveranstaltungen wie den Reichsparteitagen Saufgelage, Gewalttaten und Übergriffe statt. Von diesen gibt es nur deswegen keine offiziellen Belege, weil sowohl die Propaganda als auch viele Teilnehmende und Zuschauer*innen sie aktiv ausblendeten. In einem privaten Fotoalbum hingegen gehört der Exzess zu der Erzählung dazu – denn jede der hier besprochenen Aufnahmen referenziert Motive von Zusammenhalt und Kameradschaft in verschiedenen Ausprägungen.

BU: Das Nebeneinander von Antisemitismus, Kriegszerstörungen und Feierstimmung im Fotoalbum vermittelt das Verständnis von Alltag des Albumautors (Foto: Villa ten Hompel, Depositum 26).

Auch das Fotoalbum eines anderen Polizisten enthält neben Aufnahmen von offiziellen Aufmärschen auch ein Gruppenfoto anlässlich Weihnachten 1939. Auf den ersten Blick wirkt es geordneter: Männer in Uniform sitzen und stehen um einen Tisch herum, einige haben die Arme um ihren Nachbarn gelegt, vor ihnen stehen Bierkrüge und im Hintergrund erkennt man einen geschmückten Weihnachtsbaum. Während die Männer nüchtern(er) erscheinen, verweist der Alkohol hier ebenfalls auf Geselligkeit. Er gewinnt durch den Kontext der anderen Fotos auf der Seite aber noch eine weitere Bedeutung: Die mit Unterschriften wie „Juden am Neuen Markt“, „Unser Überfallwagen“ und „Zerstörtes Haus“ versehenen Aufnahmen verweisen auf die Rolle des Alkohols als Katalysator von Gewalttaten und Massenverbrechen während des Zweiten Weltkriegs und die Rolle der Feste als Mittel der Ablenkung vom Alltag. Damit ermöglicht auch der vermeintlich eindeutige Blick auf Aufnahmen von Festen Einblicke in die Funktionsweise von Propaganda, die Selbst- und Weltbilder von mutmaßlichen Tätern und ihre Vergemeinschaftung in der NS-Zeit.

 

Literaturhinweise

Jürgen Matthäus: Austauschbare Kriegsbilder. Anmerkungen zu privaten Fotoalben von Deutschen im „Osteinsatz“. In: Thomas Köhler, Jürgen Matthäus, Thomas Pegelow Kaplan, Peter Römer (Hg.): Polizei und Holocaust. Eine Generation nach Christopher Brownings Ordinary Men. Paderborn 2023, S. 73–85.

Maiken Umbach: Selfhood, Place, and Ideology in German Photo Albums, 1933–1945, in: Central European History 48 (2015), S. 335–365.

Harriet Scharnberg: Die “Judenfrage” im Bild. Der Antisemitismus in nationalsozialistischen Fotoreportagen. Hamburg 2018.