Schulze Veltrup in Burgsteinfurt. Eine Hofchronik aus dem Münsterland

26.07.2024 Marcel Brüntrup

Der Hof Schulze Veltrup (um 1950).

Andreas Eiynck

Hofchroniken bilden eine spezifische Art der Geschichtsschreibung. Ausgehend von einem Bauernhof und dem Stammbaum seiner Bewohner*innen schildern sie in zumeist chronikalischer Form frühe urkundliche Erwähnungen sowie andere Beschreibungen und Darstellungen der Geschichte des Hofes aus verschiedenen Quellen wie Urkundenbüchern, Steuerlisten, Hofakten in öffentlichen und privaten Archiven, Katasterunterlagen und Familiendokumenten. Hinzu treten häufig biographische Aufzeichnungen und Befragungen von früheren Hofbewohner*innen.

Waren Hofchroniken bis in die 1960er-Jahre zumeist als Einzelstücke handschriftlich verfasst und sorgsam eingebunden, so erschienen sie später als Maschinen- oder Typoskripte, dann als fotokopierte Kleinauflagen und heute als Ausdrucke von mehr oder weniger umfangreichen Text- und Bilddateien. Üblich sind Kleinauflagen für den Kreis der Verwandtschaft der Hofbewohner und lokale Interessenten. Seltener erscheinen Hofchroniken im Buchformat, die dann zumeist im Eigenverlag erscheinen und über den Buchhandel nicht greifbar sind. Als „graue Literatur“ im Selbstverlag sind Hofchroniken in öffentlichen Bibliotheken daher nur selten vertreten, sondern allenfalls in den entsprechenden Spezialsammlungen lokaler oder regionaler Archive auffindbar.

Blick über die Gräfte durch das Torhaus auf das Bauernhaus Schulze Veltrup.

Die meisten Hofchroniken berichten von großen Bauernhöfen. Chroniken von Kotten oder Heuerstellen liegen praktisch gar nicht vor. Dies liegt weniger in der Quellenlage begründet, sondern vielmehr in der Tatsache, dass die Herkunft von einem großen Bauernhof in Nordwestdeutschland bis heute in gewissen Kreisen einen hohen Prestigewert besitzt.

Zu den ganz großen Höfen im Münsterland zählt zweifellos der frühere Gräftenhof Schulze Veltrup in der Bauerschaft Veltrup im Kirchspiel Burgsteinfurt. Ein Nachfahre dieses Hofes, Werner Schulze Veltrup, hat über viele Jahrzehnte Quellen und Dokumente, Hinweise, Fotos und Hinweise zur Geschichte dieses Hofes gesammelt. Nach seinem Tod haben der Heimatforscher Willi Alff und der Historiker Eckard Hammerström diese umfangreiche Materialsammlung geordnet und zu einer 252-seitigen Hofgeschichte zusammengestellt, die über den Buchhandel erhältlich ist.

Die Chronik beginnt mit der Namensdeutung von Hof und Bauerschaft Veltrup und spannt einen weiten Bogen von urgeschichtlichen Funden über Karl den Großen bis zur ältesten Erwähnung des Hofes Veltrup im Werdener Urbar von 890. Ältere namentliche Erwähnungen von Höfen im Münsterland gibt es nicht.

Seit dem 14. Jahrhundert liegen weitere archivalische Quellen zur Hofgeschichte vor, die in chronologischer Reihenfolge dargestellt werden. Ab dem 16. Jahrhundert mehren sich dann die Nachrichten zu Hof und Familie Veltrup mit Verwandtschaftszweigen in Stadt und Bauerschaft, mit Auswanderern in die Niederlande und nach Nordamerika. Verpflichtungen aus der Grundherrschaft und religiöse Traditionen auf dem Hof bilden einen eigenen Abschnitt, wobei auch die evangelischen Hausbibeln von 1616 und 1712 vorgestellt werden.

Grundriss des Gräftenhofes Schulze Veltrup (Aus Gustav Wolf Gräftenhöfe, 1944).

Ein besonderes Kapitel ist den Darstellungen des Hofes und der Bauerschaft auf alten Landkarten gewidmet. Auch die Entwicklung der Hofgebäude, die mehrfach durch große Brände vernichtet wurden, wird ausführlich geschildert.

Chronologisch führt die Zeitreise dann vom Dreißigjährigen Krieg über das 18. Jahrhundert und die Napoleonische Epoche bis in die Zeit von Bauernbefreiung und Markenteilung. Hier mehren sich dann auch Darstellungen zum bäuerlichen Alltag auf einem großen Schulzenhof und zum Schicksal der Heuerleute des Hofes.

Der vielleicht spannendste Abschnitt der Hofgeschichte beginnt mit der Bauernbefreiung und der Markenteilung, als aus dem letztlich doch vom Grundherrn abhängigen Schulzen ein selbständiger und standesbewusster Bauer wird. Durch die Markenteilung erreicht der Hof Schulze Veltrup eine Größe von rund tausend Morgen und es heißt, weit und breit habe nur der Fürst auf dem Schloss Steinfurt mehr Grundbesitz.

Der Hof Schulze Veltrup mit Bauernhaus, Torhaus und Gräfte (um 1950).

Die Hofgebäude mit dem 1780 nach einem Brand neu errichteten Bauernhaus werden nach der Bauernbefreiung ausgebaut. 1821 entsteht ein neues Torhaus, 1832 ein neuer Speicher und bald darauf werden neue Scheunen und Nebengebäude errichtet.

1898 lässt die Schulzenfamilie etwas abseits des Hofes ein zweigeschossiges Wohnhaus im Stil einer Fabrikantenvilla erbauen, die Villa Veltrup. Die Landwirtschaft hat man schon 1895 an einen Pächter vergeben und bis 1964 wird es, mit kurzen Unterbrechungen, bei der Verpachtung des Hofes bleiben. Auf Grundlage alter Schankkonzessionen betreiben die jeweiligen Pächter auch eine Gastwirtschaft. Daraus entwickelte sich nach dem Ersten Weltkrieg eine bekannte Kaffeewirtschaft.

Der Hoferbe studiert in Bonn Landwirtschaft. Als akademisch gebildeter Agrarier lebt er nicht von der eigenen Arbeit, sondern von der Pacht und widmet sich der Jagd und diversen Ehrenämtern. Eine Bildunterschrift bemerkt hierzu: „Hier im Anzug, häufig in Jagduniform, nie im Blaumann“. Der Hof Schulze Veltrup wird von den Eigentümern nun „Haus Veltrup“ genannt, sich selber nennen sie „Gutsbesitzer“. 1930 lässt die Familie ein Wappen eintragen.

Hochzeitsgruppe in Trachten auf dem Hof Schulze Veltrup zum 100. Geburtstag des Bauernkönigs von Schorlemer-Alst (1925).

1925 bildet der Gräftenhof mit seinen historischen Gebäuden und der Gastwirtschaft die Kulisse für die Feierlichkeiten zum 100jährigen Geburtstag des „Westfälischen Bauernkönigs“ Burghard von Schorlemer-Alst, dem Gründer des „Westfälischen Bauernvereins“. Die dabei entstandenen Fotos mit Trachtengruppen und Festwagen sind in vielen Hofarchiven im Kreis Steinfurt heute noch zu finden.

Doch bald bestimmen Erb- und Geldstreitigkeiten den Alltag der Familie Schulze Veltrup. Die Agrarpolitik der Nationalsozialisten und die Bedeutung der Agrarproduktion in der Nachkriegszeit verdecken zunächst den wirtschaftlichen Abstieg des Hofes. Bei der Mechanisierung der Landwirtschaft in den 1950er-Jahren kann der Pachthof nicht mithalten. 1960 wird bekannt, dass der Hof die erforderliche Größe für eine Eigenjagd (75 Hektar) nicht mehr erfüllen kann. Es wurde also Land verkauft.

Der Speicher bei Schulze Veltrup (2024).

Die nächste Generation löst die Pachtverhältnisse und versucht, den Hof durch den Bau neuer Wirtschaftsgebäude wieder leistungsfähig zu machen. Hierfür wird die malerische Gräfte zugeschüttet und das Torhaus abgebrochen. Doch persönliche Schicksalsschläge in der Familie vereiteln alle Versuche zur Rettung des Hofes. Wie ein Fanal wirkt dann 1972 der Brand des alten Bauernhauses. Am Ende bleibt ein Hofcafé im Speicher, die junge Generation wandert nach Kanada aus. Die Chronik ist damit über die reine Hofgeschichte hinaus auch ein Abgesang auf den stolzen Bauernstand der Schulzen im Münsterland, der in dieser Form heute nicht mehr besteht.

Das weitläufige Hofgelände mit der früheren Gräftenanlage gleicht im Sommer 2024 einer großen Agrarbrache. Aus dem üppigen Grün ragt als letztes historisches Hofgebäude der Speicher auf. Die neuen Hofgebäude aus den 1970er-Jahren werden mittlerweile gewerblich genutzt. Vielleicht wird aus dem Areal ja eines Tages ein Wohngebiet.

Werner Schulze Veltrup: Chronik von Haus Veltrup, seiner Bewohner und der Bauerschaft. Hrsg. Von Eckart Hammerström und Wilhelm Alff. BoD – Books on Demand. Norderstedt 2023.