„Ach, schweigt von eurem Sieg.“
Der Sedantag in der Schule
Niklas Regenbrecht
Vor genau 150 Jahren, am 1. und 2. September 1870, fand bei der kleinen französischen Stadt Sedan die entscheidende Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges statt. Auch wenn der Krieg noch bis zum Anfang des Jahres 1871 fortgeführt wurde, war hier mit der Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. das Ende des französischen Kaisertums besiegelt und der Weg zur deutschen Einigung frei.
Nach dem Krieg wuchs dem 2. September als „Sedantag“ so etwas wie die Rolle eines Nationalfeiertages im Zeremoniell des frisch geeinten Deutschen Reiches zu. Wobei hierbei zu betonen ist, wie die neuere Forschung dargestellt hat, dass es sich bei der Etablierung und der jeweiligen Durchführung der Tage weniger um zentralistische, staatliche Initiativen gehandelt habe, sondern eher um das Engagement bürgerlicher Vereine. Gottesdienste, Umzüge, Denkmaleinweihungen, Bälle, Reden, Musik und Volksbelustigung gehörten zu den wiederkehrenden Elementen der örtlich ausgerichteten Feierlichkeiten. Dieser bürgerlichen Festkultur entsprechend wurden auch an den Schulen des Reiches Bemühungen unternommen, dem Tag gebührend zu feiern.
Dem Bericht einer Schülerin aus Hoxfeld bei Borken zufolge, hatten die Feierlichkeiten zum Sedantag 1907 an der dortigen Volksschule eher den Charakter eines Schul- und Kinderfestes. Ihre Erinnerungen hielt die Frau aus Rhede 1984 in einem Bericht an das damalige Archiv für westfälische Volkskunde (heute Archiv für Alltagskultur in Westfalen) fest:
„Emsige Betriebsamkeit herrschte seit Wochen unter den 120 Schülerinnen und Schülern der Volksschule Hoxfeld, als im Monat August des Jahres 1907 das einzige Schulfest des Jahres vor der Tür stand: die Sedanfeier; anschließend begannen die großen Ferien, die sechs Wochen dauerten.“
Nach zwei Kirchenliedern habe der Lehrer die Feierlichkeiten mit einem Vortrag über die Vorgeschichte und den Verlauf des Krieges von 1870/71 eröffnet. Besonderes Augenmerk habe dabei inhaltlich auf den Kampfhandlungen und -orten und vor allem natürlich auf der Schlacht von Sedan gelegen. Unterbrochen wurde der Vortrag durch das Absingen der „Wacht am Rhein“ und „Heil dir im Siegerkranz“ durch die Schüler.
„Nach patriotischer Erwähnung des Kaisers und seines Hauses fand die Morgenfeier ihren Abschluß mit dem Lied: ‚Der Kaiser ist ein lieber Mann, er wohnet in Berlin…‘.
Nach der Mittagspause fanden sich gegen 2 Uhr (14 Uhr) nach und nach die Festteilnehmer wieder an der Schule ein, wo sich alsbald das Schützenfest (Vogelschießen der Knaben und Scheibe-Werfen der Mädchen) anschloß.“
Die älteren Schüler schossen mit „Flitzebögen“ und Holzbolzen auf einen Vogel, der aus einer Mischung aus Torf und Speis angefertigt worden war. Die Schülerinnen versuchten werfender Weise mit Kieselsteinen ein Loch in einem Brett zu treffen.
„Den ersten Schuß tat der Vorjahrs-König, der auch den Vogel zu besorgen hatte. Wenn nach diszipliniertem Schießen der neue König ermittelt worden war und auch die Mädchen nach dem ‚Scheibe-Werfen‘ ihre Königin ‚erkoren‘ hatten, wurde das Königspaar zusammengeführt, beglückwünscht und gefeiert. Als Geschenk bekam jeder der beiden ein Gesang- und Gebetbuch der Diözese Münster mit Goldschnitt, während dem Vize-Königspaar ein gleiches Buch, jedoch mit Rotstift überreicht wurde. […]
Allmählich verlagerte sich der Verlauf fröhlichen Spielens vom Schulhof auf den anliegenden Hofraum des Lehrers, der an diesem Tag nicht den ‚Magister‘ sondern den Kinderfreund darstellte und die ersten reifen Birnen und Pflaumen aus seinem gepflegten Obstgarten schenkte. […]
Die feierliche Stimmung erhielt anschließend beim Eintreffen mehrerer Kanoniker aus Borken neuen Auftrieb, wenn sie bei geringer Luftbewegung Heißluft-Ballone starten ließen, wobei wegen angeblicher Feuergefahr nur Erwachsene Hilfestellung leisten durften. Die im ‚aufgeblasenen‘ Zustand etwa 2 m hohen Freiballone waren aus brennbarem Material und gingen während des Starts leicht in Flammen auf, die in einem winzigen Petroleum-Behälter die aufsteigende Heißluft erzeugen sollten. Nach geglücktem Start trieben die mit frankierten und adressierten Postkarten behangenen Ballone dann unter dem Jubel der Zuschauer mit dem Wind ab. Ab und zu erinnerte eine zurückgesandte Postkarte aus weiter Ferne nach der Ballonfahrt an die schöne Feier und wurde Gegenstand des Erdkunde-Unterrichts.“
Als darauffolgende weitere Spiele nennt die Berichterstatterin Wannenspringen, Reiterkämpfe, Schinken-Klopfen, Dritten-Abschlagen, Räuber und Gendarm oder Ball-Hauen. Bevor das Fest mit anbrechender Dämmerung ein Ende fand, wurde als weiterer Höhepunkt ein Gruppenfoto der Schüler mit ihrem Lehrer angefertigt. Ein Ziel hat die Feierlichkeit somit zumindest erreicht, auch 77 Jahre später war der Tag der Berichterstatterin noch in positiver Erinnerung.
Einen anderen Charakter hat ein Gedicht aus Lengerich, welches ebenfalls im Archiv für Alltagskultur in Westfalen nachgewiesen ist. Dieses soll im Jahr 1897 in der dortigen Schule aufgeführt worden sein. Beachtlich ist hierbei die Abweichung vom üblichen Pathos und schon fast kriegskritische Bedeutungsumkehr in der letzten Strophe.