Warum erforschen Menschen das Leben ihrer Vorfahren? Und warum treten sie dafür in einen Verein ein? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der neueste Band der Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, der ab November 2019 im Buchhandel erhältlich ist.
Im Jahr 2016 nahm die Volkskundliche Kommission für Westfalen das im Jahr 2020 bevorstehende 100. Gründungsjubiläum der „Westfälischen Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung“ (WGGF) zum Anlass, die Geschichte der Familienforschung in Westfalen zu erforschen. In der nun rechtzeitig zum Jubiläum erscheinenden Studie wird die Vereinsgeschichte im 20. Jahrhundert einschließlich ihrer Vorläufer seit dem 19. Jahrhundert nachgezeichnet. Das breit gefächerte Themenspektrum der Publikation umfasst die Vereinsgründung im Jahre 1920 in Münster, die Mobilisierung in der NS-Zeit und die vielfältigen Bemühungen um die Fortsetzung der Vereinsarbeit in der Nachkriegszeit bis hin zu grundlegenden Veränderungen durch die Digitalisierung. Ein Schwerpunkt ist dabei unter anderem das Vereinsagieren während des Nationalsozialismus zwischen Einbindung in die Strukturen der zu dieser Zeit staatlicherseits organisierten Sippenforschung und dem Beharren in provinzwestfälischen Vorstellungen. Ein anderer Schwerpunkt ist etwa die Geschichte der Computerisierung und Digitalisierung in der Genealogie, dessen erste Vorboten sich hier erstaunlich früh, nämlich bereits Ende der 1960er Jahre, bemerkbar machten.
Die Publikation nimmt aber auch Fragen in den Blick, die über die reine Vereinsgeschichte hinausgehen, wie z.B. die Entwicklung der Disziplin Genealogie zwischen (Hilfs-)Wissenschaft und Hobby. Wie haben sich ihre Arbeitsweisen und Schwerpunktsetzungen, wie haben sich die Praktiken und Techniken genealogischer Recherche verändert? Wer waren ihre Akteure, welche Ziele verfolgten diese und wie gestalteten sich Vernetzungen aus?
In Zusammenarbeit von Volkskundlicher Kommission für Westfalen und Westfälischer Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung ist auf Basis der Vereinsakten, zahlreicher Nachlässe und Interviews nicht nur eine Vereinsgeschichte und Festgabe entstanden, sondern auch eine wissenschaftliche Darstellung der Geschichte der Genealogie in Westfalen und darüber hinaus.
Bibliographische Angaben:
Niklas Regenbrecht: Genealogische Vereinsarbeit zwischen Geschichtspolitik und populärer Forschung. Die Westfälische Gesellschaft für Genealogie und Familienforschung 1920–2020, Münster 2019, Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Bd. 130, 320 Seiten, ISBN: 978-3-8309-4077-7.