Christiane Cantauw
„Kapellenschulen. Chapel Schools. Auf den Spuren der nassauischen Grafen Wilhelm I. und Johann VI.“ ist der Titel eines Bildbands von Thomas Kellner, der sich auf ungewöhnliche Weise diesem besonderen Schultyp nähert. Mangels spezifischer Schulgebäude fand der bereits im 16. Jahrhundert verpflichtend eingeführte Unterricht in den Grafschaften Nassau-Dillenburg und Nassau-Siegen in sogenannten Kapellenschulen statt, die teils auch als „deutsche Schulen“ bezeichnet wurden. Dabei handelte es sich um freistehende Mehrzweckbauten, die der religiösen Andacht und dem schulischen Unterricht, aber auch landwirtschaftlichen Zwecken dienten.
Die Errichtung der Schulen stand im Zusammenhang mit der Einführung des lutherisch-reformierten Bekenntnisses in Nassau-Dillenburg und Nassau-Siegen unter Graf Wilhelm I. (1487–1559), die mit weiterführenden Überlegungen zur Modernisierung des Staates verbunden war. Graf Johann VI. (1536–1606), der 1571/74 zum Calvinismus übertrat, sah eine wichtige Aufgabe im Ausbau des Kirchen- und Schulwesens; seine 1582 eingeführte Schulordnung sollte dazu beitragen, dass Religion nicht nur gelebt, sondern auch verstanden und verinnerlicht wurde. Dies setzte die Alphabetisierung der Bevölkerung voraus, die zwar an praktische Grenzen (Eignung und Bezahlung der Lehrer, landwirtschaftlicher Arbeitseinsatz der Schüler:innen) stieß, aber in der longue durée doch zu einem Einstellungswandel führte.