Gebhard Aders
Elf Briefe von zwei Wehrpflichtigen der Kaiserzeit befinden sich im Archiv des Heimatvereins Altenberge. Sie zeichnen sich nicht durch Beschreibungen des Alltags der aus dem Rheinland und Westfalen stammenden Rekruten aus. Weil die Soldaten Briefpapier mit farbigen Zeichnungen verwendeten, geben die Briefe auch einen freilich überzeichneten, bildlichen Eindruck des Soldatenalltags wider.
Soldaten bis zum Dienstgrade eines Unteroffiziers brauchten kein Porto zu bezahlen. Sie mussten auf den Umschlag schreiben „Soldatenbrief – eigene Angelegenheiten“. Portofrei waren auch Briefe an Soldaten, wenn sie diesen Vermerkt auf dem Umschlag hatten.
Sieht man sich die Inhalte der elf Briefe von Bernhard Lepper und Joseph Schemmann näher an, so fällt auf, dass alle elf Briefe stereotype Formulierungen enthalten: Zur Einleitung steht meistens „ich nehme die Feder zur Hand, um Euch ein paar Reihen zu schreiben“, weiter heißt es, dass der Schreiber „noch gesund und munter“ sei, was dieser auch von den Empfängern erhoffe.
Solche Formulierungen benutzten viele Brief- und Postkartenschreiber der Kaiserzeit. Sie wurden in sogenannten Briefstellern – Sammlungen mit Formulierungen für den ungeübten Briefeschreiber – empfohlen oder auch beim Lesen der Briefe und Karten von Verwandten und Bekannten aufgeschnappt und kopiert.
Der älteste erhaltene Brief von Joseph Schemmann an seine Schwester Anna Clara und seinen Schwager Johann Bernard Lepper datiert auf den 11. November 1895 hat folgenden Wortlaut:
Lieber Schwager, Schwester und Neffen,
Ich nehme im späten Abend die Feder zur Hand, um ein paar Reihen an Euch zu schreiben. Vorigen Samstag sind Wier schon mit dem Gefreiten in der Stadt gewesen und haben uns einige Gals [so!] Bierr getrunken und haben uns die Umgebung besehen. Hubert Lutte ist auf Stube 26, und ich bin auf Stube 20. Anton Zurrolt ist diesen Nachmittag auch bei uns gewesen und die anderen Wobbe, Wenner, Dömer habe ich auch schon mit gesprochen. Ich habe schon einen Brief von Hause bekommenund draus gesehen, daß Wilhelm noch nicht weiter besser ist. Ich bin noch recht gesund und munter, welches ich auch von Euch hoffe. Ich wünsche Euch viel Vergnüchen auf den Hochzeiten. Schreibet mir doch bald wieder. Ich warte alle Tage darauf.
Es grüßt Euch achtungsvol
Joseph Schemmann
Anderse [= Adresse] heißt:
An den Musketier J. Schemmann 6 Kompagni Infantrie Regiments Nr. 144
Soldatenbrief Eigene Angelegenheit des Empfängers
Mörchingen in Lothrichen, Musketier
Der monatliche Sold eines einfachen Soldaten betrug damals 9,30 Mark, also 31 Pfennig je Tag. Und da ein Liter Bier meist 90 Pfennige kostete, gingen einige Glas Bier gewaltig ins Geld. Aus einigen Briefen geht hervor, dass die jungen Männer dringend auf Zuschüsse aus der Heimat hofften.
Wichtig für den Schreiber war, dass er eine ganze Reihe von Bekannten aus Nordwalde in seiner Kompanie hatte. Ihre Erwähnung war auch die Bestätigung sozialer Verbindungen, auf die der Briefeschreiber nach Beendigung der Wehrpflicht wieder zurückgreifen wollte.
Der nächste erhalten gebliebene Brief stammt vom 15. Juni 1896. In ihm schildert Joseph sehr anschaulich, wie eine zweitägige, sehr anstrengende Einsatzübung ablief. Als guter Katholik ruhte er sich am darauffolgenden Sonntag natürlich nicht aus, sondern ging zur Kirch und dokumentierte die Erfüllung seiner Sonntagspflicht gegenüber den Angehörigen.
Mörchingen, den 15.6.96
Lieber Schwager und Schwester,
Ich nehme die Feder zur Hand, um ein paar Reihen an Euch zu schreiben. Ich bin noch recht gesund und munter, welches ich auch von Euch noch hoffe. Wier haben wieder 2 große Marchstage [so!] gehabt. Freitag sind Wier 4 Uhr losgerückt und haben eine halbe Stunde Randewu [Pause oder Rast] gemacht und um 11 Uhr wieder gekommen. Samstag sind Wier 6 Uhr losgerückt und 10 Uhr waren Wier da, als Wier bald da waren, mussten Wier noch einen Berg herauf. Sonnen hohen bin Ich noch nie marschiert, mitten am Berge stand die Musik und spielte „Freut Euch des Lebens“. Auch der Brigade Kommandeur [Kommandeur 33. Infanteriebrigade Generalmajor Ewald von Kleist] stand da, aber sagte zu Oberst [Oberst Henke], er hätte noch niemals sonnen Marsch gesehen. Da haben Wier abgekocht im Wald und auch Kaffee gekocht und Wier haben 2 Fässer Bier vom Haubtmann bekommen. Da haben Wier da gelegen bis 7 und sind 11 Uhr nach Hause gekommen. Und dan feldmarsch-mässig des Nachmittags haben Wier noch eine halbe Stunde Untericht gehabt. Da waren Wier noch 1 Stunde von der Grenze, da konnten Wier Frankreich sehen. Als ich zu Hause war, war ich so müde wie ich noch niemals gewesen bin. Und des Sonntags bin ich schon wieder zur Kirche gewesen. Ich gratulire Euch mit Eurem jungen Sohn [Heinrich Lepper, * Nordwalde 9.5.1896, + Nordwalde 18.11.1901] und wünsche Euch viel Glück damit. Ich wiel mein Schreiben schlißen in der Hoffnung, daß Euch dieser Brief in der besten Gesundheit antreffen werdet und daß Ich bald einen Brief wieder bekomme.
Das wünsche ich achtungsvoll
Euer aller Josep Schemmann