„Lieber Schwager, Schwester und Neffen …“. Soldatenbriefe aus Kaisers Zeiten im Archiv des Heimatvereins Altenberge (Teil 2)

12.11.2024 Niklas Regenbrecht

[Teil 1 hier]

Gebhard Aders

Elf Briefe von zwei Wehrpflichtigen der Kaiserzeit befinden sich im Archiv des Heimatvereins Altenberge. Sie zeichnen sich nicht durch Beschreibungen des Alltags der aus dem Rheinland und Westfalen stammenden Rekruten aus. Weil die Soldaten Briefpapier mit farbigen Zeichnungen verwendeten, geben die Briefe auch einen freilich überzeichneten, bildlichen Eindruck des Soldatenalltags wider.

Soldaten bis zum Dienstgrade eines Unteroffiziers brauchten kein Porto zu bezahlen. Sie mussten auf den Umschlag schreiben „Soldatenbrief – eigene Angelegenheiten“. Portofrei waren auch Briefe an Soldaten, wenn sie diesen Vermerkt auf dem Umschlag hatten.

Sieht man sich die Inhalte der elf Briefe von Bernhard Lepper und Joseph Schemmann näher an, so fällt auf, dass alle elf Briefe stereotype Formulierungen enthalten: Zur Einleitung steht meistens „ich nehme die Feder zur Hand, um Euch ein paar Reihen zu schreiben“, weiter heißt es, dass der Schreiber „noch gesund und munter“ sei, was dieser auch von den Empfängern erhoffe.

Solche Formulierungen benutzten viele Brief- und Postkartenschreiber der Kaiserzeit. Sie wurden in sogenannten Briefstellern – Sammlungen mit Formulierungen für den ungeübten Briefeschreiber – empfohlen oder auch beim Lesen der Briefe und Karten von Verwandten und Bekannten aufgeschnappt und kopiert.

Der älteste erhaltene Brief von Joseph Schemmann an seine Schwester Anna Clara und seinen Schwager Johann Bernard Lepper datiert auf den 11. November 1895 hat folgenden Wortlaut:

Lieber Schwager, Schwester und Neffen,

Ich nehme im späten Abend die Feder zur Hand, um ein paar Reihen an Euch zu schreiben. Vorigen Samstag sind Wier schon mit dem Gefreiten in der Stadt gewesen und haben uns einige Gals [so!] Bierr getrunken und haben uns die Umgebung besehen. Hubert Lutte ist auf Stube 26, und ich bin auf Stube 20. Anton Zurrolt ist diesen Nachmittag auch bei uns gewesen und die anderen Wobbe, Wenner, Dömer habe ich auch schon mit gesprochen. Ich habe schon einen Brief von Hause bekommenund draus gesehen, daß Wilhelm noch nicht weiter besser ist. Ich bin noch recht gesund und munter, welches ich auch von Euch hoffe. Ich wünsche Euch viel Vergnüchen auf den Hochzeiten. Schreibet mir doch bald wieder. Ich warte alle Tage darauf.

 Es grüßt Euch achtungsvol

Joseph Schemmann

Anderse [= Adresse] heißt:

An den Musketier J. Schemmann 6 Kompagni Infantrie Regiments Nr. 144

Soldatenbrief Eigene Angelegenheit des Empfängers

Mörchingen in Lothrichen, Musketier

Der monatliche Sold eines einfachen Soldaten betrug damals 9,30 Mark, also 31 Pfennig je Tag. Und da ein Liter Bier meist 90 Pfennige kostete, gingen einige Glas Bier gewaltig ins Geld. Aus einigen Briefen geht hervor, dass die jungen Männer dringend auf Zuschüsse aus der Heimat hofften. 

Wichtig für den Schreiber war, dass er eine ganze Reihe von Bekannten aus Nordwalde in seiner Kompanie hatte. Ihre Erwähnung war auch die Bestätigung sozialer Verbindungen, auf die der Briefeschreiber nach Beendigung der Wehrpflicht wieder zurückgreifen wollte. 

Der nächste erhalten gebliebene Brief stammt vom 15. Juni 1896. In ihm schildert Joseph sehr anschaulich, wie eine zweitägige, sehr anstrengende Einsatzübung ablief. Als guter Katholik ruhte er sich am darauffolgenden Sonntag natürlich nicht aus, sondern ging zur Kirch und dokumentierte die Erfüllung seiner Sonntagspflicht gegenüber den Angehörigen.

Mörchingen, den 15.6.96

Lieber Schwager und Schwester,

Ich nehme die Feder zur Hand, um ein paar Reihen an Euch zu schreiben. Ich bin noch recht gesund und munter, welches ich auch von Euch noch hoffe. Wier haben wieder 2 große Marchstage [so!] gehabt. Freitag sind Wier 4 Uhr losgerückt und haben eine halbe Stunde Randewu [Pause oder Rast] gemacht und um 11 Uhr wieder gekommen. Samstag sind Wier 6 Uhr losgerückt und 10 Uhr waren Wier da, als Wier bald da waren, mussten Wier noch einen Berg herauf. Sonnen hohen bin Ich noch nie marschiert, mitten am Berge stand die Musik und spielte „Freut Euch des Lebens“. Auch der Brigade Kommandeur [Kommandeur 33. Infanteriebrigade Generalmajor Ewald von Kleist] stand da, aber sagte zu Oberst [Oberst Henke], er hätte noch niemals sonnen Marsch gesehen. Da haben Wier abgekocht im Wald und auch Kaffee gekocht und Wier haben 2 Fässer Bier vom Haubtmann bekommen. Da haben Wier da gelegen bis 7 und sind 11 Uhr nach Hause gekommen. Und dan feldmarsch-mässig des Nachmittags haben Wier noch eine halbe Stunde Untericht gehabt. Da waren Wier noch 1 Stunde von der Grenze, da konnten Wier Frankreich sehen. Als ich zu Hause war, war ich so müde wie ich noch niemals gewesen bin. Und des Sonntags bin ich schon wieder zur Kirche gewesen. Ich gratulire Euch mit Eurem jungen Sohn [Heinrich Lepper, * Nordwalde 9.5.1896, + Nordwalde 18.11.1901] und wünsche Euch viel Glück damit. Ich wiel mein Schreiben schlißen in der Hoffnung, daß Euch dieser Brief in der besten Gesundheit antreffen werdet und daß Ich bald einen Brief wieder bekomme.

Das wünsche ich achtungsvoll

 Euer aller Josep Schemmann

Kochende Soldaten: Die Männer hoben Gruben aus, in denen das Brennholz entzündet wurde. Darauf wurden große Kochkessel gestellt, in denen Suppen oder Eintöpfe erhitzt wurden, die dann in die Geschirre der Soldaten geschöpft wurden.

Im folgenden Brief vom 7. Juli 1896 bedankt sich Joseph für einige Pakete, die höchstwahrscheinlich Lebensmittel erhielten, eine willkommene Ergänzung zur eintönigen Kasernenkost.

Die von ihm erwähnte „Bataillonsvorstellung“ war eine Kontrollbesichtigung des Regimentskommandeurs, der das aus vier Kompanien bestehende Bataillon hinsichtlich Ausrüstung und der Fähigkeiten beim Exerzieren und im Gefecht begutachtete. Solche Vorstellungen waren bei Unteroffizieren und Offizieren gleichermaßen gefürchtet:   

Lieber Schwager und Schwester,

Ich nehme die Feder zur Hand, um ein paar Reihen an Euch zu schreiben. Ich bin noch recht gesund und munter, welches ich auch von Euch noch hoffe. Ich habe Euren Brief und Pakete richtig empfangen und danke dafür. Montag den 6. haben Wier Bataljonsvorstellung, wo Wier schon einen Monnat über gewartet haben. Lutte und Zurholt und andere Bekannten sind auch noch gut zufrieden. Ich will mein Schreiben schließen, den die Feder schreibt nicht mehr.

Es grüßt achtungsvoll an Euch alle

Euer

 Joseph Schemmann

Auf dieser Zeichnung wird der von den Adressaten freudig begrüßte Eingang von Paketen dargestellt, die Geld und Lebensmittel aus der Heimat der Rekruten enthalten.

Im Herbst, wenn die Felder und Äcker abgeerntet waren, fanden große Kriegsmanöver statt, an der alle Waffengattungen beteiligt waren. Die Soldaten wurden dazu in den Dörfern und Kleinstädten in Privatquartieren untergebracht. Nicht immer hatten sie das Glück, einen findigen Quartiersoffzier zu haben und litten deshalb unter einer mangelhaften Unterbringung – ein Problem, das Joseph anscheinen erspart blieb. Gegen schlechtes Wetter war bei den Manövern natürlich nichts zu machen. Besonders dann, wenn man nicht in Aktion war, sondern  auf einen Einsatzbefehl wartete, war das belastend.

Mörchingen, den 4.10.96

Lieber Schwager und Schwester,

Ich nehme die Feder zur Hand, um ein paar Reihen zu schreiben. Ich bin noch recht gesund und munter, welches ich auch von Euch noch hoffe. Ich habe daß Manöver überstanden aber schlechtes Wetter dabei. Nammenlich den Freitag, den 28. [September] da sollten Wier im Biwak da haben Wier Mittags 3 Stunden auf einen Berg gestanden und es renete im[mmer] fester, so daß Uns das Wasser in den Stieffeln lief. Wier waren ganz nass hätten Wier da bleiben müssen so wäre die Trupen alle krank geworden. Ich habe meisten teils noch gute Quartire gehabt, aber auch viele haben schlechte Quartire gehabt. Die anderen Bekanten sind auch alle noch guten Mutes. Wie es mit Euch ist, weiß Ich nicht, denn Ich habe lange keine Brief von Euch bekommen. Ich hätte Euch auch noch mehr schreiben müssen, aber ich habe Zeit genug dazu. Und daß beste ist, daß ich ein Jahr herum habe. Ich habe auch gehört, dass Ihr Euch ein Pferd gekauft habet aber welches weiß ich nicht. Jetz will ich mein schreiben schließen, in der Hoffnung auf einen bladigen [so!] Brief

Viele Grüße an alle Bekanten und Verwanten und an Schwager und Josef und Euch besonders Euer

Bruder Joseph Schemmann

Den letzten Brief aus Mörchingen schrieb Joseph kurz vor dem Ende seiner Dienstzeit auf einem Briefpapier, das besonders für ausscheidende Wehrpflichtige gedacht war. Es zeigt einen Soldaten, der sich von einem traurigen Mädchen verabschiedet, dazu die Umschrift „Parole Heimat“ und „Reserve hat Ruh“.

An seinem Text lässt sich ablesen, wie sehr sich Joseph auf das Ende der Dienstzeit freut, er berichtet von einer letzten Großübung und von einem spätsommerlichen Maskenfest in Metz.

„Parole Heimat, Reserve 95/97 [Dienstzeit von 1895 bis 1897] noch 19 Tage dann hat die Qual ein Ende.“

Metz, den 1.8.97

Lieber Schwager und Schwester,

Von Langweile getrieben nehme ich die Feder zur Hand, um Euch ein paar Reihen zu schreiben. Ich bin noch recht gesund und munter, welches Ich auch von Euch noch hoffe. Gestern, Samstag Abend, haben Wier Nachübung [Nachtübung] gehabt in der Garnison. Die Pioniere hatten eine Brücke gemacht über die Mosel wo sämtliche Trupen über mussten. Eine tütige Arbeit, da die Mosel nämlich breit ist. Da sind Wier um 17 1/2 nach Hause gekommen. [Es folgen vier unleserliche Zeilen] Die jungen Leute werden schon bald nach Steinfurt müssen [Damit ist gemeint, dass die künftigen Rekruten sich zur Musterung im münsterländischen Steinfurt einfinden mussten.] Sonntag und Dienstag. Abend bin ich schon in der Stadt gewesen, es war nämlich voll auf den Straßen alles war maskiert Alt und Jung in allen Sorten. Jetzt will ich mein Schreiben schlißen, in der Hoffnung auf einen Brief mit Neuigkeiten.

Viele Grüße an alle Bekanten und anEuch alle

Euer Schwager 

Joseph Schemmann

 

[Teil 3 hier]

 

Quelle:

Archiv Heimatverein Altenberge, Nachlass Leper/Tegethoff, Karton 2, Mappe 6.