„Sportliche Entdeckung“ im Herforder Museum

16.03.2021 Niklas Regenbrecht

Praxistest für die nachgebaute Michauline des Kreisheimatvereins Herford, Foto: Frank-Michael Kiel-Steinkamp.

Das Städtische Museum Herford bewahrt historische Hochräder vor weiterem Verfall. Sie zu fahren war nicht ungefährlich und erforderte einen gut gefüllten Geldbeutel.

Sonja Langkafel und Udo Rolfsmeier

Die Anfänge des Radsports werden durch zwei Hochräder im Städtischen Museum Herford anschaulich. Ob Stellmacher Friedrich Arnold Husemann in den 1870er Jahren eher aus technischem Interesse oder aus sportlichem Ehrgeiz das im Museumsdepot des Städtischen Museums verwahrte Velociped mit schmiedeeisernem Rahmen und zwei eisenbereiften Holzspeichenrädern hergestellt hat, ist ungewiss. Dessen Bauart geht jedenfalls auf Pierre Michaux zurück, der 1867 sein Velociped erstmals präsentierte. Den nach Geschwindigkeit strebenden Sportlern reichten die beiden nahezu gleich großen Räder der Michaulinen von knapp 1 Meter Durchmesser allerdings nicht. Und so gab es bald Räder mit größerem Vorder- und kleinerem Hinterradrad, bei denen die Fahrer*innen den Boden mit den Füßen nicht mehr berühren konnten.

Das lädierte Hochrad könnte ein junger Mann aus gutem Hause gefahren haben, Foto: Udo Rolfsmeier.

Wegen der hohen Anschaffungskosten von Hochrädern kam es nicht selten vor, dass lokale Handwerker wie Stellmacher Husemann auf bescheidenere Möglichkeiten und Mittel zurückgreifen mussten, um den Traum ihres Kunden vom Radfahren erfüllen zu können. Das von Husemann in seiner Werkstatt Auf der Freiheit 16 (früher 810) gebaute Fahrrad war von einem Dresing in Auftrag gegeben worden. Dem Museum geschenkt wurde es 1906 von C.A. Laux. Vermutlich handelt es sich um Klempnermeister C. Laux, der im Gehrenberg neben dem Magazin für Haus- und Küchengeräte bis kurz nach 1900 auch eine Fahrradhandlung betrieb und 2. Vorsitzender des Radfahrervereins „Stahlrad“ war.

Bereits 1869 hatte Monsieur Meyer in Paris solche Stahlräder, nach denen der Verein benannt ist, präsentiert; von ihnen hieß es, sie seien von extremer Leichtigkeit und Eleganz. „Diese Zweiräder sehen eher wie Juwelen denn wie Fuhrwerke aus.“ Diesen Glanz besitzt das zweite Hochrad im Museumsdepot, das aus 1885 oder 1886 stammen dürfte, längst nicht mehr. Es bietet eher einen schaurigen Anblick. Der schwarze Lack ist ab, Rahmen und Räder, Lenker, Aufstieghilfe, Löffelbremse und Pedale sind dick mit Rost überzogen. Ein Stück der Felge fehlt und sie wird behelfsmäßig mit einem Plastikband zusammengehalten. Und doch ist es ein wertvolles Stück Zeitgeschichte. Die klimatisierten Lagerräume des Museumsdepots verhindern seinen weiteren Zerfall.

Wer mag es gefahren haben; mag sein, dass es seinen Platz in einem herrschaftlichen Haus in Herfords Innenstadt oder am Wall hatte. Vielleicht war es dort viele Jahre im Keller stehen geblieben – Platz genug war wohl da. Wahrscheinlich ist es, dass es ein junger Mann aus wohlhabenden Hause gefahren hat. Gut beweglich und sportlich musste man schon sein, um auf- und (noch viel wichtiger) absteigen zu können. Wohlhabend deshalb, weil es sich nach Einschätzung des Leiters des Deutschen Fahrradmuseums am ehesten um das Modell Spezial Club der Firma Coventry Machinists Company handelt. Wer war schon so vermögend, um die aus England exportierten Räder zu bezahlen; 1883 kosteten die Räder noch bis zu 600 Reichsmark; die Kaufkraft einer Reichsmark würde heute in etwa 10 Euro entsprechen.

Das demolierte Vorderrad, Foto: Udo Rolfsmeier

Auffällig bei dem Herforder Hochrad ist der große Abstand zwischen Gabel und Vollgummireifen. Es ist gut vorstellbar, dass das Original-Vorderrad bei einem Sturz so zerstört worden ist, dass es ausgetauscht werden musste. Das Risiko gefährlicher Stürze war groß. Beim geringsten Widerstand wie z.B. einem Stein passierte es leicht, dass der Fahrer samt Rahmen einen Überschlag nach vorn machte. Solch ein „Header“ führte häufig neben schwersten Verletzungen zu einem demolierten Vorderrad. Auch das kleinere jetzt noch eingebaute Vorderrad ist womöglich auf diese Weise schwer beschädigt worden. Dann war Schluss, das Hochrad kam in den Keller und erst Jahre später wurde es doch für zu „wertvoll“ erachtet, um es in den Müll zu geben. Welch ein Glück, dass es einen neuen Platz im Depot des Museums fand. In diesem schaurigen Zustand lässt unsere Phantasie viel mehr Vorstellungen über seine Geschichte zu, als würde es in Hochglanz dort stehen.

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 115, 17.12.2020, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/