„Stadt des Handwerks und des blühenden Verkehrs“

24.07.2020 Kathrin Schulte

Städtische Werbeprospekte und Tourismus in Telgte

Dörthe Gruttmann

Ob lange im Voraus geplant oder mal eben spontan für ein Wochenende – Urlaubsreisen gehören heutzutage für viele Zeitgenossen zu den Selbstverständlichkeiten ihrer Freizeit- und Jahresplanung. Dies war jedoch nicht immer der Fall. Die zeitlichen und finanziellen Voraussetzungen hierfür hatten zunächst nur Adelige oder ein gut situiertes Bürgertum. Der massenhafte Fremdenverkehr (gemeint sind Erholungs-, Bildungs- oder Vergnügungsreisen) entwickelte sich verstärkt erst im 20. Jahrhundert. Dies hängt mit den Voraussetzungen zusammen, die dafür zunächst geschaffen werden mussten. Genügend Freizeit (also die Reduzierung von Arbeitszeiten und die Zusicherung einer Anzahl bezahlter Urlaubstage) und finanzielle Möglichkeiten waren ebenso eine wichtige Voraussetzung zum Reisen wie eine touristische Infrastruktur, also ein Verkehrswegenetz (Eisenbahn, später Auto/Bus) und Unterkunftsmöglichkeiten. Auch Reiseveranstalter ebneten dem Tourismus den Weg, boten sie doch weniger Erfahrenen einen leichteren Zugang zum Reisen.

Mit dem Zug zu verreisen, konnten sich nach dem Ersten Weltkrieg die meisten Menschen leisten – hier begab sich z.B. der Sauerländische Gebirgsverein 1936 auf einen Ausflug vom Bahnhof in Schmallenberg (Archiv für Alltagskultur, Inv.-Nr.: 0000.S3788).

Lokale Fremdenverkehrsförderung erfolgte in den meisten Fällen durch privat gegründete Verkehrsvereine ab Ende des 19. Jahrhunderts. Aber auch die Kommunen selbst setzten sich in diesem neuen Bereich ein – entweder durch Vertreter in den bereits bestehenden Verkehrsvereinen oder zum Beispiel durch Schaffung eigener Verkehrsämter in Großstädten und Heilbädern. Neben Mitgliedern der Kommunalverwaltung ließen sich in den Verkehrsvereinen in der Regel örtliche Kaufleute, Hoteliers und Gastwirte finden. Auf regionaler Ebene wurde bereits 1907 der Verband der Westfälischen Verkehrsvereine gegründet, der sich neben der Verbesserung der Infrastruktur (Ausbau Zugverbindungen, Fahrkartenpreise, Streckenausbau etc.) auch um Tourismuswerbung kümmerte. Zwanzig Jahre später gründete sich der Verkehrsverband Münsterland.

Die erste Werbebroschüre aus Billerbeck 1929. Das Titelbild ziert der im Volksmund genannte Ludgerusdom, das Wahrzeichen der Kleinstadt (Stadtarchiv Billerbeck, Best. C, Nr. 162).

Verkehrsvereine waren in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg aber keine flächendeckende Erscheinung. Es gab durchaus Orte, in denen Verkehrsvereine (zunächst) keine Rolle spielten. In der münsterländischen Kleinstadt Billerbeck beispielsweise wurde erstmals 1928 auf kommunaler Ebene eine Verkehrs- und Werbekommission gegründet, die im Folgejahr den ersten Werbeprospekt herausbrachte und mit der neu eingeführten Betitelung „Perle der Baumberge“ das Image einer ländlich eingebetteten Kleinstadt verbreitete, übrigens bis heute. Zielregion für die Werbung waren das nahegelegene Ruhrgebiet, das Münsterland und die Niederlande, deren BewohnerInnen für Tagesausflüge und Wochenendtrips in die Ludgerusstadt gelockt werden sollten. Dass man für eine solche Werbemaßnahme auf Werbebroschüren und Anzeigen setzte, war durchaus zeitgemäß, stellten diese doch besonders für Kleinstädte eine finanzierbare Möglichkeit der Werbung und des Sich-Bekanntmachens dar.

In dem bis heute bedeutenden Marienwallfahrtsort Telgte schien sich zunächst der örtliche Heimatverein der Fremdenverkehrswerbung verschrieben zu haben. So warb dieser beispielsweise im Heimat- und Einwohnerbuch für den Landkreis Münster 1940: „Telgte ist ein beliebter Ausflugsort, besonders für die nahe Landeshauptstadt Münster. Die lieblichen Ufer der Ems, die Klatenberge, eine Emsdünenlandschaft zwischen Telgte und Westbevern, überhaupt die ganze landschaftlich schöne Umgebung Telgtes laden immer wieder zum Besuch der Stadt ein“ (S. 248).

Die Umschlagseiten der Telgter Werbebroschüre von 1969 mit dem Telgter Dreiklang, die das Wahrzeichen der Stadt bildeten (Stadtarchiv Telgte, T 279).

Allerdings war Telgte aufgrund der Nähe zu Münster und der starken Anziehungskraft etwas größerer Gemeinden im Münsterland kaum konkurrenzfähig, was die Übernachtungsstatistik belegt. Dennoch: Gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts versuchte die katholische Kleinstadt, neben tausenden von WallfahrerInnen auch Erholungssuchende Touristen in die Stadt zu holen. 1950 hatte der wiederbelebte Heimatverein daher eine Unterabteilung für Fremden- und Wallfahrtsverkehr eingerichtet. Spätestens im Laufe der Etablierung des modernen Stadtmarketings in den 1970er und 1980er Jahren wurde dieser Bereich in den meisten Städten vollständig kommunalisiert. Um gegenüber anderen Gemeinden konkurrenzfähig zu bleiben, wurde in den 1980er Jahren von der Stadt Telgte eine Studie zur „Neuausrichtung des Fremdenverkehrs-Marketings“ in Auftrag gegeben, an deren Ende auch die Einführung des Slogans „Telgte. Stadt mit Herz und Tradition“ stand. Telgte war zwar als Wallfahrtsort bekannt, bot aber (zu diesem Zeitpunkt) daneben wenig andere für Urlaub und Freizeitgestaltung wichtige Infrastruktur wie Kino, Freilichtbühne oder Theater.

Das Titelbild des 1951 herausgebrachten Werbefaltblattes mit Wallfahrtskapelle (Stadtarchiv Telgte, „Zeitgeschichtliche Zusammenstellung j) Informations- und Werbedrucksachen 1) Stadt Telgte“, Handbibliothek).

So lässt sich auch erklären, dass als Alleinstellungsmerkmal viele Jahre die Wallfahrtskapelle und/oder der Telgter Dreiklang (St. Clemens-Kirche, Wallfahrtskapelle und Heimatmuseum/heute Museum Relígio) Titelmotiv der städtischen Werbeprospekte waren. Womit konnte der Wallfahrtsort abgesehen davon werben? In dem 1951 herausgebrachten Werbefaltblatt werden zwar immer noch die Wallfahrt und die damit verbundenen Orte (Marienlinde, Wallfahrtskapelle) stark hervorgehoben, aber es wurde ebenso versucht, beispielsweise mit Freizeitsportangeboten (Wassersport auf der Ems, Flussbadeanstalt, Tennisplätze etc.), mit dem jährlich im September stattfindenden Mariä-Geburts-Markt und der Historizität der mittelalterlichen Stadt ebenso wie mit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als „Stadt des Handwerks und des blühenden Verkehrs“ Anziehungspunkte zu kreieren. Die im Werbetext erwähnten jährlich 150.000 Fremden, die nach Telgte kämen, suggerierten dabei, dass Telgte 1951 bereits ein beliebter Ausflugsort war und verschwiegen, dass es sich hierbei in der Mehrheit um WallfahrerInnen handelte.

Inwiefern dieses verbreitete Image im Laufe der folgenden Jahrzehnte tatsächlich auch internalisiert wurde, deutet sich in einer 1988 von den Westfälischen Nachrichten veröffentlichten Beilage an: „Telgte – da denken heute die meisten Menschen in nah und fern, weit über Westfalen hinaus an Wallfahrt, an Mariä-Geburts-Markt, an Krippenausstellung im Heimathaus. Manchmal auch an Erholung“ (S. 3).