„Tüchtiger Steinhauer sofort gesucht“ - Sandsteingewinnung in Ibbenbüren

22.09.2023 Peter Herschlein

Die Ansichtskarte zeigt einen Blick vom Schafberg auf die Stadt Ibbenbüren, im Vordergrund ist ein Sandsteinbruch abgebildet (Foto/Sammlung: Peter Herschlein).

Peter Herschlein

Der Schafberg bei Ibbenbüren zeichnet sich durch seinen Reichtum an Bodenschätzen aus. Neben der bis ins Jahr 2018 betriebenen Steinkohlenförderung wurden hier auch Erze, Tongestein und Kalkstein gewonnen. Eine besondere Rolle spielt bis heute das Sandstein-Vorkommen in diesem Gebiet. Aufgrund seines  gelbflammigen Aussehens, dass er auch nach längerer Zeit an der Luft behält, und seiner hohen Verwitterungsresistenz wird er gerne als Baustoff verwendet. Wie die tägliche Arbeit im Steinbruch aussah und wieso das Foto eines Steinbruchs auch auf einer Ansichtskarte abgebildet wurde, wird im Folgenden näher erläutert.

In früheren Zeit war die Gewinnung von Bodenschätzen ein Hoheitsrecht, das unter preußischer Herrschaft durch die Kriegs- und Domänenkammer in Minden ausgeübt wurde. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte der Abbau von Sandstein durch private Unternehmen. Obwohl mit der Zunahme von Häusern aus Stein zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Nachfrage auch nach Sandstein anstieg, blieb der Absatz der Steinbrüche zunächst aufgrund der schlechten Transportmöglichkeiten  auf die nahe Umgebung beschränkt. Erst durch den Bau der Eisenbahnverbindungen (1856) und des Dortmund-Ems-Kanals (1899) wurde ein Handel auch in weiter entfernte Regionen möglich.

Viele Menschen aus der Umgebung fanden in einem der Steinbrüche in der Region Arbeit. Vor 1890 waren im Ibbenbürener Raum rund 1000 Personen in der Sandsteinindustrie tätig, das waren zu dieser Zeit fast doppelt so viele wie im Bergbau Beschäftigung finden konnten. 1930 waren noch 10 Steinbrüche mit rund 500 Arbeitern aktiv. In den Brüchen waren die auszuführenden Arbeiten auf verschiedene Personengruppen verteilt. Die Aufgabe der Tagelöhner war es, Steine auf Wagen zum Abtransport zu räumen, sowie Schutt beiseite zu schaffen und die nicht benötigten Deckschichten (den „Kummer“) zu entfernen.

Schaut man sich das Motiv genauer an, sind zwei Arbeiter zu erkennen, die mit der Gewinnung schwerer Gesteinsblöcke beschäftigt sind (Foto/Sammlung: Peter Herschlein).

Die besser bezahlten Steinbrecher waren hingegen damit beschäftigt, die großen Steine aus dem Fels zu lösen und mit Hilfe eines Kranes herauszuheben. Die Steinhauer bzw. Steinmetze bearbeiteten schließlich die Werksteine. Dazu gab es in jedem Steinbruch, in dem Werksteine hergestellt wurden, eine Haubude unter der die Steinhauer geschützt vor der Sonne ihre Arbeit aufnehmen konnten. In der Tecklenburger Gegend trugen vor allem die älteren Steinhauer einen der typischen blauen Steinhauerschutze. Dies war eine um die Hüfte gebundene Schürze, die fast bis zu den Füßen reichte. Sie schützte die darunter getragene Kleidung und war gleichzeitig ein Symbol für die Stellung ihres Trägers. Für ihre Arbeit benötigten die Steinhauer eine Anzahl unterschiedlichster Spezialgeräte wie den Bossierhammer, den Zweispitz, sowie Krön-, Schlag- und Scherriereisen.

 

 

 

Für die Errichtung zahlreicher Gebäude im nördlichen Tecklenburger Land und darüber hinaus wurde der Ibbenbürener Sandstein verwendetet, so auch für die evangelische Dionysiuskirche in Recke (Foto: Ole Herschlein).

Große Steinblöcke wurden noch im Steinbruch in kleinere Teile zerlegt. Dafür trieben die Hauer mit der Bicke (Zweispitz) Rinnen in den Block, in die dann in regelmäßigen Abständen Löcher geschlagen wurden. In diese Löcher wurden anschließend kurze Stahlkeile gesetzt, die mit Hämmern immer weiter in den Stein geschlagen wurden bis sich ein Riss bildete, wodurch sich das gewünschte Stück abtrennte. Wenn beispielsweise Türstöcke, Fensterleibungen oder Treppenstufen gewonnen werden sollten, mussten auf diese Art bis zu mehrere Meter lange Stücke abgetrennt werden.

Eine besondere Arbeit war die Herstellung von Mühlsteinen. Durch den Bruchmeister erfolgte die Zuweisung zu einem Stein, an dem dann in der Regel zwei Mann gleichzeitig arbeiteten. Die Anfertigung eines Mühlsteins war eine schwere Spezialarbeit, die aber auch vergleichsweise gut bezahlt wurde.

Die Arbeitszeit der Steinbrucharbeiter dauerte im Sommerhalbjahr von morgens um 6 Uhr bis 19 Uhr am Abend,und im Winter bis zum Einbruch der Dunkelheit,wobei eine einstündige Mittagspause gewährt wurde. Um die Anwesenheit der Arbeiter kontrollieren zu können, wurden in den großen Steinbrüchen am Morgen die Mitarbeiterlisten verlesen. Wer in der Nähe des Steinbruches wohnte, konnte zum Mittagessen den Steinbruch verlassen. Schlechter sah es für diejenigen Arbeiter aus, die einen weiteren Arbeitsweg auf sich nehmen mussten. Teilweise wurde ihnen von Familienangehörigen das Mittagsessen in den Bruch gebracht, ansonsten musste man „drüge sodden“ (trocken essen) und konnte erst am Abend zuhause das verspätete Mittagessen einnehmen.

Einen Einblick in die Arbeit im Steinbruch ermöglicht eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1919. Herausgegeben wurde die Karte vom Verlag Th. Rieping aus Ibbenbüren unter der Nummer 29526. Th. Rieping betrieb in Ibbenbüren eine Druckerei und gründete 1898 zusammen mit F. Brockmeyer die Ibbenbürener Volkszeitung. Das Motiv der Postkarte zeigt eine Ansicht von der Südseite des Schafberges auf die Stadt Ibbenbüren, am rechten Bildrand ist der Turm der St. Mauritius-Kirche zu erkennen. Den größten Teil des Motives nimmt jedoch ein Steinbruch im Vordergrund ein. Erst bei genauerem Hinsehen werden zwei Personen im Steinbruch erkennbar, die mit dem Heraustrennen von schweren Steinblöcken beschäftigt sind. Vor den beiden Arbeitern liegt bereits ein großer Steinblock. Auf dem noch im Fels steckenden Block ist deutlich die herausgeschlagene Rinne zu erkennen, in welchen die beiden Arbeiter Keile schlagen, um den nächsten Block abzutrennen. 

Auch wenn die Sandsteinindustrie eine große Bedeutung für Ibbenbüren besaß und viele Gebäude in der Region aus dem heimischen Sandstein erbaut wurden, gab es zu den Steinbrüchen auch kritische Stimmen. So heißt es in einem von August Brune verfassten Artikel in der Ibbenbürener Volkszeitung von 1932: „Aus dem früher landschaftlich schönen Gebiet des Bergvorsprungs nördlich unserer Heimatstadt ist ein wüstes, unwegsames Gelände geworden mit weiten, tiefen Einsenkungen, kahlen Wänden und vorspringenden Abraumhalden.“ Vor diesem Hintergrund erscheint es umso interessanter, dass gerade ein Steinbruch als Motiv für die Ansichtskarte gewählt wurde. Denn als beliebtes Kommunikationsmittel und Sammlungsobjekt waren Ansichtskarten ganz besonders geeignet ein bestimmtes Bild einer Stadt zu verbreiten. Der Steinbruch wurde hier nicht als ein die Landschaft verunstaltendes, sondern als ein die Baukultur prägendes und wirtschaftlich bedeutendes Element präsentiert.Er wird als wichtige Rohstoffquelle für die im Hintergrund sichtbare Stadt mit ihren Bauwerken inszeniert. Denn auch der am rechten Rand sichtbare Turm des 1831 konsekrierten Neubaus der St. Mauritius-Kirche wurde aus Ibbenbürener Sandstein errichtet.

Literatur und Quellen:

Braun, Reinhard: Dickenberg - Ibbenbürener Karbonscholle und angrenzende Kulturlandschaft (Ibbenbüren 2014).

Braun, Reinhard: Dann geh doch nach Ibbenbüren, da gibt es Steine (Ibbenbüren 2019).

Brune, August: Das Steinbruchgebiet nördlich und oberhalb der Stadt Ibbenbüren. Heimat und Leben. Beilage zur Ibbenbürener Volkszeitung 8, 19.04.1932.

Rosen, Anton: Ibbenbüren einst und jetzt. Chronik des Amtes Ibbenbüren (Ibbenbüren 1952).

Rosen, Anton: Ibbenbüren von der Vorzeit bis zur Gegenwart (Ibbenbüren 1969).

Rickelmann, Hubert: Die heimische Sandsteinindustrie und die Standeseigenarten der Steinhauer. Heimat und Leben. Beilage zur Ibbenbürener Volkszeitung 24, 19.12.1933.

 

Kategorie: Aus anderen Sammlungen

Schlagwort: Peter Herschlein