Stunk um das stille Örtchen. Die Erbengemeinschaft Schröder contra Hermann Niemann zu Osnabrück

25.05.2021 Dorothee Jahnke

Straßenschild "Osterberger Reihe" in Osnabrück. Foto: Sebastian Schröder.

Sebastian Schröder

 

In der Nähe des Kirchortes Lotte in der Grafschaft Tecklenburg entstand in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Kreuzherrenkonvent. Diese geistliche Institution nannte man nach der Bauerschaft, in der sich die ersten Mönche ansiedelten: Osterberg. Während der Reformation erlebten die Ordensbrüder turbulente Zeiten. Graf Konrad von Tecklenburg (1501–1557) vertrieb sie und säkularisierte das klösterliche Eigentum. Die Kreuzherren gingen juristisch dagegen vor und konnten schließlich 1552 ihr Kloster wiederum beziehen. Im Zuge des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) flohen die Fratres im Jahr 1633 nach Bentlage; nunmehr ergriffen die Grafen von Tecklenburg endgültig Besitz von dem Kloster und dem klösterlichen Hab und Gut. Die Mönche kehrten danach nie mehr nach Osterberg zurück.

Unter anderem verfügte das Kloster über Stadthäuser in Osnabrück. Es handelte sich um die sogenannte Osterberger Reihe in der Nähe der Katharinenkirche. Sie bestand aus acht kleinen Wohnungen. Im Hinterhof dieser Häuserzeile befand sich seit „ohndencklichen Jahren eine Cloac“, die die Pächter und Bewohner nutzen durften, wie die Erbengemeinschaft Schröder 1672 zu Protokoll gaben. Sie hatten mittlerweile den Besitz der Osterberger Reihe angetreten. Ein „Häußlein“ habe den Abort bedeckt. Dieses sei jedoch während der Wirren des Dreißigjährigen Krieges zerstört worden – das Recht, seine Notdurft genau an diesem Platz zu verrichten, sei durch die Verwüstung gleichwohl nicht verwirkt worden, argumentierten die nunmehrigen Eigentümer vehement. Doch bereits seit 1667 herrschte „Stunk“ um dieses einst so stille Örtchen. Denn Hermann Niemann hatte das benachbarte Grundstück, die sogenannte Dreyerey, an sich gebracht. Mit großem Aufwand und erheblichen finanziellen Mitteln ging Niemann ans Werk, um die Liegenschaft wieder instand zu setzen. Unter anderem ließ er die Grundmauern der im Krieg demolierten Gebäude gänzlich schleifen, um Gärten anlegen zu können. Erbost äußerte sich Niemann über seine Nachbarn in der Osterberger Reihe. Diese hätten ihre Kloake nicht entleert, sodass sich der Zustand derselben stetig verschlechtert habe. Die Verwahrlosung der Grundmauern habe dafür gesorgt, dass die Fäkalien aus der Grube geflossen seien – Niemann lief beim Gedanken an die untragbaren Zustände vor Ekel ein „Schawer“ [= Schauer] über den Rücken. Bürgermeister und Rat der Stadt Osnabrück hätten die Bewohner der einstigen Stadthäuser der Osterberger Kreuzherrenbrüder zwar zur Ordnung gerufen, doch die Aufforderung zur Instandsetzung des Aborts sei missachtet worden. Erneut wurde Niemann deshalb bei der städtischen Obrigkeit vorstellig, um die „schleunige Reinigung des unflähtigen Orths“ mit Nachdruck zu befördern.

Anscheinend änderte sich zunächst aber nichts. Nun riss Niemann der Geduldsfaden. Vermutlich wurde er selbst aktiv, und säuberte den strittigen Platz. Dieses Vorgehen erzürnte wiederum die Bewohner der Osterberger Reihe. Sie meinten, der Nachbar verletze althergebrachte Rechte. Um zu beweisen, dass das „Secret“-Haus seit jeher zu ihren Wohnungen gehörte, benannten sie insgesamt sechs Zeugen, die vor dem städtischen Syndikus und im Beisein eines Notars am 6. Juli 1668 verhört wurden, „wie und waß eß für ene Beschaffenheit mit […] diesen alda gewesenen Secret habe“. Zuerst meldete sich der 1609 geborene Klaus Steinhaus zu Wort. Er versicherte, dass „uff den quaestionirten Platz ein Secret gestanden, so zu den Osterberger Häusern gehörig gewesen, der Geebell [= Giebel] habe sich nach den Häusern gewendet, darinnen ein Thür gewesen; daß man hinzu gekommen, und sey der Grundt anderhalb Fueß herauß und oben der Erden gemawret [= gemauert] gewesen“. Hinter dem Abort habe sich eine Stallung von Hermann Niemann befunden. Der 80-jährige Klaus Knost bestätigte die Aussagen seines Vorredners und betonte, „daß die Einwohner der Dreyerey sich niemahlß solchs Secrets angemaßet, weniger sich eingebildet, daß sie mit dazu berechtigt.“ Auch die anderen Zeuginnen und Zeugen, nämlich die 60-jährige Elisabeth Steinhaus, die 65-jährige Witwe des Jobst Buddemeyer, Maria Bunnemann, die Ehefrau von Jobst Rolff, Marie Lienemann, und die 34-jährige Gattin von Paul Donnerberg, Anna Lienemann, sagten aus, dass die Kloake zu allen Zeiten eine Pertinenz der Osterberger Reihe gewesen sei.

Dessen ungeachtet ließ Niemann, der Besitzer der Dreyerey, die Grundmauern des „Secret-Häußleins“ abtragen, den gesamten Platz mit Erde anfüllen und bepflanzen. Doch anstatt abermals den Osnabrücker Rat einzuschalten, klagte die Erbengemeinschaft Schröder beim Grafen Moritz von Bentheim-Tecklenburg (1615–1674), dem Eigentümer der Osterberger Reihe. Moritz solle beim Rat zu Osnabrück vorstellig werden, um die Gerechtsame der Osterberger Reihe zu schützen. Ferner erhofften sich die derzeitigen Bewohner, dass der Graf mit Nachdruck den Wiederaufbau eines „Häußleins“ ersuche.

Tatsächlich wandte sich der tecklenburgische Landesherr an die städtische Obrigkeit zu Osnabrück. Das „althergebrachte Recht“ müsse auf jeden Fall beibehalten werden; eine „Turbation“ oder Verletzung der langjährig niemals in Zweifel gezogenen Gewohnheiten sei nicht hinnehmbar. Daraufhin nahm ein Bediensteter des Osnabrücker Rats den Streitort in Augenschein. Seinen Vorgesetzten teilte er mit, dass die Beschaffenheit des Platzes mit den 1668 aufgenommenen Zeugenaussagen übereinstimme. Dementsprechend urteilten die Stadtoberen, dass Hermann Niemann kein Eigentumsrecht an dem Grundstück zustehe. Niemann habe das Aborthaus folgerichtig neu zu erbauen.

Ob er dieser Anordnung Folge geleistet hat und wieder Ruhe und Frieden am stillen Örtchen eingekehrt ist, lässt sich den Akten leider nicht entnehmen. Der Fall zeigt aber: Wer sich in seinen Rechten gekränkt fühlte, dem stand eine ganze Bandbreite möglicher Gegenmaßnahmen zur Verteidigung zur Verfügung. Überdies belegen die Dokumente, wie die Bewohner der Osterberger Reihe in der Frühen Neuzeit ihre Notdurft verrichteten – nämlich in einem kleinen Häuslein, das über einer Grube stand, die mit einem steinernen Fundament eingefasst war. Mittels einer Tür ließ sich der Abort verschließen, wobei diese in Richtung der Wohnungen zeigte und somit von den benachbarten Liegenschaften abwies. Unklar bleibt jedoch, wer die Hinterlassenschaften zu beseitigen hatte und was damit geschah. Aber wer weiß – in den Archiven schlummern noch so manch unentdeckte Schätze, auch über ansonsten stille Örtchen!