Schwerpunkt Fotografie: Torfabbau im Amtsvenn 1956

27.09.2024 Niklas Regenbrecht

Volker Tschuschke

Einer der Schwerpunkte des Blogs der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen ist die Fotografie. Dafür gibt es einen guten Grund, denn ein wichtiges Anliegen des Blogs ist es, Bestände aus Archiven und Museen vorzustellen. Mehr oder weniger umfangreiche Fotobestände – seien es nun Alben oder einzelne Abzüge – finden sich in den Sammlungen vieler Archive und Museen, aber auch Heimatvereine. Das gilt auch für den Heimat- und Altertumsverein der Vredener Lande e.V., dessen Fotoarchiv sich seit 2006 als Depositum im Stadtarchiv Vreden (STAV) befindet. Die Sammlung ist über ein Findbuch mit verschiedenen Registern erschlossen und zählt 9789 Nummern. Bei den einzelnen Nummern handelt es sich meist um einzelne Aufnahmen, teilweise aber auch um Alben oder größere Konvolute.

In diese Kategorie gehört auch die Nr. 2105, eine Serie von 31 Fotos, die Theo Dahlhoff aus Bensberg-Refrath im Mai 1956 vom Torfstich im Amtsvenn bzw. einem Teilgebiet, dem Graeser Venn gemacht hat, wie sich aus dem Stempel „Copyright by / THEO DAHLHOFF / 5060 BENSBERG-REFRATH / HALBENMORGEN 28 / Bild Nummer O-“ auf den Rückseiten ergibt. Schön und gut, doch gleichzeitig wirft die Beschriftung eine ganze Reihe von Fragen auf: Wer war Theo Dahlhoff? Wie kam ein Profifotograf aus Bensberg, also dem Bergischen Land, dazu, den Torfstich im Westmünsterland zu fotografieren? Was bezweckte er damit? Handelte es sich um einen Fotoauftrag oder machte er die Fotografien aus künstlerischem Interesse? Und wie gelangten seine Aufnahmen in das Fotoarchiv des Vredener Heimatvereins?

Schon diese letzte Frage ist heute nicht mehr zu beantworten. Als Wilhelm Elling 1965 Vereinsvorsitzender des Heimat- und Altertumsvereins der Vredener Lande e.V. wurde, nahm er sogleich zielstrebig den Aufbau eines Fotoarchivs in Angriff, inhaltlich zunächst vornehmlich mit Schwerpunkt auf der Sachvolkskunde. Die Dokumentation der Fotografien erfolgte in Kladden, in denen jedes Foto eine fortlaufende Nummer erhielt. Dazu wurden der Name des fotografierten Objektes, Besitzverhältnisse, Herkunft und Funktion sowie Material und Maße festgehalten. Dieses an professionellen Verfahren geschulte Vorgehen erklärt sich durch Ellings Funktion als – damals noch ehrenamtlicher – Leiter des Hamaland-Museums. So weit, so gut, möchte man meinen. Nur helfen diese Kladden in unserem Fall nicht weiter, weil die Altbestände darin nicht erfasst wurden; die waren ja schon da! Das wiederum war damals nicht nur für den Heimatverein Vreden keineswegs ungewöhnlich: Wichtig war allein, dass man Fotos hatte, nicht, woher diese stammten! Auch der Fotograf war zweitrangig. Urheberrechte spielten noch kaum eine Rolle, wenigstens dann nicht, wenn es sich um wissenschaftlich-dokumentarische Aufnahmen oder sogenannte Knipserbilder handelte. Insofern war es gewissermaßen ‚folgerichtig‘, dass Elling verschiedene Fotos aus Dahlhoffs Serie zur Bebilderung einiger seiner Bücher benutzte, zum Fotografen außer der Namensnennung jedoch keine weiteren Angaben machte. Das trifft ebenso für die von Renate Brockpähler für die Volkskundliche Kommission herausgegebenen Lebenserinnerungen der Alstätter Bäuerin Gertrud Rolfes zu. Auch hier wurde Theo Dahlhoff, der Fotograf, wohl erwähnt, aber wie man an die Fotos gekommen war – ob von ihm selbst oder aber über Elling, der korrespondierendes Kommissionsmitglied war –, bleibt offen.

Ebenso wenig zu klären ist deswegen die Frage, wie es dazu kam, dass ein Fotograf aus dem Rheinland 1956 den Torfabbau im Amtsvenn dokumentierte und zu welchem Zweck er das tat. Torf war im Amtsvenn ebenso wie in den anderen Mooren im Grenzgebiet seit Jahrhunderten abgebaut worden, denn er hatte spätestens seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert eine zunehmende Rolle als Brennmaterial gespielt, weil die Waldbestände immer weiter zurückgegangen waren. Das änderte sich, als durch die Eisenbahnbauten 1875 und 1902/03 die Steinkohle aus dem Ruhrgebiet verfügbar wurde. Doch als am Ende des Zweiten Weltkriegs infolge der Zerstörungen zum einen die Kohleförderung zurückging und Kohle zum anderen nur noch in geringen Mengen ins Westmünsterland transportiert werden konnte, gewann der Torf seine frühere Bedeutung zurück: 1945/46 organisierte der Landkreis Ahaus den Torfabbau im Amtsvenn in großem Stil, um die Bevölkerung mit Brennmaterial zu versorgen. Das währte jedoch nur wenige Jahre. Schon Anfang 1949 machte sich die Kreisverwaltung Sorgen um den Absatz der zwei Millionen Torfsoden, die noch im Amtsvenn aufgestapelt waren, und reduzierte daher den Verkaufspreis.

1956, als Theo Dahlhoff seine Fotoserie aufnahm, war das längst vorbei, denn die Versorgungslage hatte sich normalisiert. Damals setzte allmählich das Wirtschaftswunder ein, das im Laufe der 1960er Jahre zu enormen Veränderungen in allen Lebensbereichen führte. Ging es vor dem Hintergrund dieses rasanten Wandels vielleicht sogar darum, den in jenen Jahren im Amtsvenn ebenso wie im Ammeloer Venn in Vreden-Wennewick zurückgehenden bäuerlichen Torfstich ‚ein letztes Mal‘ zu dokumentieren und mit dem industriellen Torfabbau zu kontrastieren?

Ein Bauernehepaar beim Torfstich im Amtsvenn 1956. (Foto: STAV Dep. FAHV Nr. 2105e)

Sehen wir uns die Bilder also einmal genauer an! Zum einen gibt es mehrere Fotos eines Mannes und einer Frau, vermutlich eines bäuerlichen Ehepaars, die zusammen Torf stechen. Der Mann trägt eine dunkle Hose, ein langärmeliges weißes Hemd und eine Schirmmütze, die Frau einen kurzärmeligen geblümten Kittel, einen sog. „Sünnhood“ zum Schutz gegen die Sonne und zwei Paar Wollsocken übereinander; an den Füßen tragen beide „Klumpen“, also Holzschuhe. Der Mann steht in der Torfkuhle und teilt den Torf mit einem „Torfspaon“, d. h. Torfspaten in gleichmäßige, etwa ziegelsteingroße Stücke, die er dann absticht und oben am Rand der Kuhle ablegt. Dort nimmt die Frau sie mit einer hölzernen „Torfgreepe“ auf und stapelt sie an einer freien Stelle zum Trocknen.

Ein Bauer oder Torfarbeiter im Amtsvenn beim Torfstich mit dem „Torfspaon“ 1956. Auffällig sind seine „Klumpstewwel“. (Foto: STAV Dep. FAHV Nr. 2105i)

Gut erkennbar ist das auch auf einem anderen Foto. Der Torfstecher ist ähnlich gekleidet wie der Bauer. Er trägt aber über dem Hemd noch eine Arbeitsjacke und statt einfacher Holzschuhe sog. „Klumpstewwel“, also Holzschuhe mit einem Lederschaft, denn am Grund der Torfkuhle steht das Wasser. Da hier ebenso wenig wie auf den anderen Fotos angegeben ist, um wen es sich handelt, lässt sich nicht sagen, ob es sich ebenfalls um einen Bauern oder aber um einen Torfarbeiter handelt.

Torfstechen im Amtsvenn 1956. Auffällig ist das unterschiedliche Schuhwerk: Der Mann trägt Holzschuhe, die Frau Gummistiefel. (Foto: STAV Dep. FAHV Nr. 2105l)

Das gilt ebenso für ein weiteres Foto dieser Serie, auf dem drei Personen bei der Torfarbeit zu sehen sind. Die beiden Männer haben die von den anderen Fotos bereits bekannte Arbeitskleidung an, nur dass sie statt Mützen breitkrempige Hüte tragen, die je nach Wetter vor Sonne oder Regen schützen sollen. Einer der Männer steht im Vordergrund in der Torfkuhle und sticht den Torf ab; das war anscheinend Männerarbeit. In der Bildmitte werden die Torfsoden von einem zweiten Mann weggepackt. Dabei unterstützt ihn eine am Ende der Arbeitskette im Hintergrund sichtbare Frau. Anders als der Mann oder die Bäuerin auf den anderen Bildern hat sie an den Füßen keine Holzschuhe, sondern Gummistiefel. Über einem Kittel trägt sie eine Schürze und eine Strickjacke, der Kopf ist unbedeckt. Eine Frau als Arbeiterin in der Torfindustrie, das ist angesichts der Verhältnisse der Nachkriegszeit auch ein Jahrzehnt nach Kriegsende nicht ausgeschlossen, doch ebenso gut ist ein familiärer Kontext denkbar: Eine Bäuerin, die mit ihrem Mann und einem Bruder oder Knecht Torf für den Eigenbedarf sticht.

Ein Torfstecher 1956 im Amtsvenn beim „Uptunnen“ des gestochenen Torfs. (Foto: STAV Dep. FAHV Nr. 2105m)

Der nächste Arbeitsschritt besteht darin, die Torfsoden zu etwa mannshohen Tonnen aufzustapeln. Dabei werden die Soden auf Lücke gesetzt, so dass der Wind hindurchstreichen kann, um sie zu trocknen.

Ein Torfstecher 1956 im Amtsvenn bei der Arbeit. Hinter sich hat er außerdem einen Torfspaten stehen. (Foto: STAV Dep. FAHV Nr. 2105o)

Der kommerzielle Torfstich sieht im Prinzip nicht anders aus, auch er ist körperlich anstrengende Handarbeit! Eines der Fotos zeigt einen Torfarbeiter, wie er den anstehenden Torf in Soden teilt. Dazu benutzt er aber keinen „Torfspaon“ zum Schneiden, sondern einen breiten Spaten, den er in den Torf stößt. Seine Arbeitskleidung besteht aus einem Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, einer Hose, die in Wollsocken gesteckt ist, und Holzschuhen. Seine jungen Arbeitskollegen, die die Torfsoden aufstapeln, haben offenbar ebenfalls Holzschuhe an den Füßen und auf dem Kopf Baschlikmützen. Im Unterschied zu den anderen arbeiten sie mit nacktem Oberkörper. Was den industriellen vom bäuerlichen Torfstich unterscheidet, ist also weniger die Art und Weise, in der er betrieben wird, sondern die Dimension. Sie ist ansatzweise auf einem weiteren Foto zu erahnen:

Ein Torfarbeiter 1956 im Amtsvenn bei der Torfabfuhr mit einer Schiebkarre. Die mit Draht befestigten Zweige sollen ein Herabfallen der Torfsoden verhindern. (Foto: STAV Dep. FAHV Nr. 2105z1)

In schier endlos langen Reihen liegen die Torfsoden beiderseits eines Grabens aufgestapelt. Ein Torfarbeiter ist damit beschäftigt, sie auf eine aus Eisenstangen zusammengebaute Schiebkarre zu laden, deren ebenfalls aus Metall bestehendes breites Rad das Einsinken im moorigen Untergrund verhindern soll. Der weitere Abtransport erfolgte in hölzernen Kastenwagen. Der auf einem Foto abgebildete gehörte, das zeigen Name und Hausnummer, einem Bauern in Graes und wurde offenbar schon von einem Trecker gezogen, wie an der Beschaffenheit der Deichsel zu sehen ist. In den ersten Nachkriegsjahren hatte der Kreis Ahaus zu diesem Zweck aber auch Lkw beschlagnahmt. Lkw dürften um 1955 auch im industriellen Torfstich eingesetzt worden sein, wurden von Dahlhoff aber ebenso wenig ins Bild gesetzt wie die maschinelle Weiterverarbeitung des Torfs. Sie ist allenfalls auf einem Foto zu sehen, das zwei Arbeiter zeigt, die große Presstorfballen abstapeln.

Zwei junge Torfarbeiter stapeln Presstorfballen ab, im Hintergrund ist ein Lastwagen erkennbar. (Foto: STAV Dep. FAHV Nr. 2105z4)

Die Presstorfherstellung erfolgte durch eine niederländische Firma. Später wurde der Torf nur noch abgebaut, um als Streutorf benutzt zu werden. Daran war auch die Firma Göring aus Vreden beteiligt. Sie hatte im Ammeloer Venn gewerbliche Torfgewinnung betrieben, bis dieses Areal 1975 als Naturschutzgebiet ausgewiesen worden war, und deswegen Ausgleichsflächen im Amtsvenn erhalten. Dort endete der Torfabbau erst 1982. Nachdem einzelne Teile wie das Graeser Venn schon 1939/65 und das Eper Venn 1961 unter Naturschutz gestellt worden waren, trat 1983 die Naturschutzverordnung für das Hündfelder Moor als letzten Teil des Amtsvenn in Kraft. Seitdem ist der Torfabbau nur noch anhand von Fotos wie denen von Theo Dahlhoff nachzuvollziehen.

Literatur:

Renate Brockpähler (Hrsg.): Aus dem Leben einer Bäuerin im Münsterland. Gertrud Rolfes berichtet, Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland Heft 25, Münster 1981, S. 6, 64-66, Abb. 34-42

Bernard Büld: Holzschuhe und Holzschuhmacherhandwerk im westlichen Münsterland. Ein Beitrag zur Geschichte und Volkskunde des westfälischen Handwerks, Beiträge des Heimatvereins Vreden zur Landes- und Volkskunde Bd. 18, Vreden 1980, S.100-102, Abb. 54-56

Gertrud Elling/Wilhelm Elling: Hausrat & Arbeitsgerät im Westmünsterland, Vreden 2002, S. 389, Abb. 592

Wilhelm Elling: Bessmooders Tied. Ein Mundart-Lesebuch für das Westmünsterland, Beiträge des Heimatvereins Vreden zur Landes- und Volkskunde Bd. 34, Vreden 1987, S. 22, Abb. 8

Neue Westfälische Zeitung Nr. 12 v. 20.6.1945, Nr. 20 v. 17.8.1945

Gerd Schulte/Josef Farwick: Amtsvenn – von der Naturlandschaft zur Kulturlandschaft, in: Wolfgang Schwöppe/Heinrich Terlutter (Hrsg.): Die Kulturlandschaft im westlichen Münsterland und im Oost-Achterhoek. Exkursionsband, Vreden 1996

Westfälische Nachrichten Jg. 4 Nr. 15 v. 5.2.1949