Volker Tschuschke
Einer der Schwerpunkte des Blogs der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen ist die Fotografie. Dafür gibt es einen guten Grund, denn ein wichtiges Anliegen des Blogs ist es, Bestände aus Archiven und Museen vorzustellen. Mehr oder weniger umfangreiche Fotobestände – seien es nun Alben oder einzelne Abzüge – finden sich in den Sammlungen vieler Archive und Museen, aber auch Heimatvereine. Das gilt auch für den Heimat- und Altertumsverein der Vredener Lande e.V., dessen Fotoarchiv sich seit 2006 als Depositum im Stadtarchiv Vreden (STAV) befindet. Die Sammlung ist über ein Findbuch mit verschiedenen Registern erschlossen und zählt 9789 Nummern. Bei den einzelnen Nummern handelt es sich meist um einzelne Aufnahmen, teilweise aber auch um Alben oder größere Konvolute.
In diese Kategorie gehört auch die Nr. 2105, eine Serie von 31 Fotos, die Theo Dahlhoff aus Bensberg-Refrath im Mai 1956 vom Torfstich im Amtsvenn bzw. einem Teilgebiet, dem Graeser Venn gemacht hat, wie sich aus dem Stempel „Copyright by / THEO DAHLHOFF / 5060 BENSBERG-REFRATH / HALBENMORGEN 28 / Bild Nummer O-“ auf den Rückseiten ergibt. Schön und gut, doch gleichzeitig wirft die Beschriftung eine ganze Reihe von Fragen auf: Wer war Theo Dahlhoff? Wie kam ein Profifotograf aus Bensberg, also dem Bergischen Land, dazu, den Torfstich im Westmünsterland zu fotografieren? Was bezweckte er damit? Handelte es sich um einen Fotoauftrag oder machte er die Fotografien aus künstlerischem Interesse? Und wie gelangten seine Aufnahmen in das Fotoarchiv des Vredener Heimatvereins?
Schon diese letzte Frage ist heute nicht mehr zu beantworten. Als Wilhelm Elling 1965 Vereinsvorsitzender des Heimat- und Altertumsvereins der Vredener Lande e.V. wurde, nahm er sogleich zielstrebig den Aufbau eines Fotoarchivs in Angriff, inhaltlich zunächst vornehmlich mit Schwerpunkt auf der Sachvolkskunde. Die Dokumentation der Fotografien erfolgte in Kladden, in denen jedes Foto eine fortlaufende Nummer erhielt. Dazu wurden der Name des fotografierten Objektes, Besitzverhältnisse, Herkunft und Funktion sowie Material und Maße festgehalten. Dieses an professionellen Verfahren geschulte Vorgehen erklärt sich durch Ellings Funktion als – damals noch ehrenamtlicher – Leiter des Hamaland-Museums. So weit, so gut, möchte man meinen. Nur helfen diese Kladden in unserem Fall nicht weiter, weil die Altbestände darin nicht erfasst wurden; die waren ja schon da! Das wiederum war damals nicht nur für den Heimatverein Vreden keineswegs ungewöhnlich: Wichtig war allein, dass man Fotos hatte, nicht, woher diese stammten! Auch der Fotograf war zweitrangig. Urheberrechte spielten noch kaum eine Rolle, wenigstens dann nicht, wenn es sich um wissenschaftlich-dokumentarische Aufnahmen oder sogenannte Knipserbilder handelte. Insofern war es gewissermaßen ‚folgerichtig‘, dass Elling verschiedene Fotos aus Dahlhoffs Serie zur Bebilderung einiger seiner Bücher benutzte, zum Fotografen außer der Namensnennung jedoch keine weiteren Angaben machte. Das trifft ebenso für die von Renate Brockpähler für die Volkskundliche Kommission herausgegebenen Lebenserinnerungen der Alstätter Bäuerin Gertrud Rolfes zu. Auch hier wurde Theo Dahlhoff, der Fotograf, wohl erwähnt, aber wie man an die Fotos gekommen war – ob von ihm selbst oder aber über Elling, der korrespondierendes Kommissionsmitglied war –, bleibt offen.
Ebenso wenig zu klären ist deswegen die Frage, wie es dazu kam, dass ein Fotograf aus dem Rheinland 1956 den Torfabbau im Amtsvenn dokumentierte und zu welchem Zweck er das tat. Torf war im Amtsvenn ebenso wie in den anderen Mooren im Grenzgebiet seit Jahrhunderten abgebaut worden, denn er hatte spätestens seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert eine zunehmende Rolle als Brennmaterial gespielt, weil die Waldbestände immer weiter zurückgegangen waren. Das änderte sich, als durch die Eisenbahnbauten 1875 und 1902/03 die Steinkohle aus dem Ruhrgebiet verfügbar wurde. Doch als am Ende des Zweiten Weltkriegs infolge der Zerstörungen zum einen die Kohleförderung zurückging und Kohle zum anderen nur noch in geringen Mengen ins Westmünsterland transportiert werden konnte, gewann der Torf seine frühere Bedeutung zurück: 1945/46 organisierte der Landkreis Ahaus den Torfabbau im Amtsvenn in großem Stil, um die Bevölkerung mit Brennmaterial zu versorgen. Das währte jedoch nur wenige Jahre. Schon Anfang 1949 machte sich die Kreisverwaltung Sorgen um den Absatz der zwei Millionen Torfsoden, die noch im Amtsvenn aufgestapelt waren, und reduzierte daher den Verkaufspreis.
1956, als Theo Dahlhoff seine Fotoserie aufnahm, war das längst vorbei, denn die Versorgungslage hatte sich normalisiert. Damals setzte allmählich das Wirtschaftswunder ein, das im Laufe der 1960er Jahre zu enormen Veränderungen in allen Lebensbereichen führte. Ging es vor dem Hintergrund dieses rasanten Wandels vielleicht sogar darum, den in jenen Jahren im Amtsvenn ebenso wie im Ammeloer Venn in Vreden-Wennewick zurückgehenden bäuerlichen Torfstich ‚ein letztes Mal‘ zu dokumentieren und mit dem industriellen Torfabbau zu kontrastieren?