Unter Strom

23.06.2020

Bei der Roggenernte: Der Bindemäher im Einsatz, 1950er-Jahre.

Unter Strom

Der Hof Horstmeier-Hippe in Holzhausen (Preußisch Oldendorf) und die agrarisch-technischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts

Sebastian Schröder

Im äußersten Westen der Gemarkung Holzhausen (heute Stadt Preußisch Oldendorf), hart an der Grenze zum benachbarten Offelten, liegt der Hof Horstmeier-Hippe. Bei der Umgebung, die als Holzhauser beziehungsweise Offelter Holz bezeichnet wird, handelt es sich um eine „frühneuzeitliche Ausbauflur“. Dieser Fachbegriff der Siedlungsgeschichtsforschung meint, dass die dortigen Gehöfte abseits der Ortskerne durch Rodung von Baugrundstücken ab dem 15. Jahrhundert entstanden sind. Hier zeigt sich unverkennbar die charakteristische Streusiedlung des Ravensberger Landes.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichte der technische Fortschritt aber selbst diesen hintersten Winkel mit Volldampf. Die Auswirkungen der industriellen Neuerungen machten sich auch im Holzhauser Holz deutlich bemerkbar. Seinerzeit bewirtschaftete Wilhelm Horstmeier die etwa knapp zehn Hektar große Stätte. 1911 verfestigten sich die Planungen, das Gebiet an das Stromnetz anzuschließen. Horstmeier war ein Anhänger dieser damals neuartigen Energieform, ganz im Gegensatz zu seinen Offelter Nachbarn. Sie trauten dem „neumodischen Kram“ nicht, sodass die Gemeinde Offelten erst in der Mitte der 1920er-Jahre einen Stromanschluss erhielt; im Offelter Holz floss sogar noch später, ab 1938, Strom.

Doch Wilhelm Horstmeier ließ sich von den Zweiflern nicht beeindrucken. Vielmehr erkannte er die Chancen und Möglichkeiten, die die elektrische Spannung bot. Noch im Jahr 1911 bestellte er beim Siemens-Schuckert Werk GmbH in Osnabrück einen Drehstrommotor mit einer Leistung von fünf PS. Dafür griff der Landwirt tief in die Tasche: 382 Reichsmark hatte er zu zahlen. Ein Jahr darauf wurde die Kraftanlage eingerichtet. Übrigens brannte zu diesem Zeitpunkt lediglich eine einzige elektrische Lampe im gesamten Bauernhaus – nämlich auf der Diele. Für drei zusätzliche Lichtquellen beantragte Horstmeier Ende 1914 die Installationserlaubnis; 1928 spendeten dann 13 Elektrolampen Licht im Gebäude.

Am 30. November 1912 kauften Wilhelm Horstmeier, Wilhelm Finke und Heinrich Bringewatt aus Holzhausen bei der B. Holthaus, Maschinenfabrik AG aus Dinklage eine Dreschmaschine.

Der Drehstrommotor betrieb eine eigens angeschaffte Mühle, mit der Getreide geschrotet wurde. Es diente als Viehfutter für die Schweine und Kühe. Außerdem konnte mit dem Schrotgang Roggenmehl zum Backen von Schwarzbrot hergestellt werden. Der regelmäßige Weg zu einer größeren Mühle erübrigte sich nun. Weil Horstmeier nicht der Einzige blieb, der sein Getreide selber mahlte, hatte die Elektrifizierung unter anderem erhebliche Auswirkungen auf das traditionelle Müllerhandwerk. Allmählich schlossen die größtenteils kleinen Betriebe ihre Türen – dieser Vorgang wird als „Mühlensterben“ bezeichnet.

Neben dem Motor waren recht bald weitere technische Neuheiten auf dem Hof im Einsatz. Gemeinsam mit seinen Holzhauser Nachbarn Wilhelm Finke und Heinrich Bringewatt schloss Wilhelm Horstmeier am 30. November 1912 einen Vertrag mit der Firma B. Holthaus, Maschinenfabrik AG aus Dinklage ab. Die drei Bauern kauften für 975 Mark eine Dreschanlage.

Doch das Getreide auf dem Feld musste seinerzeit noch immer mit der Hand geerntet werden. Sichel und Sense waren die einzigen Gerätschaften, ehe auch auf diesem Gebiet moderne Maschinen ihren Siegeszug antraten.

Um 1921 erwarb Heinrich Hippe, der Schwiegersohn Horstmeiers, der mittlerweile die Stätte übernommen hatte, eine gebrauchte Mähmaschine des amerikanischen Herstellers Osborn. Zwei Pferde waren nötig, um sie zu ziehen und Getreide oder Gras zu schneiden. In kurzer Zeit galt diese Maschine allerdings ebenfalls als technisch überholt – die Bindemäher schickten sich an, die Wiesen und Ackerflächen zu erobern. Die ersten ihrer Art fanden ab 1935 ihren Einsatz auf den Holzhauser und Offelter Feldern. Mehrere Offelter Landwirte besaßen zu diesem Zeitpunkt gemeinsam einen Lanz Bulldog, der einen Bindemäher zog. Dieses Gespann war jedoch nicht ausreichend, um das gesamte Getreide der Umgebung zu ernten. Überdies gab es noch andere Probleme. Denn die Kornfrüchte mussten zehn Tage länger auf dem Halm reifen, als man es gewöhnt war, ehe die Maschine eingesetzt werden konnte. Des Weiteren wirkte sich eine starke Verunkrautung negativer als beim herkömmlichen Mähvorgang aus – das Getreide musste „sauber“ sein. Die Befürchtungen der Skeptiker schienen sich zu bewahrheiten: In Amerika könne ein Bindemäher gewinnbringender eingesetzt werden, doch in den heimischen Gefilden fehle einfach die nötige Sonneneinstrahlung!

Letztendlich sollte es einige Jahre dauern, ehe sich die Abläufe eingespielt und die Bauern die Tricks und Kniffe herausgefunden hatten. So wundert es wenig, dass die neuartigen Erntemaschinen im Sommer zu einem gewohnten Anblick auf den Getreidefeldern wurden. Heinrich Hippe kaufte gemeinsam mit seinem Offelter Nachbarn Hansjürgen einen Bindemäher der Marke Fella Tonny, der von drei Pferden gezogen werden musste. Diese Gerätschaft schnitt nicht nur das Getreide, sondern band es außerdem sogleich zu Garben. Diese mussten nun nur noch zu Stiegen zusammengestellt werden – der bis dato von Menschenhand durchgeführte Arbeitsschritt des Bindens entfiel also. Lediglich der Dreschvorgang an sich, also das Trennen des Korns vom Stroh, blieb als gesonderte Tätigkeit bestehen.

Beim Einfahren der Haferstiegen im Jahr 1952 mussten alle mit anpacken!

Übersieht man das hier vorgestellte knappe halbe Jahrhundert, so beeindruckt die rasante technische Entwicklung. Dass die Neuerungen mitnichten nur auf größeren Höfen oder Gütern eingesetzt wurden, verdeutlicht ein Blick auf den eher kleinen landwirtschaftlichen Betrieb Horstmeier-Hippe sehr anschaulich – auch den „Kleinen“ dienten die „großen“ Innovationen. Überall nutzten die Bauern die Annehmlichkeiten des Fortschritts. Dabei ließen sich viele weitere Aspekte des Wandels anführen: Pestizide oder Herbizide wurden entwickelt, ebenso verwendete man in stärkerem Maße Kunstdünger. Traktoren, ausgefeilte Maschinentechniken und Mähdrescher sind ebenfalls Charakteristika dieser Epoche, genauso wie das „Mühlensterben“ oder die Anfänge der Massentierhaltung. Rückblickend stellte das 20. Jahrhundert für die Landwirtschaft eine enorm pulsierende Zeit dar. Dass die landwirtschaftlichen Erzeuger heutzutage oftmals als rückständig angesehen werden und vor allem die als negativ empfundenen Auswüchse des Agrarsektors in den Vordergrund gerückt werden, ist daher nicht gerechtfertigt. Eine solche einseitige Sichtweise zeugt vielmehr davon, dass das Wissen über agrarische Betriebs- und Anbaumethoden in breiten Teilen der Bevölkerung verloren gegangen ist. Auch das mag ein Resultat der Moderne sein, die in vielen Gesellschaftsbereichen zu Differenzierungen und Spezialisierungen führte und somit verschiedene Lebensformen und -bereiche voneinander schied. Kulturhistorische Studien sollten gegen diese Tendenz ansteuern und dafür sensibilisieren, profunde Kenntnis vom Alltag auf dem Land zu erwerben, um sich ein ausgewogenes Urteil über die Landwirtschaft bilden zu können.