Unterwegs in Herford mit Gabriele Münter

17.01.2025 Niklas Regenbrecht

Die Johannisstraße, Fotomotiv für die Hinterglasmalererei (Foto: Geschichtsverein Herford).

Christoph Laue

Die Expressionistin Gabriele Münter wird zurzeit weltweit wiederentdeckt, auch in Herford widmen sich ihr zwei Ausstellungen. Im Marta werden ihren frühen Fotografien aus Amerika in Kontrast zur zeitgenössischen Fotografie von Kathrin Sonntag gestellt, im neuen Haus der Stiftung Ahlers Pro Arte neben dem Marta, ihr umfangreiches malerisches Schaffen gewürdigt. Immer wieder wird Münter als Herforderin bezeichnet, in Wahrheit lebte sie hier, von Berlin kommend, mit ihrer Familie nur vom ersten bis zum sechsten Lebensjahr. Ihr Vater, Zahnarzt Carl Münter, selbst 1826 in Herford geboren, zog ein Jahr nach der Geburt der jüngsten Tochter 1877 in ein neu erbautes Haus an der Bielefelder Straße.

Nach ihrem Wegzug 1884 (1886 starb ihr Vater, 1897 ihre Mutter) blieb sie in schriftlichen und besuchsmäßigem Kontakt mit Verwandten in Herford, 1903, 1911 und 1913 war sie in Herford. Als 1938 ihre Werke aus Anlass ihres 60. Geburtstags in Herford ausgestellt wurden, schenkte sie dem Stadtmuseum das Bild „Zinnien und Glücksschiffchen“, zurzeit im Marta zu sehen. Sie berichtete in ihrer Korrespondenz, aus ihrer Zeit in Herford entscheidende Erinnerungen zu besitzen. In der Ahlers-Stiftung ist ein Hinterglasbild in zwei Ausfertigungen zu sehen, für das sie eine wohl 1911 gemachte Fotografie als Vorlage nutzte - eine „malerische Gasse“ zeigt die Johannisstraße vor der Kriegszerstörung im zweiten Weltkrieg. Ab 1909 in Murnau lebend, hat sie dort die Hinterglasmalerei erlernt und etwa 100 Bilder in dieser Technik hergestellt.

Doch wie hat sie Herford als Kind erlebt, welche Wege ging sie, wie sah es damals hier aus? Das Müntersche Haus an der Bielefelder Straße existiert nicht mehr, dort befindet sich der Parkplatz des Unternehmens Westfalen-Weser. Fotos davon gibt es bisher nicht, es ist schemenhaft auf einer Panoramaaufnahme von 1892 zu erkennen. Der Garten grenzte an die Aa, zu dieser Zeit noch unreguliert mäandert. Der Weg in die Stadt führte über die Deichtorbrücke mit Blick auf die Radewiger Jakobikriche, direkt dort in der Bielefelder Str. 2 wohnten Verwandte, die Kaufleute Ludwig und Carl Münter. Zum Bahnhof ging es über das Steintor, damals noch von der früheren Stadtbefestigung geprägt. An der Jakobikirche vorbei war der Weg über Radewiger- und Bäckerstraße in Richtung Alter Markt. Links in der Löhrstraße 12 lebte der Leinenfabrikant Wilhelm Münter, auch Presbyter der Radewiger Kirchengemeinde. Am Alten Markt war 1878 gerade das Altstädter Rathaus abgebrochen worden, um einen neuen, hygienischen Platz zu schaffen. 1879 wurde das Kriegerdenkmal dort eingeweiht, war die zweijährige Gabriele dabei?

Wochenmarkt auf dem Alten Markt mit Mausefalle links (Foto: Geschichtsverein Herford).

Um die Ecke hatte in der schmaler als heute geführten Mausefalle, Dr. med. Gustav Münter - auch Stadtverordneter - seine Praxis. Nach rechts führte der Besuch zu Am Gange 9, wo die Familie von Kaufmann Wilhelm Münter wohnte, noch heute im Besitz der Familie Münter. Auf dem Weg zu Hermann Münter, damals Rentner, Ratsherr und stellvertretender Standesbeamter an der Arndtstr. 1 wäre Gabriele Münter an der Ruine der kurz zuvor 1876 abgebrannten Schönfeldschen Spinnerei vorbeigekommen. Der Wochenmarkt fand bis 1901 noch auf dem Alten Markt statt. Von dort war es für ein Vorschulkind noch ein weiter Weg durch Gehrenberg und Brüderstraße oder über die Rennstraße, wo in Nr. 18 Kaufmann und Stadtverodneter Friedrich Münter lebte, zur Johannisstraße.

Die abgebrannte Schönfeldsche Fabrik 1876, heute Rathausplatz (Foto: Kommunalarchiv Herford).

In diesen Kinderjahren von Gabriele waren viele Umbrüche im Gange, der umtriebige Bürgermeister Ludwig Quentin, im Amt von 1875 bis 1908, trieb viele Neuerungen voran. Die heute so beliebten Wege um den Wall waren noch nicht ausgebaut. Vielleicht hat Herford doch erst in späteren Jahren seinen Reiz auf Gabriele Münter ausgeübt? Stammen die prägenden Erinnerungen erst aus späterer Zeit? Immerhin schrieb sie in einem Brief an ihren Lebensgefährten Johannes Eichner 1933: „und dann habe ich doch ein westfälisches Heimatgefühl behalten.“

 

 

Zuerst erschienen in: HF-Magazin. Heimatkundliche Beiträge aus dem Kreis Herford, Nr. 130, 11.09.2024, herausgegeben von der Neuen Westfälischen.

Link: https://www.kreisheimatverein.de/wissen/hf-magazin/

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