Versteigerung bei brennender Kerze

10.12.2021 Dorothee Jahnke

In der „Gartenlaube“ wurde 1884 das Bild „Auction bei brennender Kerze in Bremen“ von C. C. Junghans abgedruckt. Quelle: Die Gartenlaube (1884), Heft 26, S. 440.

Sebastian Schröder

Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten – verkauft! Ein kräftiger Hammerschlag zeigt auch akustisch an, dass der Zuschlag im Rahmen einer Versteigerung tatsächlich erfolgt ist. Sobald der Hammer krachend niedergefahren ist, gibt es nichts mehr zu rütteln: Die Entscheidung ist getroffen. Diese Verkaufsmethode mutet im Zeitalter von Online-Auktionen freilich etwas antiquiert an. Ebenso wie ein anderes Requisit von Versteigerungen, das in der Frühen Neuzeit, also den Jahrhunderten zwischen 1500 und 1800, verbreitet war: die brennende Kerze.

Zu den Liegenschaften der Stadt Vlotho an der Weser (Grafschaft Ravensberg) zählte unter anderem eine Schafhude. Das Hütungsrecht übten die städtischen Vertreter jedoch nicht selbst aus, sondern verpachteten es jeweils an den Meistbietenden. Diesbezüglich setzte der zuständige Steuerrat Consbruch am 21. Juli 1734 einen Verhandlungstermin an, den er in den sogenannten „Intelligentz-Zettuln“ bekannt gab. Dabei handelte es sich um die behördlichen Mitteilungsblätter beziehungsweise um öffentliche Aushänge. In diesem Publikationsorgan hieß es, dass die Schafhude ab Michaelis (28. September) 1734 neu vergeben werde und zwar an denjenigen Interessenten, der das höchste Gebot verkünde. Insgesamt lief die Pachtdauer über sechs Jahre. So fanden sich am Versteigerungstermin („Terminus licitationis“) tatsächlich einige Kauflustige ein, nämlich die örtlichen Bürger Tilhen Bertoldt, Steinböhmer, Sübcke, Diercksen und Jobst Güldener. Ihnen erklärte der Steuerrat nochmals mündlich die Konditionen und entzündete daraufhin eine Kerze. Alle Anwesenden durften nun solange bieten, bis die Feuerquelle erlosch – „bey abfallendem Licht“ erhalte der dann Meistbietende den Zuschlag. Tilhen Bertoldt startete mit 20 Reichstalern, Steinböhmer erhöhte auf 22 Reichstaler, Sübcke legte abermals einen Reichstaler dazu. Güldener bot 23 Reichstaler und 18 Groschen. Diercksen war bereit, 24 Reichstaler und 18 Groschen zu zahlen. Doch letztlich sollte Jobst Güldener den Bieterstreit für sich entscheiden. In dem Moment als das Licht der Dunkelheit wich, belief sich sein letztes Angebot auf 25 Reichstaler.

Nach Ablauf der sechsjährigen Heuerzeit setzte Steuerrat Consbruch am 5. September 1740 erneut einen Verhandlungstermin an, der sich in Form und Verfahren nicht von demjenigen des Jahres 1734 unterschied. In dem darüber geführten Protokoll wird jedoch ein entscheidender Grund geäußert, weshalb man eine Kerze abbrennen ließ: Die „Unpartheyigkeit“ sollte unbedingt gewahrt bleiben, sodass sich kein Interessent benachteiligt fühlen müsse. Keineswegs durfte der Anschein entstehen, „Klüngel“ und Vetternwirtschaft würden die Versteigerung beeinflussen. In diesem Sinne war es folgerichtig, die Entscheidung teils auch dem Zufall zu überlassen. Übrigens: 1740 bekam der Kaufmann Christian Carl Güldener den Zuschlag, musste aber 36 und einen halben Reichstaler an jährlicher Pacht entrichten. Die städtische Obrigkeit in Vlotho ließ neben der Hude der Schafweide außerdem die Heuer des Steinweges bei brennender Kerze ermitteln. Die Interessenten verpflichteten sich, die steinerne Strecke in einem guten Zustand zu erhalten, im Gegenzug durften sie Zoll- oder Nutzungsgebühren erheben. Als sich die Bieter im Juni 1721 versammelten, erhielt Jobst Henrich Schweppe den Zuschlag bei einer Summe von 57 Reichstalern, „nachdem auf deßen Bott das Licht erloschen“.

Die Seite der „Gartenlaube“ mit dem Bild „Auction bei brennender Kerze in Bremen“ von C. C. Junghans. Quelle: Die Gartenlaube (1884), Heft 26, S. 440.

Die Vormoderne kannte neben der Versteigerung bei brennender Kerze weitere ritualisierte Verfahren bei Verkäufen oder Besitzübertragungen. Bis heute gebräuchlich ist beispielsweise der Handschlag. Des Weiteren ist das Antasten eines Hutes zu nennen. Sofern Gebäude oder Ländereien einen neuen Eigentümer fanden, löschte der frühere Besitzer das Herdfeuer und nahm den Topf von der Herdstelle. Der zukünftige Eigner entfachte daraufhin von neuem die Glut. Zudem wurde ein Holzspan der Eingangstür, ein Kluten Erde oder ein Zweig weitergereicht; beim Verkauf von Teichen oder Wasserrechten schlug man mit der Hand ins Wasser, um die rechtmäßige Übertragung des Eigentums zu signalisieren. Allesamt dienten diese zeichenhaften Handlungen dazu, einen Verkauf oder eine Verpachtung vor Zeugen als rechtmäßig anzuerkennen. Daneben gab es etwa ab dem ausgehenden Mittelalter schriftliche Verträge, die das ritualisierte Verfahren zunächst lediglich dokumentierten und für die Nachwelt sicherten. Kauf- und Heuerkontrakte gewannen erst in einem langwährenden Prozess eine eigene Autorität, wie sie in der Moderne als selbstverständlich erscheint.

In diesem Sinne belegen die brennende Kerze und die anderen skizzierten Verfahren, wie sich das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit in den vergangenen Jahrhunderten drastisch gewandelt hat.