Von Neujahrsbriefen und weihnachtlichen Wunschzetteln

05.12.2023 Marcel Brüntrup

Neujahrsbrief aus Unna-Bönen, 1873, Archiv für Alltagskultur, Sign. 1988.02253.

Christiane Cantauw

Wenn sich das Jahr zum Ende neigt, mehren sich die Weihnachts- und Neujahrsgrüße, die uns auf dem ein oder anderen Wege erreichen. Das war auch vor rund 400 Jahren schon so, allerdings kamen die schriftlichen Grüße nicht aus dem Freundes- und Verwandtenkreis oder vom Dienstherrn, sondern von Kindern.

Bereits aus dem 17. Jahrhundert sind Briefe überliefert, die Kinder zum Jahresende oder zu Weihnachten an ihre Eltern und/oder ihre Pat:inn:en richteten. Seit dem 19. Jahrhundert gab es im Schreibwarenhandel sogar Schmuckbögen zu kaufen, die eigens für die kindlichen Neujahrsbriefe gedacht waren. Die Inhalte der Briefe sind über die Jahrhunderte hinweg durchaus vergleichbar. Zuvorderst ging es darum, den angeschriebenen Erwachsenen für ihre Güte, Sorge und Mühe zu danken. Der Dank war oft eingebettet in religiöse Bezüge („Möchte Sie der Allgütige fernerhin noch recht lange gesund und stark erhalten“). Als Gegengabe für die von den Eltern oder den Paten und Patinnen erwiesenen Wohltaten stellten die Kinder Wohlverhalten in Aussicht.

Titelbild Briefsteller, dat. 1900 (Foto: Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung).

Die über die Jahrhunderte hinweg erstaunlich stereotypen Inhalte der Briefe deuten darauf hin, dass es sich bei ihnen nicht um Zeugnisse einer individuellen Schreibkultur handelt, sondern um standardisierte, vorformulierte Texte. Die Vorlagen stammten aus sogenannten Briefstellern oder von den Lehrer:inne:n; sie wurden von den Kindern abgeschrieben. Eine solche Praxis ist im Alltagskulturarchiv noch für das 20. Jahrhundert belegt: „Der Lehrer schrieb ihn [den Neujahrsbrief] an die Tafel, und wir nahmen dann einen extra für den Zweck hergestellten Briefbogen mit bunten Bildchen und schrieben ihn ab. Dabei verschrieben einige wohl ein Dutzend Bogen, und es gab Keile. Es kam auch vor, daß einer einen für den anderen schreiben mußte, der es da nicht hin kriegte“ (MS 1662).

Die Kinder überbrachten ihre Briefe den Eltern und/oder Pat:inn:en, lasen sie teils auch vor und erhielten zur Belohnung ein Neujahrsgeschenk. Die Neujahrsbriefe waren also eingebettet in soziale Beziehungen, die in Gabe und Gegengabe ihren Ausdruck fanden und sich erzieherisch nutzen ließen. Waren die Kinder fleißig, artig, brav und fromm, erhielten sie Geschenke – ob zu Neujahr oder zum Nikolaus- oder Weihnachtsfest.

Wie standardisiert die Geschenke und als Reaktion darauf auch die Wünsche in vielen Milieus im 19. Jahrhundert waren, belegt ein Brief der zehnjährigen Karoline Wenninghoff (1875–1933) aus Bevergern (heute Stadtteil von Hörstel). Sie schrieb am 3. Dezember 1885 an den Nikolaus: „Lieber heiliger Nikolaus! Ich habe gehört, daß Du in der Nacht von Samstag auf Sonntag durch Bevergern reisen wirst und den guten Kindern was bringen wirst. Ich will auch recht artig sein! Damit du weißt, wo ich wohne, und an dem Haus nicht vorbeigehst, will ich dir unsere Hausnummer sagen: Nr. 138. Ich wünsche mir nebst Kuchen auch eine Mütze, eine Schürze und Handschuhe, ich will auch recht artig sein […] Dass du kommst, hofft deine Karoline Wenninghoff.“ Karoline stammte aus einer kinderreichen katholischen Familie, entsprechend bescheiden fielen ihre Wünsche aus, für deren Erfüllung sie als Gegengabe Wohlverhalten („Ich will auch recht artig sein!“) in Aussicht stellte. Ihren Brief schrieb sie in Schönschrift auf liniertes Papier; Zeichnungen oder Verzierungen fehlen hier völlig.

Grafisch gestaltete Vordrucke für Wunschzettel im engeren Sinne gab es in Spielwarengeschäften oder Schreibwarenhandlungen, zunehmend wurden sie kostenlos weitergegeben. Adressiert waren sie vielfach „An das liebe Christkind“ oder „An den Weihnachtsmann“. An einen Versand war nicht gedacht. Die Wunschzettel wurden vielmehr auf der Fensterbank oder an einem anderen Ort im Haus abgelegt und in der Nacht von Christkind, Nikolaus oder Weihnachtsmann in Gestalt der Eltern eingesammelt. 

Wunschzettel, Vordruck (um 1950) (Foto: Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung).

Waren die Nikolaus-, Weihnachts- und Neujahrsgeschenke zunächst eher standardisiert (Geld, Esswaren, Kleidung, Schulbedarf, Spielzeug), so ist seit dem 19. Jahrhundert in den wohlhabenderen bürgerlichen Milieus allmählich eine Höherbewertung der Spielwaren als Lern- und Erziehungsinstrument verbunden mit einer zunehmenden Individualisierung zu beobachten. In den meisten Familien wurde das allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg in der Phase des Hyperkonsums relevant. Hier setzte nun eine Entwicklung ein, die die Begehrlichkeiten der Kinder und das kommerzielle Warenangebot immer passgenauer zusammenführte; die Wunschzettel wurden letztlich zu Bestellzetteln.

In den beginnenden 1960er Jahren nahmen Kinder dann direkten Kontakt zu den Gabenbringern auf; auf dem Postweg trudelten erste an den Nikolaus gerichteten Kinderbriefe im niedersächsischen Nikolausdorf ein. Die immer größeren Briefberge im Nikolausbüro beantworteten Ehrenamtliche; die Post unterstützte die Aktion mit Briefmarken, der Übernahme von Druckkosten und einem Sonderstempel. Seit 1967 konnten Briefe mit Wünschen zu den Bescherterminen ins saarländische St. Nikolaus oder ins niedersächsische Himmelsthür (Stadtteil von Hildesheim) geschickt werden.

Weitere Weihnachtspostämter entstanden in Orten mit „himmlischem Namen“, so in Himmelspforten an der Niederelbe, in Engelskirchen im Rheinland oder im brandenburgischen Himmelpfort. Derzeit gibt es in Deutschland folgende sieben Weihnachts-, Christkind- beziehungsweise Nikolauspostämter, die aus dem In- und Ausland Post erhalten: Himmelsthür, Nikolausdorf, Himmelpforten (alle Niedersachsen), Engelskirchen (Nordrhein-Westfalen), St. Nikolaus (Saarland), Himmelstadt (Bayern) und Himmelpfort (Brandenburg). Sie nehmen sechs Wochen vor Weihnachten den Betrieb auf. Zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind dann in den Weihnachtspostämtern damit beschäftigt, Kindern im Namen von Nikolaus, Weihnachtsmann oder Christkind auf ihre Briefe und Mails zu antworten.

Wunschzettel an das Christkind in Himmelpforten, 1978 (Foto: Cantauw, Kommission Alltagskulturforschung).

Eine kleine Sammlung von Briefen an das Christkind im niedersächsischen Himmelpforten aus dem Jahr 1978 befindet sich im Alltagskulturarchiv. Sie spiegelt das zunehmende Verschwinden der kindlichen Gegengabe, dem Wohlverhalten, für die Geschenkewünsche. Dies beklagt auch eine Mutter aus dem Münsterland, die sich 1978 hilfesuchend an das Christkind in Himmelpforten wandte: „Vier Söhne habe ich und keiner will so recht mehr an das Christkind glauben und denken nur an die Geschenke, selbst der Kleinste von 8 Jhr. Kein Weihnachtslied kommt von allein von ihren Lippen von wegen ein Gedicht. Vielleicht wenn ein Brief vom Christkind kommt wird die Stimmung nicht so materiell eingestellt sein.“

Quellen und Literatur

Christiane Cantauw/Johannes Loy (2011): Mein Weihnachten II. Weitere 100 erlebte Geschichten. Münster.

Großes, vollständiges Glückwunschbuch für alle Stände und Verhältnisse. Reutlingen [1900]. 

Torkild Hinrichsen (2019): Weihnachtsbriefe und Wunschzettel vom 18. Jahrhundert bis heute. Husum.

Thomas Ludewig (2007): Christkind, Weihnachtsmann & Co. – Kulturgeschichtliches zu den weihnachtlichen Gabenbringern. Neuss.

Christa Pieske (1984): ABC des Luxuspapiers. Herstellung, Verarbeitung und Gebrauch 1860 – 1930. Berlin.

Dietmar Sauermann (1996): Von Advent bis Dreikönige. Weihnachten in Westfalen. Münster/New York.