Wasser, Wind oder Pferdestärken? Die Diskussion um die Heimser Schiffmühle in der Weser

20.07.2021 Dorothee Jahnke

In Minden kann in der Weser der Nachbau einer Schiffmühle bestaunt werden. Sie ist Teil der Westfälischen Mühlenstraße. Foto: Sebastian Schröder.

Sebastian Schröder

 

Wie sieht der Energiemix der Zukunft aus? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch Politik und weite Teile der Gesellschaft. Es wird diskutiert, wie zukünftig Autos angetrieben werden könnten, ob Kurzstreckenflüge verboten werden sollten und wie Kohle vollständig durch erneuerbare Energien abgelöst werden kann. Eine derartige Auseinandersetzung ist aber nicht neu, denn seit jeher haben sich die Menschen mit Formen der Energiegewinnung und den daraus entstehenden Herausforderungen befasst.

In der „Ökonomisch-technologischen Encyclopädie“ von Johann Georg Krünitz ist eine Schiffmühle abgebildet, Foto: Krünitz, Johann Georg, Ökonomisch-technologische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft, und der Kunst-Geschichte, in alphabetischer Ordnung; Zuerst fortgesetzt von Friedrich Jakob Floerken, nunmehr von Heinrich Gustav Flörke, Bd. 95: Mühle, Berlin 1804, Tafel 34.

In diesem Zusammenhang besaß das Mühlenwesen eine besondere Bedeutung, vor allem, weil die Mühlen es ermöglichten, größere Mengen an Mehl in relativ kurzer Zeit herzustellen. Ab dem Mittelalter nutzte man Wind und Wasser sowie die Kraft von Tieren, um Getreide zu vermahlen. Entsprechend wird zwischen Wind-, Wasser- und Ross- oder Göpelanlagen unterschieden. Als eine spezielle Form der Wassermühle ist darüber hinaus die Schiffmühle zu nennen, die in der „Ökonomisch-technologischen Encyclopädie“ von Johann Georg Krünitz folgendermaßen beschrieben wird: „Die Schiffmühlen werden, wie bekannt, auf Prahmen oder Böten gebauet. Auf dem Hauptschiffe lieget die Mühle, und auf dem Nebenschiffe das äußere Wellenlager. Beyde Schiffe werden durch Ankerbalken in einer gewissen Entfernung von einander gehalten und verbunden, damit sie nicht von einander weichen können; auch werden sie mit Seilen und Pfählen oder Bäumen befestigt, damit sie ihre Stelle behalten. Sie werden auf solchen Flüssen angelegt, deren Wasser schnell fließt, wie z. B. auf dem Rheine, der Elbe, Oder und andern großen Flüssen. Sie pflegen ihre Stelle oder Stand gemeiniglich hinter einer Buhne zu haben, wo das Wasser allemahl sehr schnell wegstreicht, und da sie mit dem Flusse steigen und fallen, so kann es ihnen nie an Wasser fehlen. Zur Winterszeit müssen sie in einen bequemen und sicheren Hafen gebracht werden, damit sie der Eisgang nicht beschädige. Sie sind bequem, und man kann sie hinbringen, wo man will, nur müssen sie einen solchen Ort haben, wo der Strohm mächtig genug ist, sie zu treiben. Indessen finden sich mit der Zeit viele Flickereyen an den Schiffen, wenn sie alt werden. Die längste Dauer der Schiffe ist einige 30 Jahre; dann müssen sie wieder neu gebauet werden.“

Einerseits war die Lage innerhalb eines Stroms also ein Segen, andererseits zugleich mit großen Gefahren verbunden: Hochwasser oder Eisgang konnten die Schiffmühle zerstören – so geschehen auch in Heimsen an der Weser, einem unweit der Stadt Schlüsselburg im äußersten Nordosten des heutigen Kreises Minden-Lübbecke gelegenen Ort. Ende des Jahres 1770 zerstörten die Fluten die Mühle vollständig. Auf Geheiß der zuständigen landesherrlichen Behörden hatte Baurat Johann Conrad Schloenbach ein Gutachten anzufertigen, ob der neuerliche Bau einer Schiffmühle vorteilhaft sei. Man gab zu bedenken, dass im gesamten Amt Schlüsselburg ansonsten lediglich Windmühlen stünden – abgesehen von den im adligen Besitz befindlichen Mahlanlagen. Insofern sei es, vor allem bei Windstille, nicht schlecht, auch auf die Kraft des Wassers zurückgreifen zu können, argumentierten die Beamten der Provinzialverwaltung.

Erst im Juli 1771 erreichte Schloenbach das Weserkirchspiel Heimsen und stellte erschüttert fest: „Bei Heimsen suchte ich die zu reparirende Schiff-Mühle vergebens und ein Bauer, den ich darnach frug, lachte mich noch recht wacker darüber aus. Er zeigte mir in der Ferne einige zerbrochene Bretter, die am Ufer zerstreut lagen als Überbleibsel von der Mühle […]. Diese Mühle war also gänzlich vernichtet […].“ Eine bloße Reparatur, wie zunächst erhofft, schied demzufolge aus. Der Schlüsselburger Amtmann schlug vor, dass ein Teil der Baukosten durch einen Zuschuss aus der Feuerversicherung getragen werden könnte, woraufhin Schloenbach spottete: „Daß man das von dem Pluto wieder fordern wollte, was Neptunus zerstöret.“ Ohnehin war der Experte kein Freund von Schiffmühlen. In seiner Stellungnahme an seine Vorgesetzten betonte er: „Die guten Müller, so mit einer Schiff-Mühle umzugehen wißen, sind hier rar […]. Vor eine leidige Schiff-Mühle würde ich, wenn keine holländische Windmühle statt finden kan, lieber 2 gute Roß-Mühlen von einer guten Einrichtung wählen. Vor die Reparatur-Kosten, so eine Schiff-Mühle nach einen Durchschnitt von 10 Jahren erfordert, können Roß-Mühlen mitsamt den Pferden 4mahl unterhalten werden.“

Obwohl zahlreiche Personen bei den landesherrlichen Beamten vorstellig wurden und ihre Schiffmühlen, die sie entlang der Weser betrieben, als Ersatz für die Heimser Mühle zum Verkauf anboten, folgte die Territorialverwaltung letztlich der Empfehlung ihres Baurats. In Heimsen ließ man eine hölzerne Bockwindmühle errichten, die im benachbarten Stolzenau angekauft worden war. Obwohl somit die Gefahr bestand, dass bei Windstille kein Korn gemahlen werden konnte, sah man vom Bau einer zusätzlichen Rossmühle ab.

Der Fall aus Heimsen zeigt: Die Wahl der „besten“ Antriebsenergie erregte schon im 18. Jahrhundert die Gemüter. Nur dass statt Kohle und Gas damals Wind, Wasser und Pferdestärken die Alternativen hießen.