Sebastian Schröder
Tonträger wie zum Beispiel Wachswalzen, Schallplatten oder digitale Speichermedien können Klänge, gesprochene Worte oder Musik für die Zukunft bewahren. Die Töne überdauern durch ihre analoge oder digitale Speicherung ihre flüchtige Gegenwart. Tonträger sind historische und alltagskulturelle Zeitdokumente, denen ein besonderer Quellenwert zukommt. Sie treten neben die schriftliche und materielle Überlieferung. In Bezug auf die Geschichte stellt sich folgerichtig die Frage: Wie klingt eigentlich die Vergangenheit? Bei der Beantwortung stößt man unweigerlich an gewisse Grenzen. Berühmtheit erlangte beispielsweise die Rede Philipp Scheidemanns, bei der er am 9. November 1918 von einem Balkon des Reichstagsgebäudes rief: „Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue, es lebe die deutsche Republik!“ Seine Stimme, das Knarzen des Aufnahmegeräts – vielen wird dieses historische Tondokument geläufig sein. Weniger bekannt ist allerdings, dass dieses geschichtsträchtige Statement erst nachträglich eingesprochen worden ist. Als Scheidemann in Berlin im November des Jahres 1918 das Ende des Deutschen Kaiserreichs besiegelte, hielt kein Mikrofon diesen historischen Moment fest. Insofern muss die spätere Intonierung als Inszenierung betrachtet werden, deren Zustandekommen wiederum Quellenwert hat. Es zeigt sich, dass auch bei Tondokumenten die Quellenkritik nicht zu kurz kommen darf.
Wer sich dagegen für die Vormoderne interessiert, als man selbst von einfachsten Aufnahme- und Abspielgeräten noch nicht zu träumen wagte, der steht vor einem ganz anderen Problem: Wie lässt sich die Klangwelt dieser Epoche aufspüren? Ist es überhaupt möglich, die Frühe Neuzeit mit dem Hörsinn zu erfahren? Oder kurzum: Wie klingt eigentlich die Vormoderne?
Dass auch in den Jahrhunderten, in denen noch keine moderne Tontechnik existierte, Klänge, Musik und das gesprochene Wort von großer Bedeutung waren, ist unbestritten. Vermutlich gewinnt diese Erkenntnis eine zusätzliche Relevanz, wenn man bedenkt, dass viele Menschen weder lesen noch schreiben konnten. Sie waren in hohem Maße auf andere Medien der Kommunikation und der Vermittlung angewiesen. Man denke etwa an Märchenerzähler oder umherziehende Ausrufer, die Erlasse, Verordnungen und Nachrichten öffentlich verkündeten – durch ihre Stimme. Auch Sänger, Musikanten und Musikinstrumente waren geläufig und gehörten zum gewohnten auditiven Erlebnis in Stadt und Land. In den Kirchen galten Gesang und mitunter der Einsatz von Orgeln als elementarer Bestandteil sakraler Handlungen. Geistliche Liederbücher, historische Orgelprospekte, Trompeten oder bildliche Darstellungen lassen erahnen, welche Klänge in der Vormoderne erlebbar waren. Und doch: Zwar mag sich das religiöse Liedgut in moderne Notensysteme übertragen lassen und den alten Instrumenten ein Ton zu entlocken sein, aber wissen wir dadurch tatsächlich, wie die Vormoderne geklungen hat? Darüber ließe sich trefflich diskutieren.