Wilhelm Tell im Fotoatelier

14.01.2020

Das Fotoatelier von Hermann Tell in Hagen. Foto: Hermann Tell, 1943; Archiv für Alltagskultur in Westfalen.

Wilhelm Tell im Fotoatelier

Kathrin Schulte

Das Aufkommen und der Erfolg der Atelierfotografie sind ja bereits in einem früheren Blog-Beitrag thematisiert worden. Spannend ist es aber auch, sich dem Thema anhand eines Bestandes aus unserem Archiv anzunähern. Bei dem Bestand handelt es sich um Atelierfotografien der Familie Tell/Lang und Spilhaczek.

Der Bestand, der uns 2002 von Peter Tell übergeben wurde, ist sehr umfangreich. Er umfasst elf Fotoalben sowie einzelne Fotografien. Hiervon sind uns 269 Fotografien der Familie Tell digital zugänglich, darunter ca. 80 Portrait- und Atelierfotografien der Familie. Außerdem Kriegskorrespondenz, Zeugnisse, Urkunden, Briefwechsel mit staatlichen Stellen (so zum Beispiel den Wechsel der Staatsangehörigkeit Lottes), Stammbücher, Sterbeanzeigen von Verwandten, Notizbücher, Kalender und sogar Kinderzeichnungen. Zeitlich reicht er vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die 1970er Jahre. Übergeben wurde er uns von Peter Tell, dem 1938 geborenen Sohn Wilhelms und Lottes. Inhaltlich bildet der Bestand das Leben der Familien Tell/Lang und Spilhaczek ab. Im Mittelpunkt stehen der Kunstgewerbelehrer Wilhelm Tell (1907 – 1990) und seine Frau Lotte, geb. Lang (1907 – 1994), die er während eines Praktikums an einer Malerschule kennenlernte. Lottes Familie stammt aus dem heutigen Tschechien, ihr Vater war Opernsänger, auch von dieser Seite sind uns zahlreiche Fotografien und Dokumente überliefert. Wilhelm Tells Vater, Hermann Tell (1877 – 1967), war Fotograf und besaß ein eigenes Atelier.  

Der Fotobestand enthält Fotografien aus dem Familienleben und von Freizeitaktivitäten der Familie. Der erwachsene Wilhelm Tell in der Natur, Schnappschüsse der Familie, Stadtansichten, die Landung eines Zeppelins, Fotos eines Bergrennens, einer Kirmes, von Schaustellern und vieles mehr. Wendet man sich gezielt den Atelierfotografien aus dem Atelier Hermann Tell zu, so finden sich einige wenige Fotografien von Kund*innen in dem Bestand. Die meisten der überlieferten Atelierfotografien zeigen jedoch Wilhelm Tell, teilweise abgebildet mit seiner Schwester Erna. Dass Hermann Tells Atelier eines derjenigen mit einem Umkleideraum mit Kostümen und zahlreichen Requisiten war, ist bei näherer Betrachtung der Fotos wahrscheinlich. Auch beeindrucken die zahlreichen Atelierhintergründe, die in ihrer Ausgestaltung über das Übliche hinausgehen.

Die Bilder zeigen das Kind bzw. die Kinder in unterschiedlichsten Kostümen vor variierender, oftmals den Kostümen angepasster Kulisse. Wilhelm und Erna vor winterlicher Landschaft auf einem Schlitten mit dem Gruß „Prosit Neujahr“, Wilhelm im Matrosenanzug mit akkurat gescheiteltem Haar oder in verschiedenen militärischen Uniformen, mit Schultasche oder mit Zylinder, Gehstock, Monokel und Zigarette. Auch einige noch skurriler anmutende Bilder sind Teil des Konvoluts, so zum Beispiel Wilhelm im Kleinkindalter, eine Narrenkappe tragend und auf einer kleinen Kutsche sitzend, die von Spielzeugpferden gezogen wird. Oder zwei mit dem Gruß „Prosit Neujahr“ versehene Fotografien, auf denen der kleine Junge im Matrosenanzug zunächst eine Weinflasche öffnet und dann mit einem leeren Weinglas nebst leerer sowie voller Flasche winkt.

Auch abgesehen von den recht unterhaltsamen Motiven sind die Atelierfotografien Hermann Tells bemerkenswert: Eine der Fotografien zeigt den Fotografen beim Fotografieren sowie seinen Sohn Wilhelm als Motiv vor einem Spiegel - ein Blick hinter die Kulissen sozusagen. Auch zeigt ein Bild Wilhelm beim Essen – in seiner eigenen Gesellschaft; das Foto wurde so manipuliert, dass der Junge zwei Mal abgebildet ist.

Die teils akribisch inszenierten oder gar bearbeiteten Atelierfotografien sowie die fantasievollen Atelierhintergründe zeugen von einem kreativ-künstlerischen Anspruch des Fotografen. Im Verbund mit einer gehörigen Prise Humor hat dieser Anspruch zu Ergebnissen geführt hat, die zumindest teilweise aus dem Rahmen fallen. Sie werfen ein spannendes Schlaglicht auf die damalige Fotografie, in der einige Akteure über ein reines Abbilden hinaus kreativ-künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten ausprobierten.