„Wiltu wissen welche eine zaubersche sey“

31.10.2023 Kathrin Schulte

Das „Sigel der Diebe“, das genutzt wird „So dir von deinem gesinde etwas abgestollen“. Buch mit Beschwörungsformeln, ca. 1700, handschriftliche Kopie 1905. Archiv für Alltagskultur, Inv. Nr. K02484.0000, Foto: Schulte/LWL.

Zauberbücher im Archiv für Alltagskultur

Kathrin Schulte

Die Tage werden kürzer, das Wetter ungemütlicher, auf den Startseiten der Streamingdienste und im regulären Fernsehprogramm mehren sich die Horrorfilme – all dies Zeichen dafür, dass wieder einmal Halloween bevorsteht. Wir haben das zum Anlass genommen, um im Archiv für Alltagskultur nach Magischem zu recherchieren. Todesvorzeichen und Nachzehrer, Gruseliges aus Märchen und Sagen sowie Geistererscheinungen sind in diesem Blog in den vergangenen Jahren bereits thematisiert worden.  In diesem Jahr soll es um „Zauberbücher“, also Bücher mit Beschwörungsformeln, gehen. Im Archiv für Alltagskultur gibt es insgesamt drei solcher Bücher. Sie sind in unterschiedlicher Form erhalten. Bei zwei der drei Bücher lässt sich zwar nachvollziehen, wie sie in das Archiv gelangt sind, wer allerdings der/die Urheber:in der Texte war und wann genau sie entstanden sind, ist unklar.

Das „Kontobuch mit Beschwörungsformeln“ mit Hausmitteln, hier beispielsweise gegen „Ohrenweh“, ca. 1870. Archiv für Alltagskultur, Inv. Nr. K02476.0000, Foto: Schulte/LWL.

Das erste Büchlein, ein Kontobuch im A6-Format, liegt im Original vor. Es ist als „Kontobuch mit Beschwörungsformeln“ im Archiv verzeichnet. Es wurde in Dormecke bei Plettenberg auf einem Dachboden gefunden und soll laut Notiz auf der Innenseite des Einbands um ca. 1870 entstanden sein. Auf acht Seiten finden sich praktische Anleitungen und Gebete gegen Krankheiten und gesundheitliche Beschwerden – gegen „Ohrenweh“ helfen zum Beispiel „Haare von einem Hunde hinten unter dem Schwanz“, die „in das Ohr“ gelegt werden sollen. Gesundwerdung wurde hier als das Ergebnis von magischen Wissensbeständen gedeutet, die in überwiegend leicht umzusetzenden Praktiken mündeten.

Ein weiteres, im Archiv als „Zauberbuch“ betiteltes Buch ist nur als Kopie auf Mikrofilm erhalten, die in den 1960er Jahren gefertigt wurde. Das Original ging an den/die Leihgeber:in zurück. Das Aussehen des Buches aus dem Paderborner Land ist daher unbekannt, der Entstehungszeitraum kann anhand der Orthographie sowie der Schrift grob auf das 18. oder 19. Jahrhundert geschätzt werden. In dem Buch, dessen Seiten eins bis sechs fehlen, finden sich Anweisungen zur Beschwörung des Geistes Aziel. Diese Beschwörung ist in neun Conjurationes gegliedert, die den Geist dazu bringen sollen, Gold- und Silbermünzen in einen zuvor aufgemalten Zauberkreis zu legen.

Bannkreis zur Beschwörung des Geistes Aziel. Kopie auf Mikrofilm, Original ca. 18./19. Jh. Archiv für Alltagskultur, Inv. Nr. K01947.0000.

So heißt es beispielsweise in „Conjuratio IX“: „Ich N.N. beschwöre und fordre dich Lucifer und Belzebub und alle Geister und Obristen der höllischen Geister, wie ihr heist und Namen haben möget, ja ich beschwöre euch Teuffel alle in der Höllen in Lüften und Klüften, in tiefen Wasser in und auf der Erden unter Himmel, im Feür und an allen Orten, wo ihr seyd, bei allen diesen getanen Conjurationen und aus gesprochenen Macht=Worten daß ihr vor dieser Verschwörung niergends sicher seyn könnet, bis ihr mir diesen Geist Aziel gezwungen habt, daß er vor diesen meinen Kreis komme und vollbringe meinen Willen, und an(…) und unverfäleschter gangbarer Gold- oder SilverMünze vor diesen meinen Kreis darnieder lege …. Und das dargelegte ohne weiteren Ausspruch daselbst lasse, dies alles gebiete ich euch und dir Geist Aziel im Namen des Herrn Jesu.“ (dreifache Bekreuzigung)

Auf der sechsten Seite des Buches ist ein Bannkreis abgebildet, der sich in einem Rechteck mit der Beschriftung „Morgen – Mittag – Abend – Mitternacht“ befindet. Der Bannkreis selbst besteht aus drei weiteren Kreisen, auf dem äußeren sind die vier Evangelisten Lucas, Marcus, Matthäus und Johannes eingetragen, im zweiten Kreis stehen die Begriffe Tetragrammaton, Adonay, Agla sowie drei Kreuze. Der dritte Kreis ist viergeteilt, in ihm sollen zwei Kreuze sowie ein Gefäß mit Weihwasser und ein Kohlenfeuer abgestellt werden.

Im Inhalt dieses Zauberbuches vermischen sich christliche und jüdische Traditionen und Vorstellungen. Beispielsweise stellt das Wort Agla das Sigillum des Agrippa von Nettelsheim dar, das Wort Tetragrammaton benennt die vier hebräischen Buchstaben, die für den Namen Jahwe stehen, und bei dem Wort Adonay handelt es sich um eine Umschreibung des Wortes Tetragrammaton. Die den komplizierten Anweisungen zugrundeliegenden kabbalistischen Chiffriersysteme erwecken den Eindruck komplexer Wissensbestände, die den vorgeschlagenen Praktiken den Anstrich von jahrhundertealter wissenschaftlicher Erprobung verleihen sollten.

Das Beschwörungsbuch beinhaltet zahlreiche Anleitungen, Sigillen und andere „magische“ Symbole und Formeln. Buch mit Beschwörungen, Original ca. 1700, handschriftliche Kopie 1905. Archiv für Alltagskultur, Inv. Nr. K02484.0000, Foto: Schulte/LWL.

Das dritte Zauberbuch ist ein schwarzes Büchlein mit den Maßen 16,5 mal 20,5 Zentimeter, das 77 Seiten umfasst. Bei dem als „Rezeptbuch mit Inhalten zu Volksmedizin und Aberglaube / Buch mit Beschwörungsformeln“ bezeichneten Buch handelt es sich um eine handschriftliche Kopie, die im Oktober 1905 durch den Volkskundler Paul Sartori (1857 – 1936) angefertigt wurde. Laut Anmerkung auf der ersten Seite des Büchleins stammt das Original von einer Frau aus dem Ort Vorth bei Kierspe im Märkischen Kreis. „Zeit der Niederschrift: um 1700 herum, vielleicht auch früher“, schreibt Sartori dort. Zum Original führt er zudem aus, es sei „mit geringen Ausnahmen von einer Hand geschrieben“ worden; der erste Teil des Originals, bestehend aus einer seitenlangen Anleitung zur Suche nach einem Schatz, die aber wohl zu einem anderen Zeitpunkt verfasst worden als die nachfolgende „Sammlung von allerlei Mitteln“.

Im Gegensatz zu dem Buch aus dem Paderborner Land mit nur einer Beschwörung befinden sich hier Anleitungen für zahlreiche unterschiedliche Rituale. Viele der verzeichneten Beschwörungen dienen zum Schutz vor Zaubern („Tranck gegen Hexerey oder vantasterey oder alle wirckung des satans“) oder der Entlarvung von Zauberkundigen („Wiltu wissen welche eine zaubersche sey“) oder Dieben.  Zu den meisten Anleitungen für magische Praktiken in dem Buch gehören auch spezielle Symbole oder Sigillen sowie Bannkreise, mit denen auf bestimmte Weise verfahren werden musste.

Beschwörung, um „ein zaubersche und andern weibern [zu] erkennen“; Buch mit Beschwörungen, ca. 1700, handschriftliche Kopie 1905. Archiv für Alltagskultur, Inv. Nr. K02484.0000, Foto: Schulte/LWL.

Wiltu ein zaubersche unter andern weibern erkennen, So schreib diese caracteren auff ein breiblein und leg es in den linckern schue und wende dich gegen die sone, dan kompt die zaubersche und gib dir die lincke hand und hat ein weiss sternken oder streich vor der stirnen biss auff die nase ~ diss sein die worte
[eine Folge verschiedener Zeichen]
Diese legestu unter den lincken fuss in d schue.“

Ob Hundehaare wirklich gegen Ohrenschmerzen helfen, der Geist Aziel Münzen in einem Bannkreis hinterlassen kann oder durch eine Beschwörung eine Frau als „zaubersche“ entlarvt wird, ist fraglich. Dass Menschen sich hingegen Hilfe von magischen Praktiken versprachen, ist historisch belegbar. So kamen sind beispielsweise Fluchtäfelchen mit Schadenszaubern bereits für die Antike belegt.  

Die Zauberbücher und Fragelisten im Archiv für Alltagskultur zeigen, dass es sich bei dem Glauben an Magie und Übernatürliches keineswegs um ein Phänomen vergangener Jahrhunderte handelt: Auch in den Sozialen Medien wimmelt es von praktischen magischen Tipps. #witchtok hat auf Tiktok über 36 Milliarden Aufrufe und auch auf Instagram finden sich entsprechende Accounts. Vorwiegend junge Frauen, die sich als Hellseher:innen, Witches, Astrolog:innen, Medien oder Ähnliches bezeichnen, bieten hier ihre Dienste und Hilfestellungen an. Auf ihren Profilen befinden sich beispielsweise Anleitungen für Rituale, Tipps für ein magisches oder spirituelles Leben. Ihnen folgen teilweise zehntausende Menschen. Die Inhalte ähneln sehr denen, die sich bereits in den Zauberbüchern finden, so scheint auch der linke Schuh eine gewisse Bedeutung zu haben:

Diesen Zauber kannst du jederzeit durchgeführt werden [sic] und hilft gegen energetisch [sic] Angriffe. Das Lorbeerblatt wird in den linken Schuh gesteckt, da die linke Seite die Herzseite ist mein Hexen Tipp [sic] für heute“ – So heißt es im Post eines selbst ernannten Hexers und Mediums auf Instagram. In dem entsprechenden Video nimmt er ein mit einem schwarzen Zeichen bemaltes Lorbeerblatt, legt dies in seinen linken Schuh und zeigt dann, wie er auf einem Teppich mit verschiedenen Symbolen seine Hacken dreimal aneinanderschlägt.

Immer dann, wenn Angst um sich greift oder komplexe Zusammenhänge nicht mehr verstanden werden, suchen Menschen in magischen Vorstellungswelten und Praktiken Halt und Hilfe. Das ist aber nur eine Seite der Medaille, die das Magische leichtfertig als irrig, dumm oder unaufgeklärt abtut. Wie die Kulturanthropologin Elisabeth Timm festgestellt hat, ist Magie „akademisch nicht willkommen“. Sie auszublenden und zu belächeln, wird aber weder der Vergangenheit noch unserer Gegenwart gerecht.

 

Literatur:

Dieser Beitrag basiert in Teilen auf einem Vortrag, den Christiane Cantauw am 12. Dezember 2019 im Freilichtmuseum Mühlenhof gehalten hat.

Eva Kreissl: ‚Aberglaube‘ als Kulturtechnik. Ein Forschungsprojekt am Grazer Volkskundemuseum, in: Carstensen, Jan. “Verflixt!” Münster, 2013.

Ruff, Margarethe. Zauberpraktiken als Lebenshilfe. Frankfurt/Main 2003.

Timm, Elisabeth: Übernatürliches, in: Graugold. Magazin für Alltagskultur, hrsg. von Christiane Cantauw und Elisabeth Timm, Ausgabe 2, 2022, S. 154 – 156.

Beitrag bei DLF Nova zum Thema #witchtok: https://share.deutschlandradio.de/dlf-audiothek-audio-teilen.html?audio_id=dira_DRW_abed45f2