Wo geht’s denn hier zum Klo?

10.03.2020

Wirtshaustoilette, Gaststätte Baakenhof, Münster-Gievenbeck, um 1960, Foto: A. Risse.

Wo geht’s denn hier zum Klo?

Von Aborten, Toiletten, WCs, Loci und Klosetts

Christiane Cantauw

Eine Fotoserie des Nienberger Fotografen Adolf Risse im Alltagskultur-Archiv liefert interessante und gut informierte Einblicke in ländliche „Örtchen“: Angefangen mit dem Klosett auf Haus Rüschhaus, das – so Risse – in der abgelichteten Form noch aus der Barockzeit stamme, über die Aborte verschiedener Gievenbecker, Nienberger und Roxeler Bauernhöfe bis hin zu Gasthoftoiletten zeigen die Fotografien Orte, die auf historischen Fotografien eher selten zu sehen sind.

Dass die Toilette, ihre Positionierung und ihre Ausstattung ein gutes Beispiel dafür liefern, wie sich gesellschaftliche Normen und bauliche Neuerungen gegenseitig beeinflussen, lag für Risse auf der Hand. In seinem ländlichen Umfeld boten sich ihm zahlreiche Anschauungsobjekte, die dokumentieren, wie wenig Aufmerksamkeit das Thema „Toilette“ in den 1960er Jahren auf dem Land teilweise erhielt. Das hatte nicht unbedingt etwas zu tun mit den finanziellen Verhältnissen der Hofbesitzer. So schreibt Risse über ein von ihm fotografiertes Plumpsklo: „Die Nähe des Misthaufens wird erkennbar. Durch Mauer getrennt, also ein Reinlichkeitsbedürfnis des Besitzers, der dennoch nicht eine moderne Klosettanlage sich anlegen liess, obwohl er das Geld dazu hat.“

Hintergrund dieser Aussage ist die Gepflogenheit, den Misthaufen als Abort zu nutzen. So berichtete beispielsweise Fritz Wiechering über seine Kindheit in Stemwede zu Ende des 19. Jahrhunderts: „In meinen frühen Kindertagen gab es überhaupt noch keinen Abort auf den Höfen. Wir gingen nach draußen auf den ‚Mistfall‘, der auch noch zur Straße lag, sodass man sich den Augen der Vorbeikommenden ausgesetzt sah.“

Wasserklosetts, übrigens eine englische Erfindung aus dem Jahr 1596, waren im 19. Jahrhundert zwar bekannt, sie setzten aber Wasserleitungen, Sickergruben oder eine Kanalisation voraus, die lange Zeit nicht, oder nur in den Ballungsgebieten, vorhanden war. Auf dem Land war diese Neuerung bis ins 20. Jahrhundert hinein auch gar nicht erwünscht, nutzte man die Fäkalien doch als wohlfeilen Dünger.

Ein Verständnis dafür, dass solche Erfindungen die Übertragung von Krankheiten und Parasiten verhindern halfen, musste sich erst einmal durchsetzen. Vermittlungsagenturen waren hier die Kreisärzte, die seit Ende des 19. Jahrhunderts bemüht waren, die obrigkeitlichen Hygieneverordnungen zu überwachen und durchzusetzen und die z.B. das Bewusstsein dafür schärften, dass menschliche und tierische Exkremente durch eine räumlich falsche Positionierung das Brunnenwasser verunreinigen und zu Krankheiten bei Mensch und Tier führen könnten.

Von einem hygienisch akzeptablen Klo bis zu einem Badezimmer mit Wasserklosett war es auf vielen Höfen freilich ein weiter Weg. Als Wegbereiterinnen erwiesen sich hier die auf den Hof einheiratenden jungen Frauen. Risse schildert das folgendermaßen:

„Toilettenfenster des Plumpsklosetts des Hofes E. (…) Zusätzlich Badezimmer mit Toilette. Diese nur morgens und nach Feierabend durch Familie benutzt, tagsüber benutzt man das Plumpsklosett, das hauptsächlich für das Personal belassen wurde. Eine solche Trennung (altes Plumpsklosett für Personal und neues Badezimmerklosett für Familie, wobei zuweilen Öhms und Tanten in der Toilettenfrage dem Personal gleichgestellt werden) hat man jetzt auf mehreren Höfen; dies ergab sich teilweise aus räumlichen Gründen, da mit der Schaffung des Badezimmers ein Gelass neben dem Schlafzimmer der jungen Leute (Bauer und Frau) gewählt wurde, in das man möglichst wenige Besucher gehen lassen möchte. Bei Besuch kann man erleben, dass ein Teil zum bevorzugten Badezimmerklosett, ein anderer Teil zum alten Plumpsklosett auf der Deele geleitet wird, je nach Situation und Ansehen der Person.“

Die Toilette im Badezimmer veranschaulicht nahezu mustergültig den sozialen Wandel auf dem Land: die Kleinfamilie findet im Badezimmer eine Örtlichkeit, über die Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, Nähe und Distanz ausgedrückt werden können. Den Misthaufen, auf dem sich Bauer, Magd und Nachbar gleichermaßen „entleerten“, gab es in den 1960er Jahren jedenfalls nicht mehr.