Neuerscheinung: Christof Spannhoff und Jens Taßemeyer, Zeitreise Tecklenburger Land. Historische Ansichten von Lengerich, Lienen, Ladbergen und Kattenvenne

18.01.2022 Niklas Regenbrecht

Einband "Zeitrese Tecklenburger Land".

Sebastian Schröder

Welche Ansichten des Tecklenburger Landes waren zwischen etwa 1890 und 1960 im Umlauf? Welche Informationen über das alltägliche Leben, die regionale Geschichte oder Technik und Wirtschaft ließen sich über das Medium Ansichtskarte vermitteln? Über zweihundert Antworten auf diese Fragen liefert der jüngst erschienene Bildband „Zeitreise Tecklenburger Land“ von Christof Spannhoff und Jens Taßemeyer. Darin versammeln die beiden Autoren „Historische Ansichten von Lengerich, Lienen, Ladbergen und Kattenvenne“, wie der Untertitel des Buches lautet. Insgesamt vereint die Veröffentlichung auf 225 Seiten über 215 schwarzweiße und farbige Faksimiles historischer Ansichtskarten, die zwischen dem Ausgang des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts gedruckt wurden. Damit erweist sich die Veröffentlichung als ideale Fundgrube, um alltagskulturellen oder geschichtlichen Fragestellen nachzugehen.

Die sorgsam ausgewählten Abbildungen stammen aus der beeindruckenden Sammlung von Jens Taßemeyer, der in Lengerich aufwuchs und nun als Oberstudienrat im Rheinland tätig ist. Jedes Bild wird durch knappe, gut verständliche Erläuterungen in den historischen Kontext eingeordnet und auch für Ortsunkundige treffend erklärt. Dafür zeichnete der Historiker Christof Spannhoff verantwortlich.

Als Resultat dieser produktiven Zusammenarbeit liegt ein ansprechend gestalteter Band vor, der zum Schmökern einlädt. Zugleich erhalten die Leserinnen und Leser zahlreiche Informationen zur Alltagskultur im Tecklenburger Land. Beispielsweise war es 1910 noch möglich, den Lengericher Römer, ein Kirchhoftorhaus, das im Kern aus dem Mittelalter stammt, mit dem Fahrzeug zu durchfahren. Allerdings mussten sich die Verkehrsteilnehmenden dabei an strenge Regeln halten: „Schritt fahren!“ ermahnte ein Schild an dem steinernen Torhaus. Ab 1974 konnte der Römer nur noch im wahrsten Wortsinn begangen werden: Die Lengericher „verbannten das letzte Auto aus der Altstadt“. Im Zuge der gleichnamigen Aktion wurde ein VW-Käfer mit dem Vorschlaghammer malträtiert. Mit dem Ruf „Hau drauf“ endete somit ein Kapitel Verkehrsgeschichte in Lengerich.

Eine andere Karte aus dem frühen 20. Jahrhundert zeigt die Lengericher Bergstraße, deren Name bereits seit 1659 bezeugt ist. Dagegen wurde der Ratshausplatz immer wieder umbenannt: Versammelten sich die Menschen vormals „Up’n Tigge“, um zu feiern, Gericht oder Markt zu halten, so hieß der Platz zwischen 1939 und 1945 Adolf-Hitler-Platz und deutet somit auf ein dunkles Kapitel der Stadtgeschichte hin.

Historische Ansichtskarten zeigen nicht nur das, was als pittoresk empfunden wurde, sondern auch wirtschaftliche und technische Errungenschaften wie eine 1917 gelaufene Ansichtskarte aus Kattenvenne belegt. Darauf ist der Hof Altevogt zu sehen, zu dem auch eine Mühle gehörte. Im Jahr 1892 installierte der Müller eine Dampfmaschine zum Betrieb der Mahlanlage, 1905 erfolgte der vollständige Neubau eines großen Mühlengebäudes mit voluminösen Silos.

Auch Tiere sind auf alten Ansichtskarten zu sehen, wie ein nach 1905 aufgelegtes Exemplar beweist. Die Bildseite zeigt die „Ziegen-Ausstellung in Lengerich“. Dazu erläutern die Verfasser, dass es seinerzeit selbst im städtischen Kontext gang und gäbe war, Ziegen, Schweine, eine Kuh und Federvieh für den eigenen Bedarf zu halten und dass diese Tiere auch das Ergebnis von gezielten Züchtungen waren.

Post- und Ansichtskarten sind nicht nur wertvolle Quellen zur Geschichte und Alltagskultur einer Region, sondern sie können zugleich auch historische Ereignisse ins Gedächtnis rufen. So wird auf einer 1912 verschickten Karte ein drei Jahre zuvor eingeweihtes Denkmal gezeigt, das an das „Fehmgericht unter dem ‚Isernen Biabaum‘“ in Hohne bei Lengerich erinnern sollte. Die sagen- und mythenumwobene westfälische Vemegerichtsbarkeit kann als ein wichtiger Erinnerungsort westfälischer Geschichte bezeichnet werden, der unter anderem auch durch solche Ansichtskarten Verbreitung erfuhr.  Der „Iserne Biabaum“ war eine mächtige, 1848 gefällte Linde, die den Zeitgenossen als Gerichtslinde galt und die Phantasie anregte – ob an diesem Platz tatsächlich jemals ein Vemegericht tagte, ist mehr als fraglich. Dennoch war die Einweihung des Denkmals ein wichtiges Ereignis, das sogar durch eine Theatergruppe begleitet wurde, die sich für die Karte ablichten ließ.

Etliche weitere Beispiele könnten angeführt werden, um den Wert dieser Publikation herauszustellen: Dargestellt und beschrieben werden etwa Eisenbahnen, Industriebetriebe, Schwimmbäder, Denkmäler, Vereine, kirchliche Institutionen und historische Bauwerke. Aber es ist schlicht und ergreifend viel spannender, sich selbst auf die „Zeitreise Tecklenburger Land“ zu begeben. Das Fazit lautet auf jeden Fall: Absolut sehens- und lesenswert!

 

Bibliographische Angaben:

Christof Spannhoff/Jens Taßemeyer, Zeitreise Tecklenburger Land. Historische Ansichten von Lengerich, Lienen, Ladbergen und Kattenvenne, Lienen 2021. ISBN: 978-3-00-070733-9.