Die Preußen wollen umsatteln: Zugochsen statt Pferde lautete die Devise

07.03.2023 Niklas Regenbrecht

Im Siegerland zogen zwei Rinder einen Kartoffelroder (um 1910 bis 1930) (Foto: Rudolf Lindemann, Einbeck, Archiv für Alltagskultur, 0000.00273).

Sebastian Schröder

Das Ross im Wappen zeigt es an: Pferde sind aus Westfalen nur schwerlich wegzudenken. Der Theologe und einflussreiche Aufklärer Johann Moritz Schwager (1738–1804), zwischen 1765 und 1804 Pfarrer im ravensbergischen Jöllenbeck unweit von Bielefeld, erläuterte dazu: „Der Ravensberger Bauer liebt schöne Pferde, wetteifert mit seinem Nachbarn, sucht Pferde von einer Farbe und Taille zu haben, und ein Liebhaber eines schönen Postzuges kann ihn bey uns in einem Stalle zusammen finden. Aus Ehrgeitz hält mancher Bauer auch mehr Pferde, als er bedarf, und manchen Baurenhof brachten die Pferde herunter.“ Das Halten edler Pferde kritisierte der Geistliche als unnötigen Luxus. Zugochsen seien weitaus wirtschaftlicher, argumentierte Schwager. Mit dieser Meinung stand er nicht allein. Auch die Kriegs- und Domänenräte der Mindener Kammer als preußischer Landesbehörde für die Territorien Minden und Ravensberg betonten, dass die Unterhaltung von Pferden zu teuer sei. Ackerbau und Viehzucht könnten „mit wenigern Kosten und dennoch mit mehreren Vortheil“ betrieben werden, wenn man anstelle der Equiden Ochsen anschaffe. Nun war jedoch auch den Beamten der Kriegs- und Domänenkammer in Minden klar, dass es einiger Überzeugungsarbeit bedürfe, um die Landwirte zum Handeln zu bewegen. Deshalb riefen die Räte die Amtleute in allen Verwaltungsbezirken der Territorien Minden und Ravensberg auf, mit den Bauern in Kontakt zu treten. Die Amtmänner sollten die Landleute zum Umdenken bewegen. 1769 erstatteten sie der Kammer Bericht. Die erhaltenen Stellungnahmen zeugen davon, vor welchen alltäglichen Herausforderungen die ländliche Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stand. Zugleich lässt sich sehr gut ergründen, dass es nicht so einfach war, aufgeklärtes Gedankengut in praktisches Handeln zu übersetzen.

Im mindischen Schlüsselburg spannten bereits einige Bauern Zugochsen ohne vorherige obrigkeitliche Direktive an, insbesondere auf leichteren Böden. Die Landwirte begründeten ihr Vorgehen mit dem häufig fehlenden Pferdefutter. Dabei bestehe allerdings ein gravierender Nachteil. Während sich die eigenen Äcker vielfach in der Nähe der Hofstätte befänden, müsse die ländliche Bevölkerung für ihre Grundherren oder die landesherrliche Verwaltung Spanndienste leisten. Mitunter seien entfernte Ländereien zu bestellen. Rindvieh sei aber wenig ausdauernd und „ehe es zur Arbeit an Ort und Stelle komt, durch den gethanen Weg schon entkräfftet worden.“

1952 war in Nottuln im Münsterland ein Kuhgespann bei der Feldarbeit zu sehen (Foto: Adolf Risse, Münster-Nienberge, Archiv für Alltagskultur, 0000.01881).

Der Amtmann des ravensbergischen Amtes Brackwede, Johann Ernst Tiemann (1736–1799), rief aus jeder Bauerschaft seines Verwaltungsbezirks die „beiden grössesten und beiden kleinesten Colonos“ zusammen und warb für die Einführung von Zugochsen. Tiemann selbst experimentierte auf seinem Gut Deppendorf südlich von Bielefeld mit neuartigen Anbaumethoden. Etwa pflanzte er Sonnenblumen an, die er als Futtermittel nutzen wollte. Zudem entwickelte er ein spezielles Fass zum Ausbringen von Jauche. Kurzum: Amtmann Tiemann darf als ein wichtiger Vertreter der ravensbergischen Aufklärungsepoche bezeichnet werden. Gleichwohl wusste Tiemann als Mann der Praxis, dass manche Forderungen nur schwer zu verwirklichen waren. So gestand er ein, „daß eine Beackerung mit Ochsen und Kühen nicht zur Anwendung zu bringen sei. Der wichtigste Grund bestehet in der Ungleichheit der Felder und daß solche grössesten Theils Bergauf und Bergab gehen, mithin nothwendig Hintergeschirr erfordert wird, um das herunterziehende Vieh zurückzuhalten, dergleichen Geschirr aber einem Ochsen nicht angethan werden kan.“ Hinzu komme ein weiterer Punkt: „Das langsahme Ackern mit Ochsen ist ebenfals eine notorische Sache, und würde darauß denen hiesigen Unterthanen eine unbeschreiblich grosse Hinderniß zu frühzeitiger Bestellung der Saat in den Weeg gelegt werden.“ Unmissverständlich verdeutlichte er den Kriegs- und Domänenräten, dass „keine Hoffnung vorhanden, daß in diesem Amte Zug-Ochsen angeschaffet werden, weil der schwehre Acker nothwendig grosse mächtige Pferde erfordert, auch wegen der bergigten Laage der Felder keine Ochsen fertig werden und mit dem Pfluge fortkommen können. Wem die Situation dieses Amts bekandt ist, der wird die Unthunlichkeit gar bald begreiffen und einsehen.“

Die Bevölkerung des Amtsbezirks Werther wiederholte die bereits geäußerten Argumente gegen den Einsatz von Zugochsen. Die dort lebenden Landwirte führten des Weiteren an: „Ausserdem würde eine lange Zeith damit hingehen, ehe der Haußwirth, dessen Knecht und übriges Acker-Gesinde die Art der Ochsen kennen und sich mit ihnen behelffen lernen würde.“ Das Ackern mit Pferden sei man von Kindesbeinen an gewöhnt; das Führen von Rindern müsse dagegen zunächst erlernt werden. Von der Variante, Ochsen und Pferde gemeinsam anzuspannen, hielten die Wertheraner übrigens überhaupt nichts. Denn diese Tiere hätten „einen ungleichen Gang“ und würden sich dadurch gegenseitig „ermüden“.

Und so scheiterten letztlich die landesherrlichen Bemühungen, Zugochsen zu etablieren. Dabei wussten die Kriegs- und Domänenräte einige Verbündete an ihrer Seite. Zum Beispiel hatte der Landrat von Korff auf seinem Adelssitz Böckel Ochsen aus dem Hessischen angeschafft. Sogar einen im Umgang mit den Rindviechern geschulten Knecht aus Hessen ließ er engagieren, der zudem einen passenden Pflug aus seiner Heimat mitbrachte. Alle Bemühungen erwiesen sich jedoch als erfolglos: „Weil […] das Terrain hieselbst überal ser schwer, und wenn es gute Früchte tragen sol, tief gepflüget werden mus, welches sich durch Ochsen, die nur auf leichtem Lande brauchbar sind, nicht bewirken läßet: so sind auch alle deshalb angestelte Versuche fruchtlos abgelaufen.“

Letztlich blieben vor den Pflug gespannte Pferde ein gewohnter Anblick in Minden und Ravensberg. Lediglich auf leichteren Böden konnten Zugochsen mitunter Fuß fassen. Nur wenige Bauern „sattelten um“ und veränderten ihre Wirtschaftsweise. In anderen Bereichen der Landwirtschaft kam es dagegen eher zu Veränderungen. Somit belegen die Bestände der Mindener Kriegs- und Domänenkammer eindrucksvoll, wie aufgeklärtes Gedankengut und alltägliches Erfahrungswissen gegeneinander abgeglichen wurden und mit welchen – teils ganz pragmatischen – Argumenten man den geforderten Reformen begegnete.

 

Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 404: Anschaffung von Zugochsen an Stelle der Pferde, 1769–1804.

 

Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:

Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert