Der Amtmann des ravensbergischen Amtes Brackwede, Johann Ernst Tiemann (1736–1799), rief aus jeder Bauerschaft seines Verwaltungsbezirks die „beiden grössesten und beiden kleinesten Colonos“ zusammen und warb für die Einführung von Zugochsen. Tiemann selbst experimentierte auf seinem Gut Deppendorf südlich von Bielefeld mit neuartigen Anbaumethoden. Etwa pflanzte er Sonnenblumen an, die er als Futtermittel nutzen wollte. Zudem entwickelte er ein spezielles Fass zum Ausbringen von Jauche. Kurzum: Amtmann Tiemann darf als ein wichtiger Vertreter der ravensbergischen Aufklärungsepoche bezeichnet werden. Gleichwohl wusste Tiemann als Mann der Praxis, dass manche Forderungen nur schwer zu verwirklichen waren. So gestand er ein, „daß eine Beackerung mit Ochsen und Kühen nicht zur Anwendung zu bringen sei. Der wichtigste Grund bestehet in der Ungleichheit der Felder und daß solche grössesten Theils Bergauf und Bergab gehen, mithin nothwendig Hintergeschirr erfordert wird, um das herunterziehende Vieh zurückzuhalten, dergleichen Geschirr aber einem Ochsen nicht angethan werden kan.“ Hinzu komme ein weiterer Punkt: „Das langsahme Ackern mit Ochsen ist ebenfals eine notorische Sache, und würde darauß denen hiesigen Unterthanen eine unbeschreiblich grosse Hinderniß zu frühzeitiger Bestellung der Saat in den Weeg gelegt werden.“ Unmissverständlich verdeutlichte er den Kriegs- und Domänenräten, dass „keine Hoffnung vorhanden, daß in diesem Amte Zug-Ochsen angeschaffet werden, weil der schwehre Acker nothwendig grosse mächtige Pferde erfordert, auch wegen der bergigten Laage der Felder keine Ochsen fertig werden und mit dem Pfluge fortkommen können. Wem die Situation dieses Amts bekandt ist, der wird die Unthunlichkeit gar bald begreiffen und einsehen.“
Die Bevölkerung des Amtsbezirks Werther wiederholte die bereits geäußerten Argumente gegen den Einsatz von Zugochsen. Die dort lebenden Landwirte führten des Weiteren an: „Ausserdem würde eine lange Zeith damit hingehen, ehe der Haußwirth, dessen Knecht und übriges Acker-Gesinde die Art der Ochsen kennen und sich mit ihnen behelffen lernen würde.“ Das Ackern mit Pferden sei man von Kindesbeinen an gewöhnt; das Führen von Rindern müsse dagegen zunächst erlernt werden. Von der Variante, Ochsen und Pferde gemeinsam anzuspannen, hielten die Wertheraner übrigens überhaupt nichts. Denn diese Tiere hätten „einen ungleichen Gang“ und würden sich dadurch gegenseitig „ermüden“.
Und so scheiterten letztlich die landesherrlichen Bemühungen, Zugochsen zu etablieren. Dabei wussten die Kriegs- und Domänenräte einige Verbündete an ihrer Seite. Zum Beispiel hatte der Landrat von Korff auf seinem Adelssitz Böckel Ochsen aus dem Hessischen angeschafft. Sogar einen im Umgang mit den Rindviechern geschulten Knecht aus Hessen ließ er engagieren, der zudem einen passenden Pflug aus seiner Heimat mitbrachte. Alle Bemühungen erwiesen sich jedoch als erfolglos: „Weil […] das Terrain hieselbst überal ser schwer, und wenn es gute Früchte tragen sol, tief gepflüget werden mus, welches sich durch Ochsen, die nur auf leichtem Lande brauchbar sind, nicht bewirken läßet: so sind auch alle deshalb angestelte Versuche fruchtlos abgelaufen.“
Letztlich blieben vor den Pflug gespannte Pferde ein gewohnter Anblick in Minden und Ravensberg. Lediglich auf leichteren Böden konnten Zugochsen mitunter Fuß fassen. Nur wenige Bauern „sattelten um“ und veränderten ihre Wirtschaftsweise. In anderen Bereichen der Landwirtschaft kam es dagegen eher zu Veränderungen. Somit belegen die Bestände der Mindener Kriegs- und Domänenkammer eindrucksvoll, wie aufgeklärtes Gedankengut und alltägliches Erfahrungswissen gegeneinander abgeglichen wurden und mit welchen – teils ganz pragmatischen – Argumenten man den geforderten Reformen begegnete.
Quelle: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Westfalen, D 607/Kriegs- und Domänenkammer Minden, Nr. 404: Anschaffung von Zugochsen an Stelle der Pferde, 1769–1804.
Die bisherigen Teile der Serie zur Kriegs- und Domänenkammer Minden:
Ein Dickicht voller Alltagskultur: Die preußischen Kriegs- und Domänenkammern in Westfalen im 18. Jahrhundert