Zwischen Wissenschaft und Heimatforschung: Zur wissenschaftlichen Biografie von Martha Bringemeier (1900 – 1991)

28.01.2025 Niklas Regenbrecht

Martha Bringemeier in der Volkskundlichen Kommission (Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2003.06443).

Aleksandra Stojanoska

Seit 1929 war der berufliche Werdegang von Martha Bringemeier eng mit der Volkskundlichen Kommission für Westfalen verknüpft. Als wissenschaftliche Referentin, vertretungsweise sogar als Vorsitzende und langjährig als Geschäftsführerin hat sie die Arbeit dieser wissenschaftlichen Landesstelle geprägt.

In einem zweijährigen Forschungsprojekt soll deshalb nun ihre wissenschaftliche Biografie aufgearbeitet werden.

Martha Bringemeier lebte von 1900 bis 1991. Sie entstammt einer katholischen Familie aus dem münsterländischen Dorf Riesenbeck. Nach ihrem Volksschulabschluss machte sie eine Ausbildung zur Volksschullehrerin und war danach als Hauslehrerin auf einem Bauernhof tätig. Dort hörte ihr Karriereweg jedoch nicht auf. Nach erfolgreichem Ablegen des Ergänzungsabiturs in Münster, studierte sie Germanistik, Englisch und Volkskunde an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (heute Universität Münster). Parallel arbeitete sie an der Höheren Mädchenschule im nahe Münster gelegenen Greven. 1931 wurde Bringemeier von Julius Schwietering mit einer Gemeindestudie zum Thema Gemeinschaft und Volkslied promoviert. Im Zentrum dieser Arbeit stand das gemeinschaftlich gesungene Liedgut in ihrem Heimatdorf Riesenbeck.

Während ihres Promotionsstudiums ab 1929 nahm Martha Bringemeiers berufliche Verbindung zur Volkskundlichen Kommission für Westfalen ihren Anfang. Sie fand in der ein Jahr zuvor geründeten volkskundlichen Landesstelle eine Anstellung als „wissenschaftliche Assistentin“.  1932 verließ sie die Kommission, um den Vorbereitungsdienst für das Lehramt an höheren Schulen am Pädagogischen Bezirksseminar Dortmund abzuleisten. Während ihres Referendariats bekam Bringemeier 1933 das Angebot als Dozentin an der Hochschule für Lehrerbildung in Dortmund zu arbeiten und gab ihre weitere Schulkarriere zu Gunsten einer Beamtenlaufbahn auf. 1942 kehrte sie als Provinzialverwaltungsrätin zur Volkskundlichen Kommission zurück und blieb dort bis zu ihrer Rente 1965. Sie hat nicht nur das Archiv für westfälische Volkskunde und die Rheinisch-Westfälische Zeitschrift gegründet, sondern die Geschäftsstelle in der Kriegs- und Nachkriegszeit organisiert. Zwischen 1947 und 1965 wurden ihr außerdem Lehraufträge von der Pädagogischen Akademie Emsdetten und Münster sowie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster übertragen. Für ihre (wissenschaftlichen) Leistungen wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz und mit einer Ehrenprofessur gewürdigt.

Martha Bringemeier erhält das Bundesverdienstkreuz (Archiv für Alltagskultur in Westfalen, 2003.06368).

Den beruflichen Werdegang einer Wissenschaftlerin zwischen 1929 und 1965 zu untersuchen, bedeutet aber nicht nur, Arbeitsstationen und Veröffentlichungen aufzuzählen. Ziel des Forschungsprojektes ist es, die wissenschaftliche Biografie in den historischen Zusammenhang einzuordnen. Die Forschungslage zu Martha Bringemeier ist ausgesprochen lückenhaft. Neben kürzeren Beiträgen anlässlich ihres 70. Geburtstages und zur Würdigung ihres Lebens nach ihrem Tod findet ihre Arbeit in der Volkskundlichen Kommission zwar vielfach Erwähnung, nicht jedoch ihr Beitrag zur Regionalforschung und zur Etablierung von volkskundlichen Forschungsfeldern (hier speziell der Kleidungsforschung). Auch über ihre Netzwerke ist nur wenig bekannt. Das Forschungsprojekt soll ein erster Schritt sein, diese und weitere Forschungslücken zu schließen.

Seit den 1980er Jahren gibt es vermehrt Bestrebungen zur Erforschung der Biografien von Wissenschaftlerinnen innerhalb der Volkskunde. Neben Martha Bringemeier sind es allerdings nur wenige Frauen, die nach dem Ersten Weltkrieg erfolgreich eine wissenschaftliche Karriere in der Volkskunde vorangetrieben haben. Bekannt sind Mathilde Hain, auch Schülerin Schwieterings sowie Lily Weiser-Aall. Die Volkskundlerin Heidrun Alzheimer fragt in ihrem Werk Frauen in der Volkskunde (1990) nach der Herkunft dieser Frauen und weist beispielsweise auch auf Gemeinsamkeiten zwischen Bringemeier und Hain hin.

Am Beispiel von Martha Bringemeier soll in dem geplanten Forschungsprojekt gefragt werden, welche Faktoren sich hinsichtlich der Karrieren von Frauen in dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch jungen Fach Volkskunde und in der Wissenschaft im Allgemeinen als förderlich oder auch hinderlich erwiesen.  Wie kam eine junge katholische Frau vom Lande dazu, die wissenschaftliche Karriereleiter zu erklimmen und was unterschied sie von den vielen anderen, denen dieser Weg verschlossen blieb? Welche Positionen konnten sie sich erobern, auf welche Plätze wurden sie verwiesen? Wo und unter welchen Bedingungen wurde ihre Expertise anerkannt? Wo, wann und warum wurden sie nicht beachtet oder vergessen?

Auch jenseits von Geschlechterrollen und Bildungschancen ist der berufliche Werdegang von Martha Bringemeier von großem Interesse, verband er sich doch mit einer neu gegründeten volkskundlichen Landesstelle, der innerhalb der Kulturpolitik eines Kommunalverbandes eine ganz bestimmte Aufgabe zufiel.

Bringemeiers Veröffentlichungen und zahlreiche Quellen, die in unterschiedlichen Archiven wie beispielsweise im Universitätsarchiv oder im Archivamt des LWL vorliegen, sollen dazu herangezogen und in den historischen Kontext eingeordnet werden.  Fragen in diesem Zusammenhang wären beispielsweise: Wie hat sie sich und die Kommission innerhalb der regionalen/heimatkundlichen Forschung positioniert? Auf welche Netzwerke hat sie zurückgegriffen? Wie kann ihre Beziehung zur Heimatbewegung charakterisiert werden? Was waren die Leitideen ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der Kommission? Welche Rolle kam ihr (und der Kommission) im Kontext der Kulturpolitik des Provinzialverbands/Landschaftsverbands Westfalen-Lippe zu?

Ihre umfangreiche Personalakte, die Bewerbungsunterlagen, diverse Abschluss- und Arbeitszeugnisse sowie Krankmeldungen enthält, gibt erste Anhaltspunkte über ihre Ausbildung und ihren beruflichen Werdegang.

In ihrem Nachlass befinden sich außerdem persönliche Briefwechsel aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg sowie Entnazifizierungsakten, die einen näheren Blick auf ihre Rolle während des Nationalsozialismus sowie persönlichere Einsichten in ihr Leben ermöglichen.

Mehr über ihre Netzwerke, Berufsbedingungen und fachlichen Diskussionen erfahren wir durch ihre noch gut erhaltene Korrespondenz, insbesondere aus den Jahren 1954 bis 1965, sowie durch diverse Gesprächsnotizen und ihre Veröffentlichungen. Auch liegen zahlreiche Manuskripte ihrer veröffentlichten, aber auch unveröffentlichten Texte und Vorträge sowie Arbeitspläne vor, die Aufschlüsse über ihre Arbeitsweise als Wissenschaftlerin, aber auch als Geschäftsführerin geben. Die Jahresberichte der Volkskundlichen Kommission in den Westfälischen Forschungen können zum Verständnis ihrer wissenschaftsorganisatorischen Leistung herangezogen werden.

Illustration zum Namenstag Bringemeiers, 1948 (Archiv für Alltagskultur in Westfalen, K02779.0014).

Außerdem ergänzen Ausweise, Poesiealben, ihre Korrespondenz mit Gewährsleuten und eine reiche Fotosammlung aus ihrer Kindheit bis hin ins hohe Alter die Quellengrundlage zu ihrer Person.

Die Beschäftigung mit der wissenschaftlichen Biografie von Martha Bringemeier soll zur Erforschung der Leitlinien volkskundlichen Sammelns und Forschens in der Region inklusive der dazugehörigen Akteur:innen beitragen, ebenso wie zur Beschreibung eines Feldes (Wissenschaft), zu dem Frauen nur partiell und unter bestimmten Bedingungen Zugang hatten.

Kategorie: Ankündigungen

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