Elisabeth Timm
1979 erschien im Münsteraner Verlag Wolfgang Hölker „Das Jüdische Kochbuch“ von Zvi Sofer. Der 160 Seiten starke Band ist, abgesehen vom Papier mit hohem Holzanteil, aufwändig ausgestattet: Den festen blauen Leineneinband schmückt ein weiß aufgedrucktes Muster aus Davidsternen und Menora, das Cover ziert eine Papiervignette (Abb. 1). Als Druckerei ist das Druckhaus Cramer in Greven genannt, die buchbinderische Veredelung besorgte die Firma Klemme und Bleimund in Bielefeld. Deren Etikettiermaschine war damals ein Geheimtipp, auch der in Berlin angesiedelte Verlag Klaus Wagenbach ließ dort seine Bücher veredeln (Wagenbach et al. 1994). Alle Seiten sind mit einem Schmuckrahmen in Blau verziert, hinzu kommen mehrere Dutzend Zeichnungen sowie Reproduktionen von Gemälden und Fotografien.
Das Etikett auf dem Cover zeigt einen Ausschnitt der Lithografie „Le bon Kouguel“ (1886) aus der berühmten Serie des Künstlers Alphonse Lévy (1843–1918) über dörfliches jüdisches Leben im Elsaß: engverbunden genießt ein lächelndes Paar den Geruch des im Topf dampfenden Essens. Im Kapitel der Rezepte für „Kugel“ findet sich dieser Ausschnitt nochmals ganzseitig vergrößert, Sofer erläutert dazu: „Der (jawohl ‚der‘ Kugel!) ist ein weiteres Schabbatgericht. Er ist nicht immer rund, wie man annehmen könnte, sondern wird, wie der Tscholent, häufig in einer Auflaufform gebacken. Kugel ist ebenso beliebt wie Tscholent, ist aber häufig parve, d.h. neutral, nämlich weder mit Milch noch mit Fleisch.“ (S. 99, Abb. 2) Die Lithografien von Lévy waren 1886 in einem Band des Schriftstellers, Ethnografen und Journalisten Léon Cahun (1841–1900) mit dem Title „La vie juive“ publiziert und 1903 erneut mit einer Ausstellung in Paris als „Scènes familiales juives“ bekannt gemacht worden. Lévy und Cahun hatten ihre Kindheit im Elsass verbracht und sahen sich als Dokumentaristen des dortigen Landjudentums. Von Seiten des städtischen Judentums wurden sie kritisiert: Sie würden jüdisches Leben als rückständig zeigen. Andere betonten Alphonse Lévys künstlerisches Anliegen, er wolle kein Abbild sondern ein freudvolles Lebensbild vermitteln: „Sie muten uns denn auch allerliebst unmodern und altfränkisch an, diese Vorfahren, diese Juden und Jüdinnen aus den kleinen Städtchen und Dörfchen des Elsass und Lothringens, wo sich die Ueberreste ehemals blühender Gemeinden erhalten haben. Da ist die Frau, die mit triumphierender Miene die Stürze von der Kasserole abhebt, um dem Gatten die wohlgelungene ‚Kugel‘ für Sabbat, diese Götterspeise zu zeigen, die bekanntlich von Engeln gargekocht wird.“ (NN 1905: Sp. 318) Weitere sieben Illustrationen im Kochbuch wählte Sofer aus einer Serie, die ebenfalls im blühenden Zeitschriftenmarkt des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert populär geworden war: Moritz Daniel Oppenheims Gemäldezyklus „Bilder aus dem altjüdischen Familienleben“, in denen er fromme Familien an jüdischen Festtagen in häuslichen Szenen zeigte (Jüdisches Museum Frankfurt o.D., dort auch die folgenden Informationen hierzu). Mit der Wahl dieser beiden Bildserien verknüpfte Zvi Sofer eine Erbschaft aus zwei Welten: Oppenheims Betonung von Familienintimität nach dem Vorbild des wohlhabenden christlichen Bürgertums im 19. Jahrhundert und Lévys Erinnerungen an das prekäre jüdische Leben auf dem Land, wobei beide Bilderwerke jeweils auf ihre Weise sowohl die Hoffnung seit der jüdischen Emanzipation, als auch die Erfahrung des Antisemitismus in Deutschland und Frankreich spiegeln. Dazwischen finden sich im Kochbuch fotografische Dokumente, deren spärliche Angaben an die Präsenz von Jüdinnen und Juden im Alltag erinnern, etwa ein „Metzgerschild mit der Inschrift ‚Hier ist koscher Fleisch zu haben‘ Deutschland 19. Jahrhundert“ auf S. 76 und mit der Übersetzung der hebräischen Zeilen in den Bilderläuterungen auf S. 158, oder die Aufnahme eines Schaufensters (S. 132), nachgewiesen und ebenfalls übersetzt aus dem Hebräischen „Krämerladen in Antwerpen 1978 / die Fensterinschrift heißt: ‚Koscher‘. Mit anderen Worten kann man hier koschere Ware bekommen.“ (S. 159).