Zwei ruandische Musikinstrumente in Deutschland: Erwerb, Nutzung und Kultur

17.02.2023 Niklas Regenbrecht

Gegenüberstellung von traditionellen ruandischen Instrumenten und der modernen E-Gitarre (Foto: Dominik Wellmann).

Dominik Wellmann

Der Kolonialismus hatte tiefgreifende Auswirkungen auf Ruanda und den gesamten afrikanischen Kontinent. Die europäischen Kolonialmächte, Belgien, und zuvor Deutschland, haben wesentlich dazu beigetragen, politische, gesellschaftliche und kulturelle Strukturen des Anfang der 1960er Jahre unabhängig gewordenen Landes zu formen und zu verändern: Ein Vorgang, der sich auch im Bereich der Musikkultur des Landes widerspiegelt. In diesem Rahmen beschäftigt sich dieser Artikel mit zwei Musikinstrumenten aus der nachkolonialen Zeit Ruandas. Dabei werden vor allem der Erwerb und ihre Nutzung sowie die kulturelle Bedeutung derartiger Instrumente für ihre Hersteller:innen und Benutzer:innen thematisiert.

Ein Projekt zum Thema Kolonialismus

Mit dem Aufruf „Koloniales Erbe vom Dachboden: angeschaut und nachgefragt“ haben die Kommission Alltagskulturforschung des LWL und der Westfälische Heimatbund im Frühjahr 2022 um Zusendungen und Rückmeldungen gebeten. Interessierte aus allen Regionen Westfalens haben ihre Keller, Dachböden und Abstellkammern daraufhin durchforstet und ethnografische Objekte, alte Bücher, Fotografien oder Briefe gefunden, die mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands zu tun haben könnten. Im Wintersemester startete ein Seminar für Bachelor- und Master-Studierende der Kulturanthropologie an der Universität Münster, in dem sich die Studierenden und die Lehrenden diese Dinge gemeinsam mit den Leihgeber:innen einmal näher ansehen wollten. 

Ein Ausschnitt aus der Sammlung ruandischer Gegenstände von Familie Bogdanow (Foto: Dominik Wellmann).

Provenienz und Nutzung von Sammlungsobjekten

Im Fokus dieses Beitrags sollen zwei Instrumente aus dem Privatbesitz von Frau Regina Bogdanow stehen. Von 1986 bis 1988 lebte ihr Mann in der Hauptstadt Ruandas, Kigali, und war als „Entwicklungshelfer“ der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) im Rahmen eines Lehrerfort- und Ausbildungsprojektes tätig. Frau Bogdanow und die Kinder besuchten ihn dort mehrfach für bis zu 5 Wochen innerhalb der Ferien. Sie unternahmen dann Ausflüge sowohl in das Zentrum der Stadt als auch in den ländlichen Raum. Frau Bogdanow beschrieb ihre Beziehung zu den Frauen und Männern in Ruanda, mit denen sie in Kontakt stand, als sehr freundschaftlich und aufgeschlossen. An Ritualen und Zeremonien, bei denen traditionelle Instrumente eine große Rolle spielten, haben sie allerdings nie teilgenommen. Im Verlauf der Besuche kamen zahlreiche Gegenstände aus Ruanda, wie Holzstatuen, Instrumente oder Kinderspielzeug in den Besitz der Familie. Zum Teil es Geschenke befreundeter Einheimischer, vielfach aber auch Produkte, die auf lokalen Märkten käuflich erworben wurden.  Die beiden Instrumente, um die es hier geht, sind nach Angaben von Frau Bogdanow zeitnah vor dem Besitzerwechsel angefertigt worden. Ob sie ein Geschenk oder ein gekauftes Produkt waren, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, der Gebrauch und die Bedeutung, die sie für die Familie hatten und haben jedoch schon.

Ein sogenanntes Kalimba – in Ruanda auch als Ikembe bekannt (Foto: Dominik Wellmann).

Eine Vielzahl der Gegenstände, die sich heute im Besitz der Familie Bogdanow befinden, lässt sich als Erinnerungsstück klassifizieren. Sie dienen zu Dekorationszwecken oder werden in einem als eine Art Museum eingerichteten Raum im Haus ausgestellt. Hier werden auch Sammelstücke aus anderen außereuropäischen Ländern aufbewahrt, die die Familie als Touristen oder im Rahmen der Arbeit des Vaters bereiste. Neben diesem von Frau Bogdanow als kleines Hausmuseum bezeichnetem Raum finden sich auch weitere Gegenstände in den Wohnräumen ausgestellt. Diese Objekte haben überwiegend einen repräsentativen Charakter. Insbesondere die Instrumente und das Kinderspielzeug wurden jedoch nicht nur ausgestellt, sondern auch insbesondere von den Kindern zum Spielen und Musizieren benutzt, was zum Verschleiß und ihrem heutigen eher schlechten Erhaltungszustand führte.

Zwischen Tradition und Moderne

Bei den untersuchten Objekten handelt es sich einmal um ein sogenanntes Kalimba (auch als Thumb Piano bekannt). Dies ist ein traditionelles Musikinstrument, das seinen Ursprung in Zentralafrika hat und in vielen Teilen des Kontinents verbreitet ist. Das vorliegende Exemplar ist 44 Zentimeter lang und 18 Zentimeter breit. Kalimbas bestehen aus einer rechteckigen oder kreisförmigen Holzplatte, die mit über kleinen Löchern befestigten Metallstäben (in diesem Fall ursprünglich 13) bespannt ist. Die Stäbe werden mit den Fingern angeschlagen, um Töne zu erzeugen. Das vorliegende Instrument ist verziert mit Eingravierungen im Holz und einem geschnitzten Kopf als Griff am unteren Ende. Es ist im stark gebrauchten Zustand und lässt sich heute nicht mehr als Instrument nutzen. Speziell in Ruanda ist das Kalimba unter dem Namen Ikembe bekannt. Es wird hauptsächlich in der traditionellen Musik des Landes verwendet und spielt eine wichtige Rolle bei verschiedenen feierlichen oder zeremoniellen Anlässen. Das Ikembe wird oft in Kombination mit anderen Instrumenten wie Trommeln und Flöten gespielt, aber teilweise auch mit einigen Saiteninstrumenten, was uns zum zweiten Gegenstand der Untersuchung bringt:

Die Bauart und Funktionsweise dieses Saiteninstruments aus Ruanda erinnert an eine Gitarre oder Laute (Foto: Dominik Wellmann).

Während der Kolonialzeit wurden in Ruanda einige, damals noch als europäisch einzuordnende Instrumente eingeführt, darunter auch Gitarren. Beim gezeigten Instrument handelt es sich um eine Abwandlung eines Bolons (zentralafrikanische Harfenart). Dies ist 66 Zentimeter lang und am breitesten Punkt des Klangkörpers 21 Zentimeter breit. Gespielt wird, indem man die Saiten, die über einen von Leder oder Pflanzenriemen zusammengehaltenen Holzhohlkörper gespannt sind, anschlägt. In diesem Fall gibt es vier Saiten. Verziert ist das Instrument ebenso wie das Ikembe mit einem geschnitzten Holzkopf am Instrumentenhals.

Sowohl traditionelle als auch moderne Instrumente haben sich heute fest in der Musikkultur von Ruanda etabliert. Das vorliegende Instrument veranschaulicht die Fusion von afrikanischen Saiteninstrumenten, die schon lange vor der Zeit des Kolonialismus existierten und Instrumenten, die die Europäer nach Ruanda brachten.

Der Gebrauch, den Familie Bogdanow von den Instrumenten machte, veranschaulicht allerdings noch etwas Anderes: Kunst, Musikinstrumente, Spielzeug oder auch Alltagsgegenstände, die aus den (ehemaligen) Kolonien oder von Fernreisen ihren Weg nach Europa fanden und finden, wurden in den privaten Haushalten vielfältiger ge- und benutzt, als dies in der Forschung bislang in Betracht gezogen wurde. Das Begreifen der Instrumente ist hier wörtlich ausgelegt worden und entsprach offenbar einem Bedürfnis, dem in Museen nicht nachgekommen werden kann.     

 

Literatur:

Brandel, Rose (1961): ,The Music of Central Africa - An ethnomusicological study (former French Equatorial Africa, the former Belgian Congo, Ruanda-Urundi, Uganda, Tanganyika)’. Den Haag: Nijhoff.

Dawe, Kevin (2003): ,The Cultural Study of Musical Instruments’. In: Clayton, Martin, Trevor Herbert & Richard Middleton (Hg.): The Cultural Study of Music. A Critical Introduction. New York, London: Routledge. S. 274–283.

Hongler, Patricia (2019): ,Den Süden erzählen. Berichte aus dem kolonialen Archiv der OECD (1948–1975)’. Zürich: Chronos.

Kategorie: Aus der Uni

Schlagworte: Kolonialismus · Dominik Wellmann