Andreas Floyd
1892 wurde der Dampf-Desinfektions-Apparat Nr. 5 für das St. Marien-Hospital in Borken angeschafft, um künftig nach allen Regeln der modernen Hygiene die Krankenhauswäsche desinfizieren zu können. Dies ist nicht nur ein Beleg für den medizinischen und technischen Fortschritt in der Region, sondern zeigt auch, wie (und in welchen Abteilungen) um die Wende zum 20. Jahrhundert in einem kleinen regionalen Krankenhaus gearbeitet wurde.
Auf die Spur der Geschichte solch regionaler Krankenhäuser hat sich Volker Tschuschke, Koordinator Forschen im kult-Vreden, mit seiner neuesten Publikation „Zwischen Caritas und Kostenlast“ begeben. Sein Ansatz ist interdisziplinär und will bewusst über die Medizinhistorie hinaus die regionalen, kirchlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge und Brüche in den Blick nehmen, welche Einfluss auf die Krankenhausgründung geübt haben. Dabei spielen beispielsweise auch Fragen nach der Baugestaltung eine Rolle: So ist gerade bei den Krankenhausneubauten in der Wilhelminischen Zeit ein deutlicher Bezug auf das Mittelalter festzustellen. Was wollte man damit zum Ausdruck bringen? Und welche Baustile waren in der Folgezeit von Bedeutung, was drückte sich in ihnen aus? Tschuschke geht diesen und vielen weiteren Fragen auf der Basis einschlägiger Quellen aus dem Kreisarchiv Borken und dem Stadtarchiv Vreden nach.
Erste Anfänge der Krankenhausgeschichte im Kreis Borken gehen auf das Jahr 1844 zurück, als mit dem St. Agnes-Hospital in Bocholt das erste Krankenhaus nach unserem heutigen Verständnis - also eine Einrichtung, die Kranke zum Zweck ihrer Heilung beherbergt -, gegründet wurde.
Die Beweggründe dafür waren aktuell: Zwischen 1828 und 1832 war im Kreis Borken eine Typhusepidemie ausgebrochen. Trotzdem hatte sich der Bocholter Stadtrat zunächst gegen die Errichtung eines Krankenhauses entschieden, da man befürchtete, die Folgekosten seien für die Kleinstadt zu hoch. Symptomatisch für viele weitere Krankenhausgründungen auch andernorts nahm sich schließlich die katholische Kirche in Person der Vikare Georg Geiss und Anton von Bostel der Sache an, so dass 1845 mit dem St. Agnes-Hospital das erste Krankenhaus der Region in katholischer Trägerschaft eingeweiht werden konnte. Nicht nur für die Kranken, die nun wohnortnah über eine wesentlich erweiterte, medizinische Versorgung verfügten, veränderte sich durch diese Einrichtung vieles. Die Krankenhäuser waren nicht zuletzt auch wichtige Arbeitgeber, über die beispielsweise Ordensschwestern der Mauritzer Franziskanerinnen und des Clemens-Ordens aus Münster in die Region kamen.
Für die Krankenhausgründungen im 19. Jahrhundert sprachen seitens der verschiedenen Akteure ganz unterschiedliche Gründe: Die Konfrontation mit der Armut und den armutsbedingten Krankheiten ihrer Pfarrkinder erinnerten manchen Geistlichen an die Ideale der Spätaufklärung. Dem katholischen Adel ging es gemäß der katholischen Glaubenslehre angesichts des Pauperismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eher um die christliche Verpflichtung zur Caritas. Die finanziellen Aufwendungen für die Fürsorge für die Armen und Kranken kamen dabei aber nicht zuletzt dem eigenen Seelenheil zugute, indem Spenden mit der Bitte um Andenken im Gebet verbunden wurden. Zudem war es gerade um die Mitte des 19. Jahrhunderts angeraten, etwaigen revolutionären Kräften mit sozialpolitischen Maßnahmen wie Krankenhausgründungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Anders gestalteten sich die Beweggründe der bürgerlichen Krankenhausgründer und -befürworter: Hier galt Religion nicht nur als Glaubenssache, sondern diente zugleich auch als Appell an ein bürgerlich-ethisches Verhalten. Dieses drückte sich beispielsweise in der Gründung von Krankenhäusern aus, die als Hilfestellung an die Adresse derjenigen verstanden wurde, die durch Armut und Krankheit unverschuldet in Not geraten waren. Praktischere Gründe für ein solches Mäzenatentum waren sicherlich auch die schnelle Genesung der Beschäftigten, die den Unternehmensleitungen auch aus finanziellen Gründen am Herzen lag.
Bis zum Jahr 1949 wurden im Kreis Borken 36 Krankenhäuser gegründet. Während der Weltkriege waren die Häuser zu Lazaretten umgewandelt worden und teils auch Bombardements ausgesetzt. Tiefgreifende Veränderungen im Krankenhauswesen kündigten sich dann in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg an: Durch gesetzliche Reformen erwiesen sich kleinere Krankenhäuser vielfach als unwirtschaftlich, da sie die neu eingeführten staatlichen und medizinischen Vorgaben nicht erfüllen konnten. Dies stieß auf Proteste in der Bevölkerung, die sich die gewohnte stationäre medizinische Versorgung in Wohnortnähe nicht nehmen lassen wollte.