Zwischen den Jahren

27.12.2019

Die Astronomische Uhr im Dom zu Münster. Foto: Andreas Eiynck.

Zwischen den Jahren

Beobachtungen an der Astronomischen Uhr im Dom zu Münster

Andreas Eiynck

Die Zeit „zwischen den Jahren“ ist von alters her eine Phase der Rückbesinnung auf die vergangenen zwölf Monate, vor allem aber auch die Zeit des Blickes in die Zukunft: auf das neue Jahr und auf die Dinge, die da kommen werden. Doch die Zukunft ist ungewiss und nicht immer sind die Gedanken daran mit Zuversicht verbunden. Da hilft es, wenn man zumindest Teile des Kommenden berechnen kann – und sei es nur in Form des Kalenders mit seinen Wochen-, Fest- und Feiertagen.

Der Jahreslauf ist bestimmt durch den immerwährenden Kreislauf der Gestirne mit ihren langen, aber stets wiederkehrenden Bahnen durch das Weltall. Sonnenjahr und Mondjahr, Planetenbahnen und Jahreskreise bilden die Grundlage der Festtagskreise – so lernte man es einst in den Vorlesungen und Hauptseminaren eines Faches, dass sich „Volkskunde“ nannte. Zum dortigen Lehrstoff gehörte übrigens bereits weit vor der Erfindung der elektronischen Datenverarbeitung der „Computus“, die Vorschrift zur Berechnung des Osterdatums.

Bei diesen Berechnungen begegnen sich Theologie und Astronomie, Astrologie und Mathematik. Nur an wenigen Objekten wird so deutlich wie an der Astronomischen Uhr im Dom zu Münster, die um das Jahr 1400 erstmals erwähnt wird. Nach den Verwüstungen der Wiedertäuferzeit wurde die Uhr 1542 umfassend erneuert. Sie erhielt eine neue Fassade und neue Zifferblätter, gestaltet immerhin von dem berühmten Maler Ludger tom Ring d.Ä. Ob vom mittelalterlichen Räderwerk damals noch viel übrig geblieben war, lässt sich heute nicht mehr klären, denn in den 1930er Jahren wurde das gesamte Uhrwerk durch eine technisch verbesserte Kopie ersetzt. Sämtliche alten Bestandteile gingen dabei verloren. Allerdings zeigt der Aufbau des Uhrwerks bis heute die Merkmale mittelalterlicher Mechanik und damit dürfte diese Astronomische Uhr in ihrer Grundkonzeption bis in die Zeit um 1400 zurückreichen.

Die riesige Uhrscheibe, das Zifferblatt, spiegelt das Wissen der mittelalterlichen Astronomie, die vom Ptolomäischen Weltbild mit der Erde im Mittelpunkt des Planetensystems ausging. Die Bahnen der Himmelskörper, ja selbst die Mondphasen wurden dementsprechend erfasst und in ein Räderwerk mit Planetenzeigern umgesetzt. Dabei gibt die Drehung des Sonnenzeigers den Takt für alle anderen Zeiger. Durch komplizierte Getriebe mit Zwischenzahnrädern erhalten die Planentenzeiger ihre passende Drehgeschwindigkeit. Die richtige Übersetzung der Zahnräder konnte man damals nur mit komplizierten Kettenbrüchen ausrechnen. So dokumentiert die Mechanik auch die mathematischen Kenntnisse ihrer Erbauer.

Durch die Kombination mit den Tierkreisen diente das Anzeigenblatt, ergänzt durch mechanische Anzeige für die Tages- und Stundenregenten, dann auch als Grundlage für astrologische Berechnungen, die damals eine große Bedeutung hatten und allgemein verbreitet waren.

Das Dezember-Bild zeigt eine Familie in Münster beim backen von Neujahrskuchen. Foto: Dr. Michael Reuter.

Die Dauer eines Tages und einer Nacht sind auf einem 24-Stunden-Zifferblatt darstellt, wobei der Zeiger – damals einzigartig – entgegen dem Uhrzeigersinn verläuft. Dabei wird zwischen den heutigen 24 gleichlangen Stunden und den je nach Jahreszeit verlängerten bzw. verkürzten Tages- und Nachtstunden, den sogenannten „ungleichen Stunden“ unterschieden, deren Einteilung für die mittelalterlichen Kleriker von großer Bedeutung war.

Die Kalenderscheibe im unteren Teil der astronomischen Uhr zeigt das Datum und die Jahreszahl an, und zwar für einen Zeitraum von genau 532 Jahren, beginnend 1540 und endend mit dem Jahr 2071. Die Zahl 532 ergibt sich aus der Wiederkehr der Vollmond-Zyklen alle 19 Jahre, multipliziert mit der regelmäßigen Wiederkehr der Sonntags- bzw. Wochentags-Zyklen alle 28 Jahre (für alle Geisteswissenschaftler/innen: 19 x 28 = 532 als kleinstes gemeinsames Vielfaches). Diese Spanne von 532 Jahren nennt man auch den Zyklus des Dionysius Exiguus, der diesen Zusammenhang bereits im 6. Jahrhundert erkannte. Nach Ablauf dieser 532 Jahre beginnt dann 2072 wieder ein gleichlaufender Zyklus. Insbesondere diente die Kalenderscheibe zur Vorausberechnung des Ostertermins und der davon abhängigen weiteren Festtage für zukünftige Jahre.

Mit komplizierten Anzeigen auf dem äußeren Ring der Kalenderscheibe kann man mittels einer „goldenen Zahl“ und verschiedenen Tagesbuchstaben in einer separaten Tabelle den Wochentag für jedes beliebige Datum berechnen. Allerdings stimmten die auf diese Weise ermittelten Ergebnisse nur in den ersten Jahrzehnten der Astronomischen Uhr, denn bereits durch die Gregorianische Kalenderreform im Jahr 1582 waren sämtliche Tabellarien überholt.

Die zwölf Monatsbilder auf der Kalenderscheibe spiegeln das bäuerliche und bürgerliche Leben im Münsterland von einst. Da werden im April die Gärten bestellt, im August die Getreidefelder abgeerntet, im November die Schweine geschlachtet und im Dezember Neujahrskuchen am offenen Herdfeuer gebacken.

Dass alle diese Jahreszeiten vom Planetensystem und somit vom Schöpfer über Zeit und Raum herrühren, das ist die eigentliche Botschaft der Astronomischen Uhr im Dom zu Münster. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann dies bei den Seminaren von Domführer Jürgen Stockel, der dabei sehr anschauliche kulturgeschichtliche Einblicke mit seinen profunden astronomischen Kenntnissen kombiniert.