Zwischen Kolonialausstellung und Rumpelkammer: Die Sammlung von Josef Loag

08.08.2023 Marcel Brüntrup

Christiane Cantauw

Vor einiger Zeit wurde in diesem Blog der Bauernsohn Josef Loag vorgestellt, der 19 Jahre auf Plantagen in Neuguinea und Kamerun arbeitete und sich vom Assistenten für Tabakpflanzungen bis zum Plantagenleiter und Bevollmächtigten der Kautschukkultursyndikats GmbH, Kamerun, hochgearbeitet hatte. Er steht für viele junge Männer, die um die Wende zum 20. Jahrhundert Deutschland verließen, um in den Kolonien zu arbeiten. Vergleichsweise gute Verdienstmöglichkeiten, aber auch die Hoffnung auf sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg jenseits der engen Grenzen der kaiserzeitlichen Gesellschaft erwiesen sich hier ebenso als Pull-Faktoren wie ein Überlegenheitsgefühl gegenüber der einheimischen Bevölkerung.

Ein Teil der kolonialen Arbeitnehmer einschließlich der Kolonialbeamten füllte die Freizeit damit aus, Gegenstände des alltäglichen, aber auch des kultischen Gebrauchs zusammenzutragen – das wurde ihnen späterhin auch direkt angeraten. Verschiedene Behältnisse, Musikinstrumente, Werkzeuge, Ackerbaugerät, Kleidungsstücke, Waffen, Masken, Schmuck, Devotionalien und vieles mehr gelangten so nach Deutschland. Die Sammlungen enthielten zum Teil auch sogenannte human remains, also menschliche Überreste wie Skalpe oder menschliche Schädel.

Wie die einzelnen Personen an die Gegenstände gelangten, ist in wenigen Fällen bekannt. Viele wie der Düsseldorfer Afrikareisende und Kolonialpropagandist Eugen Zintgraff haben sich das, was sie interessierte, (mit Gewalt) genommen. Teils gingen die Sammler sogar so weit, Gräber zu schänden oder Kultgegenstände aus Tempeln zu stehlen. Manche Gegenstände wurden aber auch bei lokalen Händlern erworben, die sich das Interesse der Europäer:innen an Kunstobjekten und anderem, was authentisch zu sein versprach, zunutze machten. Woher diese im Einzelnen ihre Ware bezogen, ist wohl nur in den seltensten Fällen zu klären.

Auch in Westfalen enthalten viele museale und private Sammlungen Gegenstände, die in den Kolonien geraubt wurden. Soweit es sich um Kunstgegenstände oder human remains handelt, versuchen teils Provenienzforscher:innen die rechtmäßigen Besitzer:innen und ihre Nachfahr:innen aufzuspüren, um die Gegenstände zurückzugeben. Das scheitert aber vielfach an der sehr lückenhaften Quellenlage.

Die „Fundstücke“

Josef Loag hat nicht dokumentiert, wie, wo und wann er in den Besitz der Gegenstände gelangte, die sich in seiner Sammlung befanden. In seinen Briefen bezeichnet er die Gegenstände als „Fundsachen“. Ob er sie wirklich gefunden oder gekauft, getauscht oder gar geraubt hat, kann auf Basis der vorliegenden Quellen nicht entschieden werden.

An einigen Stücken aus der Sammlung von Josef Loag sind noch die originalen Beschriftungen zu finden. (Ausstellung Loag in Haus Dassel, Warstein-Allagen, Foto: Cantauw)

Die geografische Herkunft der Artefakte scheint dagegen klar zu sein: Aufgrund seiner mehrjährigen Aufenthalte in Neuguinea (elf Jahre) und Kamerun (acht Jahre) lässt sich vermuten, dass ein Großteil der Gegenstände aus diesen Ländern stammt. Dem steht jedoch entgegen, dass im Protokoll der Stadtvertretung Warstein vom 22. Juni 1906 dokumentiert wird, dass die „wertvollen Sammlungen aus Neuguinea, Indien, China, Japan“ stammen würden. Wie Josef Loag gegebenenfalls an Gegenstände aus Indien, China und Japan gekommen ist (falls die räumliche Zuschreibung aus dem Protokoll richtig ist) und welche Artefakte das konkret waren, lässt sich auf Basis der Quellen leider nicht sagen.   

Informationen über einzelne Objekte der Sammlung von Josef Loag sind einer Akte zu entnehmen, die im Stadtarchiv Warstein aufbewahrt wird: Laut einer Aufstellung des Stadtvorstands der Stadt Warstein über „Objekte der Loag-Sammlung nebst Angabe der ungefähren Preise“ vom 22. August 1911 umfasste die Sammlung:

  1. 7 Dorfgötzen
  2. 20 Königsspeere
  3. 19 Streitäxte
  4. 37 Wurfspeere
  5. 15 Schlagkeulen
  6. 5 Speere mit Flintspitze
  7. 6 Lanzmarken
  8. 33 ausgestopfte Vögel
  9. Kleinere Schmuckgegenstände

(zwei Posten waren unleserlich)

An anderer Stelle ist in der Akte außerdem noch von Medizingefäßen, Kriegsschmuck, Keulen, großen Götzen und Handgötzen, Frauenmützen, Kopfkissen, Männerkämmen, Trommeln und einem Amulett sowie von „Photographien“ die Rede.

Sammeln und Zeigen für „gelehrte Kreise“

Josef Loag wünschte sich eine Ausstellung der gesammelten Objekte in einem Museum. Deshalb hat er seine Sammlung 1906 dem Städtischen Museum Dortmund angeboten. Amtmann Schmitz aus Warstein überzeugte ihn dann aber davon, die Sammlung nach Warstein zu geben. Vermutlich spielte hier das Argument eine Rolle, dass man die Gegenstände im Höhlenmuseum zeigen werde.

Das war für Josef Loag offenbar wichtig, wie sich aus der Entwicklung zwischen 1906 und 1908 ersehen lässt: Er monierte, dass die Sammlung in Warstein in einer „Rumpelkammer“ untergebracht sei. Auch war sie wohl weder katalogisiert noch in irgendeiner Form öffentlich zugänglich gemacht worden. Die Briefe Josef Loags an die Stadt Warstein lassen überdies darauf schließen, dass beim Transport (als Fracht durch die Woermann-Linie) einige Teile beschädigt worden waren.

Eine „Volkstümliche Kolonialausstellung“ wurde vom 3. bis zum 12. Oktober 1908 in Lippstadt gezeigt. Auch Exponate aus der Sammlung von Josef Loag waren hier zu sehen. (Anzeige aus: Der Patriot, 05.10.1908)

Josef Loag sprach sich mit Schreiben vom 14. Juli 1908 an die Stadt Warstein dafür aus, die „Sachen“ nach Lippstadt zu geben. Die dortige Abteilung des deutschen Kolonialvereins hatte bereits am 9. Juni 1908 in einem Schreiben an die Stadt Warstein darum gebeten, die Sammlung für eine Kolonialausstellung ausleihen zu dürfen. 

In der Tat wurden Objekte aus der Sammlung nach Lippstadt geschickt und dort in der von der Abteilung Lippstadt der Deutschen Kolonialgesellschaft organisierten „ersten deutschen Kolonialausstellung“ gezeigt. Die Schau stand unter dem Protektorat von Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg (1857–1920), des Präsidenten der Deutschen Kolonialgesellschaft. Sie wurde vom 5. bis zum 12. Oktober 1908 im Sommerkamp’schen Saal in Lippstadt gezeigt und fand beim Publikum und in der Presse viel Beachtung. Ziel der „volkstümlichen“ Ausstellung war es, Exponate zu zeigen, „welche sich beziehen auf die Bedeutung der Kolonien für das Deutsche Reich auf den Gebieten von Wissenschaft, Kunst, Mission, Industrie, Handel, Verkehrs- und Auswanderungswesen“ (Der Patriot, 30.4.1908). In der Presse war die Rede von über 6.000 Personen, die sich die einwöchige Schau angesehen haben.

Kopf eines Großwildes (Gnu?) aus der Sammlung Loag, Haus Dassel, Warstein-Allagen. (Foto: Cantauw)

In Warstein selbst ist die Sammlung von Josef Loag bis zu seinem Tod nie gezeigt worden. Das lag zum einen daran, dass man nicht über geeignete Ausstellungsräume verfügte – das Höhlenmuseum hatte sich bei genauerer Betrachtung als ungeeignet erwiesen. Auf der anderen Seite scheint aber auch das Interesse von Rat und Bürgerschaft nicht so groß gewesen zu sein. Dass es in Warstein keine Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft gab, deutet bereits darauf hin, dass seitens der Bürgerschaft das Interesse an diesem Thema nicht groß war. Die Verantwortlichen in der Stadt Warstein gingen zwar davon aus, dass die Sammlung von Josef Loag „wertvoll“ sei. Worin genau aber der Wert für die Stadt und ihre Bürger:innen bestehen könnte, blieb unklar. Josef Loag, der angesichts der schwindenden Aussichten für eine museale Präsentation immer ungehaltener wurde, stellte der Stadt 1911 schließlich ein Ultimatum: Entweder kaufe man ihm die Sammlung für 15.000 Mark ab (ggf. auch auf Raten) oder er mache von seinem Recht Gebrauch, die „zur Zimmerausschmückung [sic!] (…) gewünschten Stücke“ wieder an sich zu nehmen. Die Stadtverordnetenversammlung kam bei einer entsprechenden Beratung zu dem Schluss, dass „Warstein nicht der geeignete Platz sei, eine so wertvolle Sammlung dauerhaft zu verwahren und den gelehrten Kreisen nutzbar zu machen, daß sich hierfür vielmehr das Museum einer Großstadt, in erster Linie das Provinzialmuseum eigne. Versammlung beschließt deshalb, an dem mit Herrn Loag unterm 3. Juli 1906 bestätigten Abkommen festzuhalten und ihm anheim zu stellen, einen Teil der Sammlung zurückzunehmen.“

Privates Sammeln und Kolonialismus (am Beispiel der Sammlung von Josef Loag aus Warstein, Allagen)

Wie jede Sammlung, so sagt auch die Sammlung von Josef Loag viel über ihren Sammler aus. Als leitender Angestellter verschiedener großer Konsortien war er direkt an der Ausbeutung der Natur und der Arbeitskräfte in Neu Guinea und Kamerun beteiligt. Seine Sicht auf die Natur und die Menschen vor Ort war zunächst einmal von wirtschaftlichen Interessen geleitet. Das dokumentiert auch seine Sammlung: Natürliche Ressourcen (einschließlich der einheimischen Tierwelt) stellten für ihn einen Fundus dar, aus dem er sich nach Belieben bedienen zu können glaubte. Auch über einheimische Arbeitskräfte wie seinen „Haushofmeister Esunga“ verfügte er nach Gutdünken, indem er ihn beispielsweise nach Warstein schickte, damit man ihm dort das Präparieren von Vögeln beibrachte.

Sammlungen von Wurfspeeren und eine vergleichbare Präsentation waren bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts in vielen Museen auch in der Provinz zu finden. (Sammlung Loag, Haus Dassel, Warstein-Allagen, Foto: Cantauw)

Josef Loag war Teil des kolonialen Systems, das ihm ein sehr gutes Auskommen gewährte und das es ihm erlaubte, seinen Sammel-Interessen nachzugehen. Auf der anderen Seite trug er durch seine Arbeit und sein Sammeln auch zum Erhalt dieses Systems bei.

Wie andere Sammler bewegte sich Josef Loag zwischen Sammellust und dem Zwang, das einmal begonnene (Sammel-)Werk fortzuführen und zu komplettieren. In einem Brief an Rektor Kropp aus Warstein vom 21. Januar 1908 schreibt er, dass „nach so langer Tropenzeit die Sammellust fast ganz geschwunden“ sei. Nur „das Interesse für das dortige Museum“ zwinge ihn zur Fortsetzung des Begonnenen. Mit 38 Jahren fühlte er sich „zu alt u. langsam“, um Tiere zu erjagen, zu präparieren, die Präparate und Gegenstände versandfertig zu machen und verschicken. Auch die Auseinandersetzungen mit der Stadt Warstein um eine Ausstellung zerrten wohl an seinen Nerven.

Andererseits bildete seine Sammlung nach jahrzehntelanger Abwesenheit eine Verbindung zur Heimat, die er nicht kappen wollte. Die gesammelten Gegenstände sollten ihm und seinem Aufenthalt in den Kolonien gleichsam höhere Weihen verleihen. Das war nicht völlig aus der Luft gegriffen, wie das Beispiel von Pflanzern und Sammlern wie Georg Meissner und den Brüdern Johannes und Ernst Neubourg zeigt. Letztere arbeiteten um die Wende zum 20. Jahrhundert unter anderem in Nordsumatra und legten eine Batak-Sammlung an, die nach dem Zweiten Weltkrieg in das Städtische Museum Lemgo gelangte.   

Wie sich anhand der Kolonialausstellung in Lippstadt zeigen lässt, waren die unsystematisch zusammengetragenen Sammelstücke von Josef Loag in der deutschen Heimat aber vor allem als Belege für wirtschaftlich interessante Ressourcen, eine exotische Tierwelt oder das Wirken der deutschen Kolonisatoren von Bedeutung. Nach eingehenderen Informationen über den Alltag der in den Kolonien lebenden Menschen bestand nicht nur in der westfälischen Provinz keine Nachfrage.

Quellen und Literatur

Stadtarchiv Warstein, Akte Loag Museum, Bestand C, Nr. 472.

Zur Kolonialausstellung in Lippstadt sind in folgenden Lippstädter Zeitungen Presseberichte erschienen:  Der Patriot (4.4.1908; 30.4.1908; 5.10.1908; 6.10.1908; 10.10.1908; 14.10.1908; 27.10.1908; 14.5.1909), Lippstädter Zeitung (5.10.1908; 7.10.1908)

Bozsa, Isabelle: Geschenkt, gekauft, erbeutet – Missionarisches Sammeln in Kamerun und Indien. Basel 2019 (https.//www.mkb.ch/de/museum/fellowship.html)

Fossi, Richard Tsogang: Eugen Zintgraff’s Diary as a Document of Theft and Destruction of Art Treasures in the Colonial Context. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2 (2021), S. 77–90.

Konrad, Dagmar: >Entfernte Dinge< - Objektgeschichten aus der Sammlung Basler Mission an Beispielen aus Ghana und Südchina. Basel: Museum der Kulturen Basel (http://www.mkb.ch/de/museum/Followship.html)

Michels, Stefanie: Galega, Kossa, Isaak, Munoko und Bai Tabe – Zintgraffs globalhistorisches Netzwerk in Detmold. In: Sebastian Bischoff, Barbara Frey, Andreas Neuwöhner (Hg.): Koloniale Welten in Westfalen. Paderborn 2021 (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, 89), S. 133–156.

Scheffler, Jürgen: Von Lemgo nach Sumatra und zurück. Die Brüder Neubourg und ihre Batak-Sammlung. In: Reisen – Entdecken – Sammeln, hrsg. von Günter Bernhardt und Jürgen Scheffler. Bielefeld 2001, S. 58–77.

Stoecker, Helga, Schnalke, Thomas, Winkelmann, Andreas (Hg.): Sammeln, Erforschen, Zurückgeben? Menschliche Gebeine aus der Kolonialzeit in akademischen und musealen Sammlungen. Berlin 2013