Transkript anzeigen Abspielen Pausieren

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Geschäftsstelle

Die Geschäftsstelle der Kommission Alltagskulturforschung in Münster betreut die Mitglieder; zugleich ist sie Anlaufstelle für alle, die sich mit volkskundlichen Fragen beschäftigen.
Sie regt Forschungen in und über Westfalen an, fördert sie durch die Bereitstellung von Quellenmaterial und Publikationen, koordiniert Projekte, arbeitet mit anderen wissenschaftlichen Institutionen zusammen. Eine enge Kooperation besteht mit dem Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

 

Unsere Geschäftszeiten:

Montag bis Donnerstag: 8.30 bis 12.30 Uhr,
14.00 bis 15.30 Uhr; Freitag: 8.30 bis 12.30 Uhr.

 

Christiane Cantauw M. A.

Geschäftsführerin und wissenschaftliche Referentin

Kontakt:
Tel.: (0251) 83-24398
E-Mail: christiane.cantauw@lwl.org

Haushaltsbuch von Hildegard Weber aus Soest, 1949-1950

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Hildegard Weber, o. Inventarnummer

Unter den noch nicht inventarisierten Artefakten in der Sammlung der Kommission Alltagskulturforschung fand ich das Haushaltsbuch von Hildegard Weber, das mit den in das Buch eigelegten Rechnungen und Briefen den Bestand Weber bildet.

Das Haushaltsbuch im Format Din-A-5 wurde in der Buchdruckerei Richard Schmidt in Halberstadt hergestellt. Nach einem Deckblatt sind pro Seite jeweils zwei Spalten für Ausgaben vorgesehen. Die einzelnen Spalten sind mit den Wochentagen und einem noch einzutragenden Datum überschrieben. Nach jeweils sieben Tagen folgt eine Spalte, in der eine wöchentliche Abrechnung mit Einnahmen und Ausgaben vorgenommen werden kann.

Hildegard Weber hat das Buch nicht nur zur Dokumentation ihrer fast täglichen Einkäufe genutzt, sondern hier auch notiert, was sie an dem jeweiligen Tag gemacht hat. Wir erfahren von Geburtstagsfeiern, der Kündigung ihres Mannes, von der Krankheit des bereits erwachsenen Sohnes, von Kinobesuchen und von häuslichen Arbeiten wie der Großen Wäsche oder dem Putzen des Kellers.

Das Haushaltsbuch gewährt Einblicke in den Alltag einer Hausfrau mit Mann und zwei erwachsenen berufstätigen Kindern in der Nachkriegszeit. Es gibt Auskunft über den geographischen Raum, in dem sich Hildegard Weber bewegt hat, ebenso wie über ihr Freizeitverhalten oder die alltäglichen und nicht-alltäglichen Ausgaben für z.B. Milch, Brot und Butter oder die Reparatur von Seidenstrümpfen. Spannend ist, wie viele Informationen über die Familie aus der doch recht beschränkten Anzahl an Einträgen und Dokumenten abgeleitet werden können. So entsteht aus der Beschäftigung mit dem Haushaltsbuch heraus der Mikrokosmos einer Kleinfamilie, der das Leben in der Nachkriegszeit in einer westfälischen Kleinstadt greifbar werden lässt. 

Dörthe Gruttmann M. A.

Wissenschaftliche Referentin (Redaktion Graugold)

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24405
E-Mail: doerthe.gruttmann@lwl.org

Zeitkartenhalter und elektronische Stempeluhr memor electronic solari udine

Bei dem Kartenhalter aus Metall sowie der dazugehörigen elektronischen Stempeluhr handelt es sich nicht direkt um einen Archivfund, aber sicherlich um archivwürdige Bürogegenstände der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen. Denn beide befinden sich noch im Flur der Geschäftsräume der Kommission. Der Zeitkartenhalter aus Metall für 25 Stempelkarten sowie die elektronische Stempeluhr wurden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle vom Zeitpunkt des Bezuges der Räume in der Scharnhorststraße 2001 bis zum Frühjahr 2017 verwendet. Seitdem hängt ein zweites Arbeitszeiterfassungsgerät an der Wand, welches die An- und Abwesenheitszeiten digital übermittelt, wenn eine Chipkarte davorgehalten wird.

Zuvor mussten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeweils vor dem ersten Tag des neuen Monats eine neue Stempelkarte ausfüllen. Der Name und die Sollarbeitszeit wurden handschriftlich eingetragen, ebenso mussten beispielsweise Urlaubstage aufgeschrieben werden, und zwar in eine extra dafür vorgesehene Spalte für Sondereintragungen. Die Uhrzeit des Kommens und Gehens wurde auf die Stempelkarte in anderen Spalten gedruckt, wenn man sie in die Stempeluhr einführte. Diese zeigte bei dem Vorgang die erfassten Zeiten elektronisch auf einem kleinen Display an. Hierbei wurde eine Stunde in 100 Einheiten berechnet. Am Ende des Monats musste jeder ausrechnen, ob seine/ihre geleisteten Stunden mit der Sollarbeitszeit übereinstimmte. Die Stempelkarten selbst wurden monatlich weitergeleitet, im Falle der Kommission gingen diese an die Zentrale Verwaltungseinheit (ZVE).

Die sogenannte Stechuhr gehört für viele Menschen ganz unhinterfragt zum Alltag dazu. Dabei hat sich die automatische Arbeitszeiterfassung erst im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert allgemein durchgesetzt und löste andere Formen der Zeiterfassung und Regelungen ab (zum Beispiel das Läuten von Werkglocken). Ihre Etablierung hat sich auf die Wahrnehmung von Zeit erheblich ausgewirkt, normierten sie doch den Arbeitsrhythmus. Galten sie zunächst als Disziplinierungsgerät der Arbeitgeber, die einheitliche Arbeitszeiten, Pünktlichkeit und Pausen dokumentierten, hat sich diese (negative) Zuschreibung bis heute durchaus gewandelt.

Anhand von Stempeluhren lassen sich Steuer- und Regulierungsfunktionen im Sinne eines Kontrollinstrumentes im Arbeitsalltag ablesen, ebenso wie der Wandel dieser Technologie im Laufe der Zeit und damit verbunden der Wandel von Formen der Arbeitszeiterfassung.

Kathrin Schulte M. A.

Wissenschaftliche Referentin

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24405
E-Mail: kathrin.schulte@lwl.org

Album „Kriegs-Karten“

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Inventarnummer K03139.0045.

Mit einer Größe von 17 x 15 cm ist das „Kriegs-Karten“-Album kleiner als viele andere Fotoalben im Archiv für Alltagskultur. Den leicht verknickten Einband des aus dünner brauner Pappe bestehenden Einsteck-Albums ziert ein ovales Portraitfoto Wilhelms II in Farbe. Über seinem Kopf schwebt, an einen Heiligenschein erinnernd, eine geprägte, goldene Krone, unter dem Kaiserportrait ist die Aufschrift „Kriegs-Karten“ zu lesen. Das Album stammt aus dem Personenbestand der Familie Zwarg und hat die Signatur K03139.0045 im Archiv für Alltagskultur.

Auf der Innenseite des Einbands findet sich eine handschriftliche Widmung: „Meiner lieben Emilie zu ihrem 21.ten Geburtstage, am 18.ten Juli 1915 gewidmet von Ihrer treuen Hedwig.“ Die 68 Fotopostkarten und fünf Fotografien in dem Album zeigen Szenen des Ersten Weltkriegs. Die Postkarten sind meist auf der Vorderseite handbeschriftet und zeigen zu großen Teilen zerstörte Gebäude im nördlichen Frankreich, aber auch deutsche Soldaten, Kriegsgefangene (laut Beschriftung „gefangene Franzosen“ und „Senegalesen“) und Kriegsgerät. Neben diesen Aufnahmen beinhaltet das Album auch deutlich explizitere Darstellungen: tote gegnerische Soldaten in Schützengräben, ein erhängter russischer Spion, ein abgeschossenes britisches Flugzeug samt totem Pilot und erschossene Pferde. Insgesamt zeigen elf Fotografien tote Menschen, davon eine die Beerdigung eines Deutschen, die übrigen sind – soweit erkennbar – gegnerische Soldaten. Teilweise posieren deutsche Soldaten neben den getöteten Gegnern, teilweise wurden die Folgen einer Offensive festgehalten. Während der gefallene deutsche Soldat als Individuum auf einem Friedhof bestattet wird, verschwimmen die getöteten Gegner zu einer anonymen Masse.

Dass es sich laut Widmung bei dem Album um ein Geburtstagsgeschenk von Hedwig an Emilie handelt, verwundert aus heutiger Sicht – wieso stellte ein Album mit Abbildungen von Zerstörungen und Toten ein geeignetes Geschenk zum 18. Geburtstag dar? Von Hedwig selbst stammen diese Fotografien offensichtlich nicht. Die einzelnen Karten geben allerdings Hinweise: Bei den Postkarten handelt es sich vermutlich um Fotografien, die im Fotoatelier auf Wunsch als Ansichtskarten gefertigt wurden.  Die meisten Karten sind auf der Vorderseite beschriftet (zum Beispiel „von der Offensive in der Champagne“ oder „Mörser Gestell“), seltener befinden sich auf der Rückseite Bildinformationen. Auf zwei der Karten enthält die Rückseite allerdings einen „Bestellzettel“: Stückzahlen und Nachnamen, geschrieben in unterschiedlichen Handschriften. Vermutlich wurden den Soldaten Abzüge von Fotografien ihrer Einsätze zum Kauf angeboten. Dass diese Praxis bereits professionalisiert worden war, zeigen die Bestellzettel.

Im hinteren Teil des Albums befinden sich einige beschriftete Feldpostkarten aus den Jahren 1916 und 1917 sowie weitere Kriegsfotografien Alle Feldpostkarten sind an ‚Herrn Zwarg‘ oder seine Familie gerichtet und von verschiedenen Personen verfasst, außerdem enthält das Album zwei Karten von einem Gottfried an Emilie. Inhaltlich ähneln sich die Botschaften: Man sei gut angekommen, sei bei guter Gesundheit und hoffe auf die Gesundheit der Adressaten.

Das Album war ein Geschenk einer Hedwig an Emilie Zwarg; in welcher Beziehung die beiden zueinander standen, ist nicht bekannt. Es liegt nahe, dass das Album zunächst nur die unbeschrifteten, ungelaufenen Bildpostkarten enthielt und Emilie in den folgenden Jahren Fotos und Feldpost, die sie erhalten hatte, hinzufügte.

Die Abbildung von toten gegnerischen Soldaten mag aus heutiger Perspektive irritieren, war aber im Kontext des Ersten und Zweiten Weltkrieges weit verbreitet. Die Fotos sollten Beweischarakter haben und waren Teil der Propaganda. Demgegenüber schafften es Darstellungen toter Deutscher kaum durch die Zensur.  Es ist davon auszugehen, dass solche Fotografien und Alben bei national gesinnten Frauen ein willkommenes Geburtstagsgeschenk waren, auch wenn die Bildinhalte eigentlich vor allem eines zeigen: die Brutalität, Verachtung und das unsägliche Leid, das aus Kriegen resultiert.

Niklas Regenbrecht M. A.

Wissenschaftlicher Referent und Archivleitung

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24405
E-Mail: niklas.regenbrecht@lwl.org

Totenzettel aus Westfalen, 19.-20. Jahrhundert

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Totenzettelsammlung, teilw. verzeichnet

Wie gedenken Menschen ihrer Verstorbenen? Und welche materiellen Zeugnisse bleiben vom Akt einer Beerdigung? Neben Grabsteinen, Todesanzeigen und Trauerkarten gehören auch die so genannten Totenzettel zu den Erinnerungsobjekten. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aufkommend, werden diese bei Beerdigungen an die Anwesenden verteilt.

Im Archiv für Alltagskultur befinden sich sowohl eine Reihe verzeichneter und digitalisierter Totenzettel, als auch bislang noch unverzeichnete Konvolute. Die frühesten Belege datieren auf das Jahr 1800. Sie stammen aus ganz Westfalen und darüber hinaus.

Die Gestaltung der Totenzettel unterliegt sich wandelnden Konventionen. Einblättrige Zettel wurden mit der Zeit vermehrt durch gefaltete Exemplare abgelöst. Bei Letzteren finden sich häufig auf den Vorderseiten Abbildungen von Heiligen oder Kreuzesdarstellungen, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch Fotografien der Verstorbenen. Auch die verwendeten Sinnsprüche, Gebete und Anrufungen der Heiligen unterliegen einem Wandel. Dieser geht tendenziell Richtung Vereinfachung und schlichterer Gestaltung.

Die Totenzettel waren und sind vor allem eine katholische Sitte. Es finden sich aber auch Spuren der Entfremdung von Religion, wenn beispielsweise Kreuze durch NS-Symbole ersetzt wurden. Totenzettel geben Auskunft über die Lebensdaten, Berufs- und Verwandtschaftsbeziehungen der Verstorbenen. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts finden sich häufig sogar biographische Kurztexte und Angaben zur Todesursache. Sie sind nicht nur für genealogische Fragestellungen, sondern auch für Forschungen, die den Umgang mit dem Tod, Religiosität und Konfessionalität in den Blick nehmen, eine hervorragende Quelle.

Was die Empfänger der Totenzettel mit diesen gemacht haben, darüber geben die archivierten Totenzettel freilich keine Auskunft. Häufig wurden diese in Gesangbüchern gesammelt und – wenn sich allzu viele angesammelt hatten – in Schächtelchen ausgelagert. Sie einfach wegzuwerfen, scheint gewissermaßen tabubehaftet zu gewesen sein. Zusammenhängende Sammlungen können so manchmal auch Auskunft über das persönliche Umfeld einer sammelnden Person geben.

Aleksandra Stojanoska M. A.

Wissenschaftliche Volontärin

Kontakt:
Tel. (0251) 83-24406
E-Mail: aleksandra.stojanoska@lwl.org

Liv Böllert

Studentische Volontärin

Archiv

Tel.: (0251) 83-22400

Gebets- und Andachtsbüchlein für die Mitglieder der Bruderschaft vom guten Tod

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Ortjohann, Inventarnummer K03139.0039

Das Büchlein mit zugehörigem Aufnahmeschein gehörte Heinrich Ortjohann aus Gütersloh, der am 10.12.1908 in die „Bruderschaft vom guten Tod“ aufgenommen wurde. Es ist 2021 über den Nachlass der Familie Ortjohann ins Archiv gekommen.

Der Aufnahmeschein ist Teil eines dunkelgrünen, gebundenen Büchleins mit rotem Buchschnitt, auf dem in goldener Schrift „Sterbetrost“ steht. Das Büchlein ist ca. 11,5 x 8 cm groß und hat einen Umfang von 260 Seiten. Der Umschlag ist mit Prägungen in Form von Blumen und einer Schriftrolle verziert. Das Frontispiz zeigt eine Schwarz-Weiß-Zeichnung von Jesus, Maria und einem Mann der mit einem Blumenstrauß im Arm auf dem Sterbebett liegt. Maria betet für den Mann, während Jesus ihn im Arm hält. Die Köpfe der drei Abgebildeten sind von einem Heiligenschein umgeben. Unter der Abbildung steht der Vers „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben, ihre Werke folgen ihnen nach.“ (Offen 13,14).  Auf der folgenden Seite befindet sich der Aufnahmeschein, auf dem als Ausstellungsort Küsnacht, Schweiz vermerkt ist. Zur Zeit der Entstehung des Büchleins stand Pfarrer Felix Ackermann der Bruderschaft vor. Unter dem Aufnahmeschein steht: „Dieses Blatt ist nach dem Tode eines Mitgliedes an das zuständige Pfarramt abzugeben, damit die Seele dem Gebete der Gläubigen empfohlen werde.“ Anscheinend kam es nach dem Tod von Heinrich Ortjohann jedoch nicht dazu.

Bei Bruderschaften handelte es sich um eine Gemeinschaft von Männern, die sich zu freiwilligen Hilfsleistungen und sozialen Diensten verpflichteten. Im Falle der Bruderschaft vom guten Tod war dies die „ars morendi“, die Kunst des Sterbens. Damit war die christliche Vorbereitung auf einen „glückseligen Tod, von dem die Ganze Ewigkeit abhängt“ (vgl. Satzung Bruderschaft) gemeint, die seit dem ausgehenden Mittelalter u.a. in Form von Erbauungsliteratur verbreitet wurde. Die Bruderschaft vom guten Tod, auch bekannt unter dem Namen „Todesangst Christi“, wurde 1648 vom Jesuitengeneral Vincenzo Carafa gegründet. Besonders im 18. Jahrhundert erlebte sie eine Hochphase. Auch in Westfalen gab es vielerorts Ortsgruppen dieser Bruderschaft wie beispielweise in Coesfeld oder in Arnsberg.

Das Büchlein ist ein „Gebets- und Andachtsbüchlein für alle Christen insbesondere für die Mitglieder der trostreichen Bruderschaft vom guten Tode“ (S.5). Satzungsgemäß waren die Mitglieder der Bruderschaft verpflichtet, an den monatlichen Bruderschaftsgottesdiensten teilzunehmen und so oft wie möglich die heiligen Sakramente zu empfangen. Durch ihre Mitgliedschaft erhielten sie einen vollkommenden Ablass nach Empfang der hl. Sakramente der Buße und des Altars an bestimmten Tagen wie dem Fest des hl. Joseph, dem Tag der Aufnahme in die Bruderschaft sowie an weiteren christlichen Feiertagen.

Für Sterbefälle stattete sie das Büchlein mit Handlungsempfehlungen im Sinne einer ars morendi aus: „Da die ‚ars moriendi‘, die Kunst gut zu sterben, die Kunst aller Künste ist, so möge dieses Büchlein wie bisher, so auch fürderhin recht vielen Christen ein Ansporn und Gehülfe sein, recht zu leben und dadurch auf ein gutes Sterben sich wohl vorzubereiten […].“ (S.7). Gebetstexte und Andachtsübungen passend zu verschiedenen kirchlichen und privaten Anlässen sollten die Mitglieder der Bruderschaft auf den Tod vorbereiten und eine Hilfestellung bei der Sterbebegleitung bieten.

Bruderschaften wie diejenige vom guten Tod dokumentieren, wie selbstverständlich gelebte Religiosität und die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben um die Wende zum 20. Jahrhundert zum alltäglichen Leben dazu gehörten. Konzepte wie „gutes Sterben“ und „Sünde“ waren den Menschen absolut geläufig und prägten ihr Handeln. Dafür ist das „Gebets- und Andachtsbüchlein“ ein gutes Beispiel. 

Peter Herschlein B. A.

Studentischer Volontär

Bibliothek

Tel.: (0251) 83-24389

Foto und Tonaufnahme einer Tonpfeife aus Westerkappeln

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Inventarnummern: 0000.69312 und 12149

Unter der Inventarnummer 0000.69312 ist im Archiv für Alltagskultur die Schwarz-Weiß-Fotografie einer kleinen Tonpfeife verzeichnet. Unter den Tondokumenten findet sich zudem eine rund einminütige Audioaufnahme, welche das Blassen auf dieser Pfeife dokumentiert. Welche Geschichte verbirgt sich hinter diesen Archivalien?

In den 1970er Jahren wurde die Tonpfeife von dem damaligen Archäologie-Studenten Wieland Wienkämper auf einem Acker in der Westerkappelner Bauerschaft Sennlich aufgesammelt. Da er sein Fundstück nicht deuten konnte, wandte er sich an die Volksmusikforscherin Renate Brockpähler von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen um weitere Informationen über sein Fundstück zu bekommen. Bei dieser Gelegenheit wurden auch die Foto- und Tonaufnahmen angefertigt und im Archiv hinterlegt. Doch auch die Expertin konnte bei der Einordnung des Fundstückes nur bedingt weiterhelfen. Denn es konnte kein vergleichbares Stück aus der Region ausfindig gemacht werden. Daher wurden verschiedene Überlegungen zur Herkunft und Bedeutung des Fundes angestellt.

Pfeifen werden zur Signalübermittlung zwischen Personen oder auch zur Kommunikation zwischen Mensch und Tier, beispielsweise bei der Jagd, eingesetzt. In der wissenschaftlichen Literatur finden Tonpfeifen als Musikinstrumente nur wenig Beachtung. So sind sie sowohl in Veröffentlichungen zur Volksmusik bzw. Musikgeschichte, als auch in Betrachtungen zum Töpferhandwerk kaum präsent.

Umso interessanter erscheinen damit die Funde im Archiv für Alltagskultur. Die Foto- sowie Tonaufnahmen und eine kleine Skizze zeigen, dass man sich eingehend mit dem Stück beschäftigt hat. Zudem ist eine französischsprachige Literaturangabe notiert. Diese führt zu einem Artikel in der Zeitschrift „Folklore Suisse“ von 1946. In dem dort abgedruckten Bericht werden kleine Tonpfeifen aus der schweizerischen Ortschaft Bonfol vorgestellt. Diese Pfeifen wurden im Winter in Heimarbeit von den Töpferfamilien hergestellt. Anschließend wurden diese an Bäckereien verkauft und als Schwanzanhängsel für kleine Pferde aus Pfefferkuchen verwendet. Besonders bei den Kindern waren die Pfeifen nach dem Verspeisen der Pferdchen als „Musikinstrument“ beliebt.    

Für die Pfeife auf den Aufnahmen des Archivs für Alltagskultur kann ein solcher Verwendungszweck jedoch nicht bewiesen werden. Möglicherweise war die Pfeife bei der Jagd als Signalinstrument für einen Jagdhund im Einsatz gewesen. Die Kommunikation zwischen Jäger:innen und Hund/en ist ein wichtiger Bestandteil der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Tier. Durch den Einsatz einer Pfeife können klare Befehle an den Hund auch über weite Distanzen weitergegeben werden. Beweisen lässt sich die Verwendung der Tonpfeife bei der Jagd jedoch nicht, so scheinen auch andere Verwendungsmöglichkeiten, beispielsweise als Kinderspielzeug, möglich.

Über diese Fragen hinaus sind die Archivfunde auch aus epistemologischer Sicht von Interesse. So zeigen sie, welche Objekte in das Archiv für Alltagskultur aufgenommen wurden und welche Informationen dabei von Interesse waren und daher festgehalten worden sind.
Dabei werden die unterschiedlichen Herangehensweisen von Volkskunde und Archäologie sichtbar. So sind beispielsweise keine Angaben zum Fundkontext notiert worden, der in der archäologischen Forschung eine große Rolle spielt. Zudem lassen sich anhand dieses Archivfundes auch neue Methoden in der Musikforschung, wie in diesem Fall das Erstellen von Tonaufnahmen, nachvollziehen.

Clara Weiss B. A.

Studentische Volontärin

Redaktion / Archiv

Tel.: (0251) 83-24389

Bauer Maas: Lieder gegen Atomenergie (Kalkar-Lied)

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Inventarnummern: 34637 und Schallplatte 21.

Die Schallplatte „Bauer Maas. Lieder gegen Atomenergie“ aus dem Tonarchiv der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen befindet sich in einer nahezu quadratischen Papierhülle mit den Maßen 31,5 x 31,2 cm. In der Mitte des Albumcovers sind schwarz-weiß-Fotografien platziert, die verschiedene Motive zeigen wie Kühe auf der Weide, ein Porträt des Bauern Maas und Schnappschüsse von Demonstrationen. Die Auswahl der Motive vereint die Themen „Natur“ und „ländliche Idylle“ mit dem zentralen Protagonisten sowie der Darstellung des politischen Protests. Dies vermittelt den Eindruck, dass der Protest „natürlich“ und „gewachsen“ ist. Ober- und unterhalb der Bilder steht in schwarzen Blockbuchstaben der Titel der Schallplatte geschrieben. Auf der Rückseite des Covers findet sich ein Bild des „Schnellen Brüters“, des Atomkraftwerks in Kalkar-Hönnepel.

Von der Gestaltung des Covers bis hin zu den Tonaufnahmen ist die Schallplatte das Ergebnis des Engagements von Laien. Das sprechen die Produzent*innen Ute Badura und Birger Gesthuisen auch offen an. Sie erklären, während des Aufnahmeprozesses hätten sie die Ehrfurcht vor dem Spezialistentum verloren. Engagement und Gesinnung werden bei der Produktion aus dem Jahr 1977/78 stärker gewichtet als Professionalität. Dementsprechend versammelt die Platte neben bekanntere Musiker*innen und Gruppen auch eher unbekanntere Bands. Alle haben auf eine Gage verzichtet und bekunden mit der Beteiligung an dem Projekt ihre Solidarität im Kampf gegen Atomkraft. Mit dem Erlös aus dem Verkauf sollen die Prozesskosten für Bauer Maas als Einzelkläger gegen den Bau des Atomkraftwerks in Kalkar gedeckt werden.

Auf der Schallplatte befinden sich 11 Lieder, deren Abspieldauer zwischen 21 Sekunden und 7:48 Minuten variiert. Unterhalb der Liste der Lieder ist das Produktionslabel Pass-op abgebildet. Als Motiv ist ein Wächter zu sehen, der einen Speer und eine Laterne in der Hand hält, aus der Musik zu kommen scheint. Die Wahl des Motives suggeriert Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit, wodurch Musik als Instrument der gesellschaftlichen Kritik präsentiert wird.
Im Folgenden wird das „Kalkar-Lied“ von Bruno und Klaus mit einer Länge von 3:41 Minuten vorgestellt.

„In Hönnepel bei Kalkar, da wird zur Zeit gebaut,
es ist der Schnelle Brüter, der den Niederrhein versaut.“

Mit diesen Worten startet das Lied und beschreibt die Lage, in der sich das Dorf Kalkar am Niederrhein befindet. Anfang der 1970er-Jahre soll hier ein Atomkraftwerk gebaut werden. Dafür braucht es zunächst Land, das den Landwirt*innen und der Kirche gehört. Der Energieversorgungskonzern RWE versucht diese zum Verkauf zu bewegen. Da sowohl die Landwirt*innen als auch die Kirche das anfänglich verweigern, nutzt der Konzern die finanziellen Nöte einiger Bauern und Bäuerinnen und lockt sie mit hohen Preisen. Der Kirchenvorstand, zu dem Bauer Josef Maas gehört, verkauft zunächst nicht. Dies wird ihm jedoch zum Verhängnis, da er daraufhin vom Bischoff abgesetzt wird, welcher auf das Angebot von RWE eingeht. Im Liedtext wird der Bischoff als Stellvertreter der Kirche scharf dafür kritisiert:

„Der Gottessohn erhielt für diese Schweinerei viel Lohn:
für ein paar Hektar Kirchenland scheffelte er eine Million.“

Bauer Maas geht 1972 gerichtlich gegen den Bau des „Schnellen Brüters“ vor. Er prozessiert stellvertretend für alle Gegner*innen des Projekts und trägt zudem das alleinige Risiko der Prozesskosten.  

„uns aber interessieren der Fluß, der Wald, das Feld
Und unsere Gesundheit kauft uns keiner ab für Geld.“

Mit dem Beginn der Kernforschung 1955 in der BRD entsteht - zunächst langsam - die Anti-AKW-Bewegung, die neben der Kritik an landschaftlichen Veränderungen auch die Gefahren der Radioaktivität benennt. 1977 werden die Anti-Atom-Proteste zu einer Massenbewegung nicht nur in der BRD, sondern auch andernorts in Europa und in den USA. Im selben Jahr wird in Kalkar zu einer großen internationalen Demonstration gegen das Kernkraftwerk aufgerufen.

Zunächst verliert Bauer Maas den Prozess, da das Gericht eine Beschädigung des Reaktorsystems selbst bei Erdbeben oder Flugzeugabsturz für nahezu ausgeschlossen hält. Maas geht jedoch in Berufung und prozessiert 13 Jahre lang, bis er 1985 aufgrund von körperlicher, finanzieller und psychischer Belastung seinen Hof verkaufen muss und wegzieht.
Letztendlich ist das Atomkraftwerk unter anderem wegen Maas‘ Engagement nicht ans Netz angeschlossen worden. Das offizielle Aus des Reaktors wird schließlich 1991 angeordnet. Heutzutage befindet sich ein Freizeitpark auf dem Gelände.

Die Anti-Atom-Proteste können in den Kontext der Protestkultur(en) der 1970er-Jahre und der in dieser Zeit entstandenen Neuen sozialen Bewegungen eingeordnet werden. Die Proteste gegen die Atomkraft verbanden die 68er-Student*innenbewegung mit der Umweltbewegung, was unter anderem den Anstoß für die Gründung der Partei Die Grünen gab. Der Anti-Atom-Protest brachte Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten zusammen und vereinte sie in ihrem sozialen und umweltpolitischen Engagement. Bei ihren Protesten standen nicht nur der Umweltschutz und die Gesundheitsgefährdung durch Atomenergie im Fokus, sondern auch zentrale Forderungen nach solidarischem Zusammenleben, Verbesserung der Lebensbedingungen und damit einhergehender Generationengerechtigkeit.

„Drum hört den Apotheker, der laut und deutlich spricht:
,Es gibt für vieles Medizin, für Strahlenschäden nicht.‘“

Die Schallplatte gewährt als kulturanthropologische Quelle Einblicke in die vielfältigen und zum Teil kreativen Formen, die gesellschaftlicher Widerstand und Protest durch Bürger*innen annehmen kann. Zudem lassen sich aus der Entstehungsgeschichte sowie aus den Liedtexten der LP die verschiedenen Aushandlungsprozesse skizzieren, die Teil des Anti-Atomkraft-Protestes beziehungsweise der Protestkultur(en) dieser Zeit waren.

Serena Patrone

Studentische Volontärin

Archiv

Tel.: (0251) 83-22400

Zwei Mitgliederzeitschriften der GEG

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Bestand Ortjohann (K03139.0000).

Beide Broschüren messen 24 x 15,5 Zentimeter und umfassen 16 Seiten aus dünnem, brüchigem Papier. Auf dem Umschlag sind Bilder der „Marienkirche in Krakau“ und von „Fischerboote[n] im Hafen“ zu sehen. In der oberen rechten Ecke steht der Reihentitel „Genossenschaftsfamilie“ sowie der Erscheinungsort (Hamburg), das Datum (1940), die Jahrgangs- und die Ausgabenummer (jeweils 4 und 6).  Inhaltlich haben die beiden Ausgaben einen ähnlichen Aufbau: Nach einem, dem technologischen Kriegsfortschritt gewidmeten Beitrag (einerseits über den Einsatz von Pferden im Krieg, anderseits über U-Boote), folgt ein Fortsetzungsroman und - unter der Überschrift „Fritz und Putzi“ - ein Kindercomicstrip. Kochrezepte, ein Liedtext, Tipps für die Körper- oder Kleiderpflege sowie Werbung für die „Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine“ (GEG), ein Beitrag über die aktuelle Mode und ein monatliches Kinderpreisausschreiben runden die Inhalte ab.

Bei den Broschüren handelt es sich um zwei Exemplare der Mitgliederzeitschrift der 1894 in Hamburg gegründeten Großeinkaufs-Gesellschaft deutscher Konsumvereine, kurz GEG. Dieser genossenschaftliche Zusammenschluss war als eine Art Dachverband der Konsumvereine geschaffen worden. Durch Abnahme großer Warenmengen und vor allem durch den Aufbau eigener Produktionsbetriebe für Lebensmittel und Haushaltswaren versprach die GEG ihren Mitgliedern geringere Preise. Am 4. Mai 1933 wurde die GEG mit anderen genossenschaftlichen Zentralorganisationen zum Reichsbund der deutschen Verbrauchergenossenschaften GmbH zusammengeschlossen und gleichgeschaltet. Die seit 1918 alle zwei Wochen erscheinende, kostenlose Mitgliederzeitschrift bestand fort.

Schaut man sich die Inhalte der beiden Broschüren näher an, so wird schnell deutlich, dass die Mitgliederzeitschriften genutzt wurden, um völkisch-nationale und militaristische Inhalte zu verbreiten. Dazu gehörten auch entsprechende geschlechtsspezifische Rollenbilder.  Für Frauen bedeutete das, dass einschlägige Textbeiträge und Werbeanzeigen ihre zentrale Rolle als Hausfrau und Mutter hervorhoben: Ihre Zuständigkeit sollte sich auf Kochen, Kinder, Körperpflege und Kleidung beschränken.   

Dass insbesondere Leserinnen direkt angesprochen wurden, zeigt sich am besten auf der Rückseite der Ausgabe Nummer 6. In der rechten Ecke einer aus rauchenden Fabriken bestehenden Stadtlandschaft sind drei Frauen/Mädchen unterschiedlichen Alters, ein kleines Mädchen mit Spielreifen, eine junge Dame mit Tasche und eine etwas ältere Frau mit Korb, abgebildet. Sie wenden dem/der Betrachter:in den Rücken zu und bewundern den Slogan „GEG“, der wie eine große Sonne auf sie scheint und einen Schatten wirft. Der Untertitel lautet „Ein Großbetrieb der Hausfrauen“ (S. 16). Im Text heißt es dazu:

„[…] Den Hausfrauen dient die GEG auch fernerhin mit ganzer Kraft in dem Bemühen, ihnen die Haushaltsführung zu erleichtern. Deshalb ist das gute Einvernehmen zwischen Hausfrauen und GEG nicht zu erschüttern, selbst wenn heute nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann“ (S. 16).

Hier deutet sich etwas an, das in den 1940er Jahren zunehmend bedeutsamer werden sollte: Frauen waren auch wichtige Akteurinnen der Kriegswirtschaft. Sie waren an der sogenannten Heimatfront verantwortlich für Haushalt und Kinder. Trotz allgegenwärtiger Ressourcenknappheit galt es ihr Vertrauen in die Kriegswirtschaft (verkörpert durch die GEG) aufrechtzuerhalten und ihnen Werte wie Sparsamkeit ans Herz zu legen (vgl. ebd., S.80).

Kochrezepte und Ratschläge für die Körperpflege und die Kleidung suggerierten, dass man sich auch mit begrenzten Ressourcen gut ernähren und kleiden konnte. So sollte die gute Hausfrau das Haltbarmachen von Obst mit wenig oder ohne Zucker erlernen (vgl. Ausgabe 6, S. 12f.) und auch, wie man aus dem Eingemachten einfache, gesunde Gerichte zubereiten konnte (vgl. ebd., S. 13ff). Auch der Verzicht auf Seife wurde ins Positive gewendet, könne man sich doch durch ein einfaches „Luftbad“ (d.h. „[…] 5 oder 10 Minuten in unbekleidetem Zustand zu verbleiben […]“ (ebd. S. 23),“ von störenden Körpergerüchen befreien.

Die Broschüren verdeutlichen, wie sehr die nationalsozialistische Ideologie auch auf bestimmte Körperideale ausgerichtet war. Alle Abbildungen zeigen einen schlanken, dezent-modisch bekleideten Frauenkörper (vgl. Ausgabe 4 S. 12) Seine Schönheit ist aber eher das Ergebnis von Natürlichkeit und Gesundheit, als von Attraktivität im herkömmlichen Sinne wie auch eine Kurzgeschichte unter dem Titel „Oh, diese Finsternis“ (Ausgabe 6, S. 6) belegt. Hier geht es um eine junge Frau, deren Gesicht nicht dem Schönheitsideal entspricht. Trotz dieser Einschränkung findet sie zur Liebe ihres Lebens.

Wichtiger als ein hübsches Gesicht sind Fleiß, Sparsamkeit und stete Einsatzbereitschaft. Auf Seite 15 der Ausgabe 6 zeigt ein Comicstrip wie sich die Nachbarschaft bei einem Bombenangriff richtig verhalten soll. Dabei wird hervorgehoben, dass eine sorgfältige Mutter das Gepäck bereits vorher gepackt habe. Auf dem darauffolgenden Bild halten zwei Frauen jeweils ein Kind in den Armen, während ein kleiner Junge sich um das Koffertragen kümmert. Die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung sieht folgendermaßen aus:

„Zum Abmarsch in den Luftschutzraum bereit. Die Mutter hat noch zwei weitere Kinder, die durch die 16jährige Nachbarstochter betreut werden. Der sechsjährige Junge hilft schon mit allerlei Handreichungen“ (S.15).

Zielpublikum der Broschüren sind neben den Frauen vor allem die Kinder. An ihre Adresse wendet sich die Redaktion beispielsweise mit Comic-Strips oder auch mit einem Preisausschreiben für die unter 15jährigen Kinder der Mitgliedgenossenschaft. Sie konnten einen der folgenden Preise gewinnen:

„1. Ein kleiner Malkasten mit Pinsel / 2. Ein Zirkel / 3. Die Broschüre ‚Deutsches Land weit überm Meer‘ / 4. Die Einbanddecke für den ‚Kleinen Genossenschaftler‘ Jahrgang 1939 / 5. Die Broschüre ‚Aus dem Werden unseres deutschen Volkes‘.“ (Ausgabe 4, S. 14).

In Abwesenheit der Ehemänner und Väter erfüllte die „Genossenschaftsfamilie“ die Funktion eines Ratgebers, Beschützers, Mutmachers und Unterhalters. Sie suggerierte den Leser:innen der Mitgliederzeitschrift, dass der Kriegsgewinn sicher war und dass sie an der Heimatfront einen wesentlichen Beitrag dazu leisteten.  

Literatur

Wittfeld, Marion (2014): „Die Frau ist zu einem wesentlichen Teil Trägerin der Stimmung in der Heimat“ – Geschlechtsspezifische NS-Presseanweisungen im Krieg und ihre Umsetzung in der Frauenzeitschrift Mode und Heim“. Geschlecht in der Geschichte. Bd. 20. S. 71–90.

Yannick Rüskamp

Studentischer Volontär

Archiv

Tel.: (0251) 83-22400

Westfälische Katzenorgel

Archiv für Alltagskultur in Westfalen, Inventarnummern: 0000.72057.

Unter der Inventarnummer 0000.72057 findet sich die Schwarz-Weiß Fotografie einer Druckgrafik, die über das Vredener Museum ihren Weg in das Archiv für Alltagskultur gefunden hat. Es handelt sich um den Ausschnitt eines größeren centsprent (Catchpenny-Druck) mit vielen weiteren Illustrationen. Dieser wurde von Jan de Lange (Deventer) hergestellt und befindet sich im Atlas van Stolk, einer rund 150.000 Objekte umfassenden Bild- und Druckgrafiksammlung mit hohem alltagskulturellem Anteil. Datiert ist das Original auf Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts.

Auf der Abbildung sind mehrere Kinder vor einem Mann mit Hut und Stock zu sehen, der neben einer Art Regal steht. Es basiert auf vier sich kreuzenden Holzstäben. In den zwölf Regalfächern (4x3) ist jeweils ein kleines Kätzchen zu sehen. Darunter stehen vier Zeilen in niederländischer Sprache, nachfolgend in deutscher Übersetzung:

Dies ist die westfälische Katzenorgel,
Das unsere Jugend wohl nicht bezaubert,
Worin die Katzen scharf gurgeln
Dein Ohr nicht streichelt, sondern es durchbohrt

Die Darstellung verweist auf einen sogenannten Rügebrauch, also einen Akt der Volksjustiz, welcher seinen Ursprung unter der Bezeichnung charivari im mittelalterlichen Frankreich hatte. Außer in Italien (scampanate), England (rough music) und den Niederlanden (ketelmuziek) etablierte er sich auch in West-, Süd- und Südwestdeutschland unter Begriffen wie Katzenmusik, Tierjagen oder Halberfeldtreiben. Die unterschiedlichen Bezeichnungen indizieren dabei Varianz in Ausgestaltung und Anlässen. Allen gemein ist, dass sie Verstöße gegen regional unterschiedliche, informelle soziale Regeln ahnden. Die sogenannten Rügebräuche richteten sich gegen Einwohner:innen einer Gemeinde, deren Verhalten als sozial-schädigend öffentlich angeprangert wurde, wobei nicht davon ausgegangen werden sollte, dass jeder Regelbruch mit einer solchen Katzenmusik sanktioniert wurde. Aufgrund der mangelnden Quellenlage zu den verschiedenen regionalen und lokalen Ausprägungen des Brauchs sind dessen genaue Funktionsweisen und Auslöser fraglich. Es lässt sich durchaus vermuten, dass der Brauch auch zum gezielten Ausschluss missliebiger Nachbar:innen aus der Ortsgemeinschaft eingesetzt wurde.

Wie muss man sich eine Katzenmusik vorstellen? Im Grunde handelt es sich um den öffentlichen Auftritt einer Gruppe – oft in Form eines gemeinsamen Marsches.  Vor dem Haus der zu rügenden Person(en) machte die Versammlung halt, um mithilfe von Haushaltsgegenständen Lärm zu produzieren und Aufmerksamkeit zu generieren. Das exzessive akustische Zusammenspiel von u. a. Glocken, Pfannen, Deckeln und Stöcken in Ergänzung mit Rufen und Geschrei mag dabei dem Geräusch jaulender Katzen gleichkommen – deshalb wohl die Bezeichnung Katzenmusik. Begleitet wurde der Lärm von Versen, in denen die angeblichen Verfehlungen des/der Gerügten öffentlich gemacht wurden. Zumindest für das Halberfeldtreiben lässt sich eine Trägerschicht aus zumeist jungen, unverheirateten Männern ausmachen. Ähnlich wie beim Brauch des Pflug- und Blockziehens handelten die Burschen als „Stellvertreter des kommunalen Gewissens“, dessen Maßstäbe sie mit der Ritualausführung ihrerseits verinnerlichten (sollten), worauf der Vers Das unsere Jugend wohl nicht bezaubert hinweist. (vgl. Schindler, Norbert (1992): Widerspenstige Leute. Studien zur Kultur in der frühen Neuzeit. Frankfurt: Fischer, S. 179.) Ob darüber hinaus die geographische Verbreitung von Katzenmusiken an die katholische Konfession gebunden war, muss in Hinblick auf ihren vorreformatorischen Ursprung und die Überlieferungslage offenbleiben. Jedenfalls dürfte Westfalen das nördliche Randgebiet der Rügebräuche dargestellt haben: Nach Paul Sartori (Westfälische Volkskunde, 1922, S. 131) waren „haberfeldartige Tätlichkeiten“ in Menden, Detmold sowie im Kreis Büren, bekannt. Bis in das erste Viertel des 20. Jahrhunderts sind die verschiedenen Ausführungen von Rügebräuchen in Deutschland bezeugt.

Als Element zur Aufrechterhaltung der gemeinschaftlichen Normen richtete sich der Brauch im Lauf der Zeit auch gegen örtliche Repräsentanten der Obrigkeit wie Bürgermeister oder Pfarrer und auch politische Emanzipationsbewegungen fanden hier eine Ausdrucksform. So überrascht kaum, dass die Katzenmusik in der Revolution von 1848/49 zu einer Form der politischen Auseinandersetzung avancierte. Diese „charivari publique“ verbreiteten sich auch in urbane Zentren (beispielsweise nach Frankfurt a.M.) und nach Nordwestdeutschland (beispielsweise nach Emden), wo sie zuvor nicht belegt sind. Stellenweise, wie zum Beispiel in der ersten Maiwoche 1848 in Wien, erreichte man damit den Rücktritt von staatlichen und geistlichen Funktionsträgern. (vgl. Hinrichs, Ernst (1991): ‚Charivari‘ und Rügebrauchtum in Deutschland. Forschungsstand und Forschungsaufgaben, in: Scharfe, Martin (Hg.): Brauchforschung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 430 – 463, hier S. 462f.)

Zurück zur Apparatur. Nach dem deutschen Sprichwörter Lexikon (Bd. 2, Hsrg. Karl F. W. Wanderer, 1870, Sp. 1212f.) soll die Katzenorgel bzw. das Katzenklavier von Landgraf Karl von Hessen (1654 – 1730) erfunden worden sein. Gedacht war die Funktionsweise so, dass die Tasten bei Betätigung auf die Schwänze der Katzen schlugen, welche als Schmerzreaktion darauf scharf gurgeln – was folglich das menschliche Ohr nicht streichelt, sondern es durchbohrt.

Eine grausame Idee, auf die nur ein ebenso grausamer Mensch kommen konnte: So nutzt Charles de Costar im, als belgisches Nationalepos bekannten, Ulenspiegel (1867) das Katzenklavier um den spanischen Kronprinzen Philipp II. (1527 – 1598) öffentlich anzuprangern.

Für alle Katzenliebhaber mag der Gedanke beruhigend sein, dass so eine Katzenorgel wohl nie gebaut worden ist.